Von wegen: Der Zug ist abgefahren. Wien rüstet auf – auch im Zugverkehr. Zwar wird am neuen Hauptbahnhof noch fleißig gebaut. Aber seit Dezember fahren schon die ersten Züge und die offizielle Eröffnung im nächsten Jahr scheint nicht infrage gestellt. Und seit die Züge durch den Lainzer Tunnel brausen können, ist man von Deutschland aus noch schneller in der Österreichischen Hauptstadt. 20 Minuten spart man auf der Bahnstrecke von München nach Wien. Macht 40 Minuten hin und zurück. Für einen ausgedehnten Einkaufsbummel reicht die Zeit nicht, aber für einen Spaziergang über den Naschmarkt, eine Stippvisite im Museum oder sogar für einen Schnitzel-Workshop. Wir haben’s ausprobiert.
Nach knapp vier Stunden hält der weinrote
Railjet im
Wiener
Westbahnhof. Die österreichische Hauptstadt empfängt uns im Winterkleid. Weiß überpudert sind die Straßen und Gehwege, die Kuppeln tragen weiße Hauben, die Statuen hüllen sich in weiße Mäntel und noch immer fällt das Weiß vom Himmel – in dicken, weißen Flocken.
Unterm
Westbahnhof fährt die U-Bahn ab Richtung Museumsquartier. Da sind wir dann auch schon mittendrin in
Wien. Könnten auch ins Leopold Museum gehen zu den Werken des Secessionismus oder uns im Naturhistorischen Museum über die „Hominidenevolution“ informieren. Aber uns interessiert das
Kulturhistorische Museum als Gesamtkunstwerk mit seinen wunderschön gestalteten Wänden und den von
Gustav Klimt geschaffenen Leinwandbildern zwischen den Säulen über dem Treppenaufgang. Für die neu eröffnete Kunstkammer bleibt keine Zeit, zu groß ist der Andrang und wir haben es versäumt, uns ein Zeitfenster zu reservieren. Die legendäre
Saliera, das goldene Salzfass von Benvenuto Cellini aus dem 16. Jahrhundert, muss also noch auf uns warten. Dafür gönnen wir uns einen ausführlichen Blick auf die fantastische Brueghel-Sammlung des Hauses und auf Dürers Landauer Altar, der ob seiner unerhörten Farbigkeit schon fast kitschig wirkt. Wir könnten jetzt gleich im Museum bleiben, unter der prächtigen Kuppel im Museumscafé einen Einspänner trinken und die kunstgesättigte Atmosphäre auf uns wirken lassen. Aber wir wollen ja was erleben – in kurzer Zeit.
Also weiter zur
Hofburg und zur
Hofreitschule. Seit neuestem kann man dieser Wiener Institution aufs Dach steigen – genauer: in den Dachstuhl. Bei einem geführten Rundgang für maximal 20 Personen wandelt man in einer Art
„Zwischenzone“ auf Holzdielen über der grandiosen Stuckdecke, die an dicken Eisenbändern befestigt ist und wundert sich trotzdem, dass sie immer noch hängt. Wie ein Irrgarten mutet das Gebälk darüber an. 2000 Fichten und Tannen, hören wir, wurden für diesen Dachstuhl in den Jahren 1724 bis 1735 verbaut – ein ganzer Wald. Ein kleines Dachfenster erlaubt den Blick nach draußen auf die heute so weißen Dächer Wiens bis hin zum Stephansdom. Ein seltener Anblick.
Nur einen Katzensprung ist’s von hier zu Plachuttas Gasthaus zur Oper, wo die Klassiker der Wiener Küche auf den Tisch kommen und der mittlerweile 72-jährige Patron hin und wieder persönlich sein Rezept für das Original Wiener Schnitzel verrät. Das kann man übrigens in 40 Minuten nicht nur braten, sondern auch noch essen. Dass das Gasthaus zur Oper, in dem sich modernes Design und Wiener Tradition aufs Schönste begegnen, der „place to be“ ist, sehen wir aufs erste. Bis auf den letzten Tisch sind die Stuben besetzt. „Es gibt schon Tage, an denen wir 1000 Gäste haben“, sagt Ewald Plachutta und lächelt sein feines Lächeln. Den Erfolg verdanke das 2011 eröffnete gastliche Haus seinem Sohn, erklärt der stolze Vater, der schon im zarten Alter von 14 Jahren eine Kochlehre gemacht hat. „Damals konnte ich mir weder eine Kochjacke noch eine Pepitahose leisten“, erinnert sich der alte Herr in der blütenweißen Kochjacke. Seit 2005 kann er sich auch Professor nennen. Seine Profession ist für den Meisterkoch längst Berufung. 1979 hat er sich selbstständig gemacht, und inzwischen führt Sohn Mario ein regelrechtes Plachutta-Imperium. Des Vaters Leidenschaft gilt noch immer dem Rindvieh und der traditionellen „Wiener Teilung“. Die findet sich auch im „Goldenen Plachutta“, dem opulenten Kochbuch, das man auch hier kaufen kann – mit der Signatur des Patrons, versteht sich.
