Die Szenerie ist dramatisch. Dunkle Wolken haben am Himmel Aufstellung genommen, die Straße führt direkt hinein ins geballte Grau, und schon fällt der Regen, dicht wie ein Wasservorhang. Kaum etwas zu sehen von den schönen Fischerdörfern Lastres und Llanes, nur verschwommene Fassaden. Was für ein Wetter! Aber das ist Ansichtssache. „Für uns ist der Regen ein Segen“, sagt Elena, die Reiseführerin. Denn wie in anderen Teilen Spaniens ist es auch im grünen Asturien viel zu trocken.
Ein Hort der Kunst
Am nächsten Morgen hängen nur noch ein paar ausgefranste Nebelfetzen über den Bergen. Alles ist grün, kaum Häuser. Dafür dieses schöne Hotel mit Kunst in allen Ecken und Enden und Dalis riesiger Newton-Skulptur im Hof. Kiko Lamata, schlank, Typ Grand Seigneur, ist der Geschäftsführer dieses ungewöhnlichen Hideaways und kennt „jeden Stein“. „Am Anfang hielten uns alle für verrückt,“ erinnert er sich, „ein Fünf-Sterne-Hotel in einem winzigen Dorf im Nirgendwo!“ 2016 hat das Pueblo Astur eröffnet – als Öko-Resort mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit.
Der Geist der Gegend
Schon beim Um- und Ausbau der Häuser wurden konsequent lokale Arbeiter und Architekten beteiligt. Die Materialien kamen aus einer Entfernung von maximal 20 Kilometern. „Wir wollten Teil der Landschaft werden“, sagt Lamata über den Traum, rund um ein asturisches Landgut Luxus und Natur, Tradition und Kunst in Einklang zu bringen. Die neuen Häuser orientieren sich am Bestehenden, sollen den Geist der Gegend einfangen. Auf dem großzügigen Gelände werden Kräuter und Gemüse angebaut, weiden Schafe und Kühe. Das Wasser kommt aus einem eigenen Brunnen. Und Chefkoch Ramon Celorio lädt mit seiner Küche zu einer Reise durch die asturische Landschaft ein.
Das Erbe des Pelayo
Dass sich im Pueblo Astur Kunst und Genuss ein Stelldichein geben, ist typisch für das Füstentum im Nordosten Spaniens und die Gegend um das Welterbe Picos de Europa. Hier, wo der legendäre König Pelayo, ein Westgote, im achten Jahrhundert das erste christliche Königreich nach der Vertreibung der muslimischen Herrscher gegründet haben soll, stößt man auf erstaunlich gut erhaltene Baudenkmale aus vorromanischer und romanischer Zeit. Zum Beispiel in Cangas de Onis, das der zum Nationalhelden erhobene Pelayo zu seiner Hauptstadt machte. Die Kirche des ehemaligen Benediktinerklosters San Pedro de Villanueva, heute ein Parador, schmückt über dem Portal ein Comic in Stein: Der Abschied eines Helden von seiner Frau. Zu sehen sind der Abschiedskuss, die Frau, resolut mit den Händen in den Hüften, der Heldentod… Fantastisch!
Die Jungfrau von Covadonga
Wenig weiter erinnert auch das Marienheiligtum von Covadonga an den Nationalhelden Pelayo, dem der Sage nach himmlische Kräfte und die Jungfrau Maria zum Sieg über die Muslime verhalfen. Dass damit die Reconquista begann, die Rückeroberung, wurde vor allem unter Franco groß gefeiert. Die Verehrung der Jungfrau von Covadonga, liebevoll „la santina“ genannt, ist bis heute ein wesentlicher Bestandteil asturischer Identität.
Die Tradition der Sidra
Das ist auch die Sidra, der Apfelmost. 45 Millionen Liter werden alljährlich von den 38 Sidra-Erzeugern produziert, „und wir trinken sie alle“, sagt Reiseführerin Elena. In der Sidreria Tierra Astur wird die Sidra buchstäblich in hohem Bogen ausgeschenkt. Die Kellner und Kellnerinnen halten die Flasche auf Kopfhöhe und gießen den Inhalt in einem satten Strahl zielgenau ins Glas. Just for show? Nein, sagt Elena, die es wissen muss: „Wegen des Schaums.“ Deshalb muss man die Sidra auch ganz schnell trinken, ehe der Schaum zusammenfällt.
