Kräuter haben Konjunktur – schon seit Jahren. Das hat sich herumgesprochen. Auch dass immer mehr Menschen wissen wollen, woher das kommt, was sie auf ihrem Teller haben. Im Allgäu hat man sich darauf eingestellt. Es gibt Kräutergarten-Führungen, Kräuterwanderungen und in Stiefenhofen auch einen Kräuterwirt.
Anita Waibel in Gunzesried hat nichts dagegen, als Kräuterweible tituliert zu werden. Der Kräutergarten im Dorf ist ihr ganzer Stolz. Hier wo Beinwell wächst und Salomonsiegel, Liebstöckel und Eberraute, Alant und Ysop ist die geborene Emsländerin in ihrem Element. Hier kann sie genau erklären, welches Kraut für welche Krankheit gewachsen ist: Beinwell gegen Blasen, Eberraute gegen Erkältung, Braunelle gegen ADHS, das Zappelphillipp-Syndrom. Die 67-Jährige hat sich in den 44 Jahren, in denen sie im Allgäu lebt, gut eingewöhnt in ihre Wahlheimat. Nur den Allgäuer Dialekt, der kommt ihr nicht über die Lippen – obwohl sie mit einem typischen Allgäuer verheiratet ist.
Das Gunzesrieder Kräuterweible spricht hochdeutsch, auch wenn sie mit Gruppen im Gunzesrieder Tal unterwegs ist. „Das ist mein Biotop“, sagt sie, „da wächst alles.“ Da kann sie dann auch den wilden Oregano sammeln, der gegen Krankenhauskeime helfe, oder den Spitzwegerich, mit dem man Erkältungen kurieren könne. Wer sich zu einer der beliebten Genusswanderungen anmeldet, bekommt nicht nur lebendige Kräuterkunde geboten, sondern am Ende auch einen Imbiss mit Kräutern. Womöglich auch eine von Anita Waibels köstlichen Limonaden. Ihr Geheimnis verrät die kräuterkundige gelernte Natur- und Landschaftsführerin: Giersch. Die Pflanze, für viele Gärtner ein Feindbild erster Güte, sei immer dabei, getreu ihrer Devise: „Ich sage immer: nicht ärgern, lieber essen.“
In Buhl’s Alpe im nahen Ostertal hat sich die neue Freude an den Kräutern auch schon rumgesprochen. Ein kleiner Kräutergarten wurde angelegt und Wirtin Elvira kann jetzt auch ein Kräutermenü auftischen, bei dem Kräuter Suppen und Saucen verfeinern und auch im Dessert ihr Aroma entfalten.
Ganz auf Kräuter eingestellt ist der Kräuterwirt von Stiefenhofen, Axel Kulmus. Im Garten der Mama hinterm Gasthaus Rössle gedeihen mehr als 100 Kräuter – und die weiß der 46-jährige Wirt, der als Muster-Allgäuer daherkommt, zu nutzen. Die frische Kräuterküche passe zum ländlichen Idyll des Gasthofs, glaubt Kulmus, der in der Haubenküche des Gasthofs Allgäu-Sonne die gehobene Küche gelernt hat. Heute sagt er Sachen wie „Küchenkunst ist Wertschöpfung von Lebensmitteln“. Dafür will Kulmus seine Gäste sensibilisieren und deshalb kocht er am liebsten regional wie den Tafelspitz im Heusud. „Das, was am besten riecht, kommt in den Topf“, erklärt er den Kräutersud, Basis für viele Gerichte, die seine Küche so besonders machen. Hier lässt sich das Allgäu buchstäblich er-schmecken.
Gerne erinnert sich Axel Kulmus daran, wie alles begonnen hat. Damals vor 20 Jahren, als ein Freund ihm ein Büschel Bärlauch brachte, den er dann statt Frühlingszwiebeln in den Kartoffelsalat schnitt. Damals kannte den grünen Knoblauch noch kaum jemand, inzwischen hat sich ein wahrer Bärlauch-Hype entwickelt. Axel Kulmus lacht, wenn er darüber nachdenkt, was sich alles geändert hat, seit er den Bärlauch-Kartoffelsalat serviert hat. Mittlerweile wird ihm sein Bärlauch-Pesto fast schon aus der Hand gerissen. 150 Kilogramm hat er in diesem Jahr produziert.
Die Gäste sind inzwischen Kräuter erfahren. Und, „wenn man sich Kräuterwirt auf die Fahnen schreibt, muss man schon ein bisschen experimentierfreudig sein“. Experimentierfreudig ist der Rössle-Wirt aus Überzeugung, auch wenn er weiß, dass so manches eine Gratwanderung ist. Schließlich waren die Anfänge im Rössle „ein steiniger Grat“. Der Erfolg hat ihn dann fast überrumpelt. Als Trendsetter wurde und wird er gefeiert, gar als Kräuterhexer tituliert. Da winkt Kulmus ab: „Mit Hexerei hat das nix zu tun. Ich bin ein Kräuterwirt, sonst nix.“
Ein bisschen Zauberei ist aber schon dabei, wenn er die Crème brulée mit Lavendel („nicht zuviel, sonst schmeckt’s wie Badewasser“) verfeinert, den Lachs mit Heublumen beizt oder ein Wildkräuterparfait serviert, in dem sich Brennessel, Spitzwegerich & Co von ihrer besten Seite zeigen. Was andere immer noch Unkraut nennen, ist für den Allgäuer Kräuterkoch die Essenz der guten Küche. „Bei mir kriegt’s jeder ab“, sagt er, „und wenn’s nur der Spitzwegerich im Semmelknödel ist“.
Info:
„Kräuerweible“ Anita Waibel, Moosackerweg 1, 87544 Gunzesried, E-Mail: anitawaibel@aol.com, Tel. 08321/5884l, Internet. http://www.wildkraeuterweible.de/
Buhl’s Alpe, Ostertalweg 2, 87544 Gunzesried / Blaichach, Tel. 08321 / 3733, http://www.buhls-alpe.info/
Kräuterwirt Axel Kulmus, Gasthof Rössle, Hauptstraße 14, 88167 Stiefenhofen, E-Mail: info@roessle.net, Tel. 08383/ 92090, www.roessle.net
Tipp: Anita Waibel führt ein Gästehaus, in dem man auch übernachten kann. In Buhl’s Alpe kann man Zimmer und Ferienwohnungen mieten. Und der Landgasthof Rössle in Stiefenhofen ist auch ein Hotel mit ganz individuell eingerichteten Zimmern.