Ein Bild und seine Spuren: Der Maler Otto Dix am Bodensee

Das Bild hing über dem Sofa im Wohnzimmer meiner Schwiegereltern. Eine üppige Landschaft, im altmeisterlichen Stil gemalt, realistisch und doch irgendwie auch mystisch, die mich buchstäblich in sich hineinsaugte. Der Maler, Otto Dix, sagte mir anfangs wenig. Und dass der Großvater ein Mäzen des Malers war, interessierte mich damals nur am Rande. Doch dann begegnete ich den anderen Dix-Bildern, den im Dritten Reich als entartet geschmähten – und war fasziniert. Seither hat Otto Dix mich nicht mehr losgelassen – auch wenn das Bild der Landschaft am Hohentwiel über dem Sofa längst in anderen Händen ist. Auf seinen Spuren bin ich nun an den Bodensee gereist, auf die Höri am Untersee. Dorthin, wo der Maler ins „innere Exil“ gegangen ist. Wo er es „zum Kotzen schön“ fand und vor der Landschaft stand „wie eine Kuh“. Dorthin, wo er auch die Landschaft am Hohentwiel gemalt hat und wo er bis zu seinem Tod lebte. Sein Wohnhaus in Hemmenhofen ist seit kurzem Museum ebenso wie der blühende Garten, über den die Malerfamilie auf den Bodensee blickte. Ein Privileg, um das ihn viele Künstler-Kollegen beneidet haben dürften. Und doch scheint sich der Geraer Arbeitersohn und Dresdner Kunstprofessor in dieser bukolischen Umgebung nie so recht heimisch gefühlt zu haben. Vielleicht vermisste er die großstädtischen Tanzsäle, durch die er als junger Mann mit seiner späteren Frau Martha geschwebt war. Womöglich aber war ihm, dem Kriegsveteran, der wie kein anderer die scheußliche Fratze des 1. Weltkriegs gemalt hat – das Dresdner Albertinum widmet dem monumentalen Triptychon „Der Krieg“ derzeit eine eigene Ausstellung – die Idylle auch zu perfekt. Trotzdem: Hier hat er bis zu seinem Tod 1969 gelebt, hier hat er gemalt, geliebt und gefeiert – und viele Gerüchte in die Welt gesetzt, die sich die Hemmenhofener noch heute hinter vorgehaltener Hand erzählen. Da ist die Rede von unehelichen Kindern, die der virile Maler, der neben seiner Hemmenhofener Familie auch eine Familie in Dresden hatte, gezeugt haben soll. Von Bildern, mit denen er Holz und Fleisch bezahlt habe. Drei, so heißt es, hingen noch in einer nahen Metzgerei – und seien Millionen wert. Im Haus jedenfalls sind kaum Originale zu sehen, außer ein paar Leihgaben, die das Stuttgarter Kunstmuseum, zu dem das Wohnhaus gehört, zur Verfügung stellt. Man begnügt sich großenteils mit einem sepiafarbenem Schatten-Abdruck an den Wänden, zu dem ein innovativer Media-Guide die Erklärung liefert. Für den jovialen Landrat Frank Hämmerle war die Eröffnung des Museums vor einem Jahr ein Meilenstein, hatte er doch lange darum gekämpft, das vom „Otto-Dix-Haus-Förderverein mit geringen Mitteln bespielte Haus“ vor dem Verfall zu bewahren. „Der Garten war verwildert, ein Marder hatte sich im Dachgeschoß breit gemacht“, schildert Haemmerle den Zustand vor der behutsamen Restaurierung, die nur durch die Großzügigkeit von Mäzenen und die Unterstützung der Denkmalschutzstiftung Baden Württembergs möglich wurde. Immerhin zwei Millionen Euro mussten für Kauf und Restaurierung aufgebracht werden. Inzwischen ist der Marder vertrieben, der Garten blüht wieder und die Dispersionsfarbe wurde von den Wänden gekratzt. Dabei stießen die Restauratoren „im Keller auf einen Knüller“, so Hämmerle befriedigt. Die Fasnachtsbilder, von Dix wohl zu einer Party an die Wand skizziert, werden nun sorgfältig konserviert. Im ganzen Haus sorgt ein ausgeklügeltes Belüftungssystem für die richtige Raumtemperatur. Denn die ist für den Erhalt der Originale – auch der Möbel – wichtig, wie Dr. Sven Beckstette, der Kurator der Dix-Sammlung in Stuttgart, betont. Aus Stuttgart kam auch das museale Konzept für das Dix-Haus in Hemmenhofen. „Uns ging es darum, die Geschichte des Hauses widerzuspiegeln, die Rekonstruktion offenzulegen und die Anmutung eines Wohnhauses zu erhalten“, erläutert der schlaksige Dix-Kenner. „Wir tun so, als hätten die Bilder Abdrucke an der Wand hinterlassen.