Asturische Spezialitäten
In dem riesigen Restaurant in Asturiens Hauptstadt Oviedo kommen nur frische regionale Produkte auf die rustikalen Tische. Zubereitet werden sie nach traditionellen Rezepten wie die Fabada, das asturische Nationalgericht, ein Eintopf aus Weißen Bohnen, Knoblauch und Würsten.
Die großflächig bebilderte Speisekarte ist dick wie ein Bilderbuch. Allein 40 Käsesorten machen die Wahl zur Qual. Im integrierten Marktladen kann man sich mit asturischen Schmankerln eindecken.
Spektakuläre Szenerie
Man kann aber auch direkt beim Erzeuger kaufen. Zum Beispiel in der Käserei Main in den Picos de Europa. Der Nationalpark entlang des Kalksteinmassivs mit seinen über 200 spektakulär zerklüfteten Gipfeln ist eine grandiose Landschaft, die an die Dolomiten erinnert oder an die Anden in Südamerika.
Die Straße windet sich kurvenreich entlang des dunkelgrünen Flusses Cares: In den steil abfallenden Granitfelsen äsen Gämsen, Geier kreisen am Himmel, Ziegen queren die Fahrbahn, und eine kleine Herde hellbrauner asturischer Kühe macht sich auf den Weg zur Sommerweide. In einem grünen Tal kauern Schutzhütten für Hirten und Vieh.
Ein Dorf am Ende der Welt
Nach unzähligen Kurven ist Sotres erreicht, ein kleines Dorf, scheinbar am Ende der Welt, das einst Verfemten und Außenseitern als Rückzugsort diente. Heute leben noch etwa 200 Menschen in der höchst gelegenen Gemeinde Spaniens. Jessica Lopez Fernando, Präsidentin von Cabrales DOP, dem Blauschimmelkäse mit Herkunftsgarantie, ist eine davon. Mit ihren dunkelbraunen Locken und dem kräftigen Teint wirkt sie wesentlich jünger als ihre 40 Jahre. Käsen scheint jung zu halten.
Höhlen für den Käse
Dabei ist die Arbeit, die sich die studierte Marketing-Frau zumutet, alles andere als leicht. Aber Jessica, die das Dorf mit ihren Eltern im Alter von drei Jahren verlassen hatte und die mit 23 der Liebe wegen zurückkam, wirkt zufrieden. Ja, die Arbeit sei hart, sagt sie, aber sie mache auch glücklich. Mit ihrem Mann Javier, der aus einer traditionellen Käserfamilie stammt, wollte sie zurück zum Ursprünglichen und trotzdem etwas Neues aufbauen. Dabei kam ihr zugute, dass sie von der Oma vier Höhlen geerbt hatte, in denen der Käse reift.
Weite Wege mit Esel oder Schlitten
Gekäst wird jeden zweiten Tag. Das Ergebnis sind 20 Kuhmilchkäse und zwölf Ziegenkäse – insgesamt zehn Tonnen Käse pro Jahr. Einmal in der Woche müssen die Käselaibe in den Höhlen umgedreht und gewaschen werden. 4000 Laibe sind es in den vier Höhlen, und der Weg dahin kann ganz schön herausfordernd sein. Im Sommer hilft Esel Penbibi beim Tragen. Im Winter, wenn die Einwohnerzahl im Dorf auf 70 sinkt, erreichen Jessica und Javier die entfernteren Höhlen nur mit Schneeschuhen und Schlitten.
Export bis nach Mexiko
Weil die Höhlentemperatur je nach Höhenlage unterschiedlich ist, lagern die Käse zwischen vier Monaten und einem Jahr in der kalten Feuchtigkeit. Sie sorgt dafür, dass der typische Schimmel in den Käse kommt.
Verkauft wird der Käse im eigenen Laden. Viel, so Jessica, geht aber auch in den Export – vor allem in die USA und nach Mexiko. Dahin also, wohin viele Asturier ausgewandert sind.
Indianerhäuser und Faschismus
Diejenigen, die vermögend zurück kamen, Indianos genannt, haben eine eigene Architektur mitgebracht. „Casas indianas“ nennt Elena die markanten Gebäude im historisierenden Kolonialstil, die man in den größeren asturischen Städten findet. Auch der Faschismus hat hier seine Spuren hinterlassen. Ein Monument des Größenwahns ist die Universidad Laboral in Gijon. Die 1957 fertig gestellte Arbeiteruniversität, mit 270.000 Quadratmetern das größte Gebäude Spaniens, bot Platz für über 1000 Lernenden, die von Jesuiten unterrichtet und von Nonnen bekocht wurden. Ziel der Einrichtung war es, Arbeiterkinder und Waisen im Sinn des Faschismus zu unterweisen.