Uns aber interessiert nur das Kalbsschnitzel, das klassisch aus der Schale geschnitten wird, dem „Kaiserteil“. Was die Würze angeht, ist der Meister puristisch. „Wir pfeffern nicht“, sagt er streng. Und als Beilage gestattet er nur ein Stück Zitrone und den Erdäpfelsalat, „sonst gar nichts“. Dünn geschnitten wird das Schnitzel, maximal sechs Millimeter, mit griffigem Mehl bestäubt, in verschlagenes Ei getaucht in Bäckerbröseln gewälzt, ehe es in heißem Fett schwimmend heraus gebacken wird. In grade mal vier Minuten ist das Wunderwerk vollbracht. Uns läuft beim Anblick des
goldgelben Prachtstücks das Wasser im Mund zusammen. Und dann steht es schon auf dem Tisch: Das Original
Wiener Schnitzel „aus dem besten Teil des Kalbes“, mit Erdäpfelsalat für 18,70 Euro.
Jetzt könnte man noch schnell zum neuen
Hauptbahnhof fahren, und schauen, warum hier funktioniert, was in Stuttgart zu scheitern droht. Immerhin sind die
Wiener so ziemlich im Zeitplan mit ihrem neuen
Hauptbahnhof, einer der bedeutendsten Infrastrukturmaßnahmen der Nachkriegszeit. Entsteht doch hier nicht nur aus bisher zwei Sack-Bahnhöfen ein neuer Durchgangsbahnhof , der Österreichs Hauptstadt in allen Himmelsrichtungen vernetzt, sondern auch ein neues Wohnviertel. Eine Milliarde Euro investieren die Österreichischen Bundesbahnen in dieses Projekt, deutlich mehr als die ursprünglich geschätzten 420 Millionen. 500 Millionen Euro steuert die Stadt Wien für die Stadtentwicklungsmaßnahmen bei. Weitere Gelder kommen von privaten Investoren. Obwohl auch der
Wiener Hauptbahnhof mehr Geld verschlingt als anfänglich geplant und obwohl vor allem die nötigen Abbrucharbeiten mit viel Lärm verbunden waren, blieb in
Wien der große Aufschrei aus. Und der Baufortschritt kann sich sehen lassen. Seit August letzten Jahres fahren die ersten Züge durch, im Dezember wurden vier von zehn Bahnsteigen und fünf von zwölf Gleisen in Betrieb genommen. Die Dachlandschaft, die an lang gestreckte Schlangen erinnert, ist zum größten Teil fertig gestellt. Da scheint der offizielle Eröffnungstermin am 14. Dezember 2014 durchaus realistisch. Vielleicht lag’s ja an der Informationspolitik, dass die
Wiener das Granteln vergessen haben. Im Bahnorama, der fünf Millionen teuren Infobox, bekommen Interessierte seit 2010 auf drei Ebenen Antworten auf ihre Fragen und im angeschlossenen Holzturm können sie auf die Baugruben und den empor wachsenden Bahnhof hinunter schauen. 250 000 Menschen haben das bisher getan, wir auch. Es lohnt sich.
Gleich unterm Hauptbahnhof fährt eine Tram zum Westbahnhof und bringt uns zurück zum Ausgangspunkt unserer Stippvisite. Jetzt könnte man noch ins Ronacher gehen und das neue Musical „Natürlich blond“ anschauen oder ins Burgtheater zu Ferdinand Raimunds „Alpenkönig und Menschenfeind“. Wir lassen uns lieber treiben durch die Mariahilfer Straße, schnuppern ein bisschen Lifestyle im „Freiraum“, knabbern Sushi im trendigen Dots, wo der venezianische Spiegel im Damenklo mit seinen indiskreten Einblicken für Aufregung sorgte, und landen schließlich bei einem gigantischen Backhendel im populären Gasthaus Steman.
Am nächsten Tag bleibt noch genügend Zeit für einen Bummel über den
Naschmarkt, Wiens größten Obst- und Gemüsemarkt, wo wir uns gar nicht satt sehen können an all den Leckerbissen, die sich uns so einladend präsentieren. Doch wir wollen auch noch wenigstens eines der berühmten Kaffeehäuser von innen sehen. Das
Café Sperl am Spittelmarkt ist vom
Naschmarkt aus fußläufig. Hier haben Klimt & Co einst ihre „kleinen Braunen“ mit Skizzen auf dem Kaffeehauspapier bezahlt und Franz Lehar hat am Stammtisch Hof gehalten. Noch immer ist das Sperl bei Wiens Literaten beliebt, weil sie hier wie eh und je ganz ungestört Kaffee trinken und Zeitung lesen können. Letzteres heben wir uns für die Bahnfahrt auf. Für einen großen Braunen und einen Apfelstrudel reicht die Zeit noch, ehe uns die U-Bahn zurück zum
Westbahnhof bringt, wo der
Railjet pünktlich abfährt.