“ Dass dabei „viel in die Vorstellung der Betrachter gelegt“ werde, nehme man in Kauf, so Beckstette. Im Musikzimmer, wo noch der Flügel von Martha Dix steht, und Musik vom Grammophon die Zwanziger Jahre aufleben lässt, können sich die Besucher in die aufregende Zeit versetzen, als der ausgezeichnete Tänzer Otto Dix die elegante Frau des Urologen und Sammlers Hans Koch, Martha, kennen und lieben lernte. Otto heiratete Martha, blieb aber Hans Koch eng verbunden. Der tröstete sich schnell mit Marthas Schwester Maria. Und als Dix als einer der ersten von den Nazis von seinem Lehrstuhl vertrieben wurde, waren es die Kochs, die Otto und Martha in Schloss Randegg eine Zuflucht boten. Das Gemälde „Randegg im Schnee mit Raben“ erinnert an diese Zeit. Vier Jahre später ließ Martha – sie hatte das Geld – das Haus in Hemmenhofen bauen, durch das heute die Besucher schlendern. Im Atelier im ersten Stock liegt noch der für Dix so typische Malerkittel, stehen eingetrocknete Farben, liegen Pinsel. In den Kinderzimmern von Nele, Ursus und Jan ist bis heute etwas vom familiären Zusammenleben zu spüren. Es wurde viel gelesen in diesem Haus, musiziert, gespielt und gemalt. Mit einem Totentanz hat die 14-jährige Nele ihr Himmelbett „verziert“, und Vater Otto Dix hat die Buchgeschenke an die Kinder liebevoll bemalt. Unterm Dach dann noch eine Filmstation mit Ausschnitten eines DDR-Films über Hemmenhofen aus dem Jahr 1966 – und einem knorrigen Künstler als Gesprächspartner. Dabei scheint sich Dix mit zunehmendem Alter mit seiner Wahlheimat angefreundet zu haben. Er galt als gesellig und hatte auch in der Umgebung Freunde. In Gaienhofen, das vorwiegend von der Erinnerung an Hermann Hesse zehrt, hängt im Hermann-Hesse-Höri-Museum ein Selbstporträt seiner letzten Schülerin Roberta Holly-Logeans – im Malerkittel, wie Dix ihn immer trug. In der nahen Petruskirche bei Kattenhorn hat der Künstler die expressiven Glasfenster gestaltet. Und in Singen hat er 1960 das moderne Rathaus mit einem Wandbild veredelt, „dem einzigen noch existenten Dix-Wandbild“, wie Christoph Bauer, Leiter des Kunstmuseums Singen, betont. Das Thema „Krieg und Frieden“ sollte, so planten es die stolzen Stadtväter für ihre imposante Vierflügel-Anlage, Picassos weltberühmten Anti-Kriegs-Bild „Guernica“ Konkurrenz machen. Dix lieferte ein von christlicher Ikonographie geprägtes neoexpressionistisches Großgemälde, in dem Hitler als Scherge auftaucht und eine Friedenstaube an Picasso erinnert. Und weil ihm die Wandmalerei Spaß zu machen schien, schenkte er der Stadt als Dreingabe noch einen Mal-Zyklus des menschlichen Lebens im „Trauzimmer“. In der überregionalen Presse fand beides damals keine Beachtung, wurde als „altbacken“ abgetan. Zu Unrecht, findet Christoph Bauer, für den Dix ein Künstler ist, „der immer aktuell bleibt“. Und das Bild vom Hohentwiel? Hängt wohl in irgendeiner Privatsammlung. Aber das Motiv habe ich gefunden. Gleich bei Singen, im Hegau, wo die Landschaft geprägt ist von bizarren Vulkankegeln und malerischen Flusslandschaften.

Siehe auch http://fineartreisen.de.

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