Baudenkmal mit Zukunft
Noch heute kann man an einem der Gebäude, die den riesigen Innenhof säumen, Symbole des Faschismus erkennen. Im Malersaal wird mit muskulösen Männerkörpern der Heroismus gefeiert. Und an der Kirche gibt es ein Wiedersehen mit der Jungfrau von Covadonga. In den 1980er Jahren drohte dem Monumentalbau der Verfall, doch 2001 übernahm die asturische Regierung die dringend nötige Sanierung. 80 Millionen Euro wurden in das Baudenkmal investiert. Heute beherbergen die Gebäude verschiedene Fakultäten, darunter die Hochschule für Schauspielkunst und ein Konservatorium. Auf dem Gelände ist ein Technologiepark entstanden, auch Thyssen-Krupp hat hier ein Forschungszentrum für Fahrtreppen, Fahrsteige und Fluggastbrücken.
Vom Turm aus, mit 130 Metern dem höchsten Gebäude Asturiens, hat man einen großartigen Blick über das Universitätsgelände und die Stadt bis hin zum Meer.
Chillidas Betonskulptur
Dort am Rand der Steilküste im Parque de Cerro auf einer ehemaligen Festungsanlage hat Eduardo Chillida 500 Tonnen Beton zu einer Skulptur verarbeitet, die er Elogio al Horizonte nannte, Lob des Horizonts. Im Volksmund heißt das Monument – ein Halbkreis auf zwei Betonsäulen – wenig respektvoll King Kongs Toilette. Auf unbefangene Betrachtende wirkt es eher wie ein Tor zum Meer und eine Umarmung des Landes. Aber auch das ist Ansichtssache.
Doch anders als die alten Kirchen und Paläste Asturiens zeigt die Beton-Skulptur deutliche Zeichen des Verfalls.
Flaschenbaum für die Sidra
Drunten in der Stadt grüßt einmal mehr Volksheld Pelayo – auf der zentralen Plazuela del Marqués. In unmittelbarer Nähe fällt der Blick auf einen Turm aus grünen Flaschen. Ursprünglich als Weihnachtsbaum gedacht, soll er die Zusammenarbeit der Siderias in Sachen Nachhaltigkeit symbolisieren. Schließlich werden die grünen Flaschen wieder verwendet. Im von einem Michelin-Stern gekrönten Restaurant auga kann man eine Sidra zum Apéritif trinken und sich bei der schönen Aussicht auf den Hafen von Gijon auf eine Küche freuen, der vom Guide Michelin „Finesse“ attestiert wird.
Sterneküche vom Meer
Verantwortlich dafür ist Sternekoch Gonzalo Pañeda, braune Augen, freundliches Lächeln. Er liebe das Meer, sagt der 53-Jährige. Die ehemalige Fischhalle, wo sich heute das auga befindet, sei schon für ihn als Kind ein Traum gewesen. Den Gästen will er eine „Küche vom Meer“ präsentieren, mit dem Geschmack der Heimat. Asturien, davon ist er überzeugt, habe eine der besten Fischküchen der Welt. Pañeda tut viel dafür, das im auga zu beweisen. Weil ein Teil seiner Familie in Frankfurt lebt, freut er sich ganz besonders über die neue Direktverbindung der Lufthansa zwischen Frankfurt und Asturiens Hauptstadt Oviedo.
Schatzkammer der Kathedrale
Mit rund 220 000 Einwohnern ist die ehemalige Hauptstadt des unabhängigen Königreichs Asturien das kulturelle Zentrum des Landes. Die Unesco hat die beeindruckenden präromanischen Bauten Santa Maria de Naranco und San Miguel de Lillo, beide inmitten grüner Wiesen am Fuß des Monte Naranco gelegen, zum Weltkulturerbe erklärt. Auch die Camara Santa, die Heilige Kammer, unter der Kathedrale San Salvador gehört dazu. Ein Besuch dieser Schatzkammer macht ehrfürchtig. Steinerne Apostelpaare aus der Zeit der Romanik wachen über Schätze wie das Engelskreuz, das der Sage nach zwei Pilger hinterließen, die der König beherbergt hatte und die er nachträglich als Engel identifizierte.
Das Schicksal des Siegeskreuzes
Noch reicher verziert als das Engelskreuz ist das Siegeskreuz. In seinem Kern soll das Holzkreuz stecken, mit dem Pelayo und die Seinen in der Schlacht von Covadonga den Sieg gegen die Mauren errungen haben. Das von König Alfons III. im Jahr 908 der Kathedrale von Oviedo gestiftete Kreuz war bei einem Bombenanschlag im Zug des asturischen Bergarbeiterstreiks 1934 schwer beschädigt und bis 1942 restauriert worden. 33 Jahre später wurde es mit anderen Gegenständen von einem 19-Jährigen aus der Camara Santa entwendet und zerlegt. Der Dieb wurde gefasst, ehe er seine Beute verhökern konnte. Das Kreuz wurde soweit wie möglich restauriert und kehrte 1984 in die Camara Santa zurück. Für Elena und die meisten ihrer Landsleute ist auch dieses Kreuz ein unverzichtbares Symbol ihrer nationalen Identität.
Ein Preis für Kunst und Eintracht
Dazu gehört auch der Preis der Prinzessin von Asturien, der alljährlich im Theater von Oviedo, Campoamor, in acht Kategorien vergeben wird. Helmut Kohl hat ihn bekommen und Lula da Silva, Woody Allen und Günter Grass, Philip Roth und Sir Norman Foster aber auch „der Jakobsweg“ und die Stadt Berlin, google und die ISS. Im Oktober wird Meryl Streep den Preis in der Kategorie Kunst aus den Händen der Infantin Leonor von Spanien entgegen nehmen, die seit 2014 auch den Titel „Fürstin von Asturien“ trägt. Als die Stiftung Premios Príncipe de Asturias 2005 ihr 25-jähriges Bestehen feierte, schenkte ihr der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer, 1989 Preisträger in der Kategorie Kunst, den Entwurf für ein Kulturzentrum in Avilés, das Centro Niemeyer.
Im Regen, der an diesem Tag auf die Stadt prasselt, wirkt das eigentlich schneeweiße Gebäude-Ensemble aus einer muschelförmigen Halle, einem gewundenen Steg, einer Kuppel und einem Turm mit einer Art Hut merkwürdig verlassen – fast wie der Landeplatz Außerirdischer. Aber auch das ist Ansichtssache.
Kurz informiert
Anreise. Lufthansa fliegt seit kurzem direkt von Frankfurt (Mi, Fr, So) und München (Sa) nach Oviedo/Asturias, Preis ab 150 Euro: www.lufthansa.com
Der Bus vom Flughafen zum Busbahnhof kostet neun Euro und fährt jede Stunde – auch nach Gijon und Avilés.
Wohnen. Wunderschön gelegen mit schönstem Blick in die Landschaft ist das Ökoresort Pueblo Astur in Cofiño, DZ ab 300 Euro. Tel. 0034/984 /08 18 18, Internet: www.puebloastur.com/en
Wer mal in einem Palacio residieren will, kann das in Avilés tun: Palacio de Avilés, Pl. España, 9, 33401 Avilés, DZ ab 110 Euro, Tel. 0034/985/ 12 90 80 Internet: www.palaciodeaviles.com/
Essen & Trinken. Restaurant auga, C. de Claudio Alvargonzález, s/n, 33201 Gijón, Tel. 0034/ 985/ 16 81 86, Degustationsmenü ab 95 Euro. Internet: https://restauranteauga.com
Sidreria Tierra Astur, C. Gascona, 1, 33001 Oviedo, https://tierre-astur.com
QeseriaMAIN, Sotres de Cabrales, Tel. 0034/618/938044, ein Besuch von Käserei und Reifungshöhle kostet 9,50 Euro www.quesosdecabrales.es
Informieren. Sociedad Publica de Gestión y Promoción Turistica y Cultral de Asturas, C/Luis Moya Blanco 261, 33203 Gijón, www.turismoasturias.es
Hinweis. Die Recherche wurde unterstützt von Lufthansa und dem Spanischen Fremdenverkehrsamt
Juni 18, 2023
Lilo, wieder 1x DANKE für’s Mitnehmen auf eine so herrliche Reise, noch schöner als lesen wäre halt doch: DABEI sein zu können. Anregend zumindest und richtig neugierig machend ganz nebenbei….