Der Geschmack der Heimat

WALDTEE Wild- und Pilzbrühe mit Douglasienöl

EIN BLATT SPINAT mit Cassis und Pilz

INGREISCH gebacken mit Meerrettich-Wasabi

SCHLACHTSCHÜSSEL Kartoffel mit milchsauerem Blaukrautsaft und gereifter Mangalica-Leber

BROTZEIT Sauerteigbrot, doppelt fermentierter Butter mit Charcuterie und Gemüse-Pickles

GÄNSEKLEIN scharf gebraten mit Moruga-Chilli und Topinambur

ZUCKERHUT gegrillt mit Quitte, reduzierter Schafsmolke und gehobelten Haselnüssen

STÖR trockengereift und gedämpft mit Rauchschmand, Nelkenschwindlinge und Hechtbottarga

WILD & REIF langsam gebratenes Wild mit gereiften Kräutern und Beeren

STECKERLESWALD winterliche Nadeln und Zapfen mit Preiselbeere

WINTERSALAT Bittersalate mit Vereins-Dechant-Birne, Holunderessig und Kürbiskernöl

Gereifte  Beeren und Kräuter ergänzen den Wildgeschmack

 

Zum Einstand gibt‘s einen Waldtee auf der Basis einer Wildbrühe mit ein paar Tropfen Douglasienöl. Und gleich danach als Appetithappen ein Spinatblatt mit gebratenen Pilzen und Gemüsewürfel. Schon was anderes als der übliche Apéritif zur Amuse gueule im Feinschmeckerlokal. Aber eine Sterneküche stellt man sich gemeinhin auch anders vor. Das etz in einem Nürnberger Hinterhof sieht sich denn auch eher als Versuchslabor für eine neue, bodenständige und naturreine Küche. Hier wird nicht nur gegessen, hier wird auch Überzeugungsarbeit geleistet.

Ein Spinatblatt als Appetithappen

Spirulinaalgen und schwarzer Knoblauch

Deshalb dürfen die Gäste in die Räume, wo die selbst entwickelten Schätze lagern: Sojasaucen in blau dank der Spirulinaalgen, die mit Aspergillus Oryzae, einem Schimmelpilz, beimpft werden. Fermentiertes Obst und Gemüse, schwarzer Knoblauch, Miso, Essige. Das hat was von einem Labor, finde ich. Tatsächlich finden hier auch chemische Prozesse statt – in der Fermentation.

Die Wissenschaft der Fermentation

Die wird in der Versuchsküche demonstriert, als Methode, regionalen Produkten einen ganz neuen Geschmack zu verleihen. Das hat schon eine lange Tradition, ist aber bis heute eine Wissenschaft für sich. Schwarzer Knoblauch etwa, erfahre ich hier, wurde in chinesischen Klöstern entwickelt. Auf dem Tisch liegen auch noch verschrumpelte Hutzelbirnen. Und was ist dieses undefinierbare Schwarze, das so ein bisschen aussieht wie eine verbrannte Echse? Der ursprünglich weiße Rettich ist zur Unkenntlichkeit geschrumpft. Daneben macht sich ein großes Stück Fleisch mit dickem Fettrand breit.

Fermentiertes:  Hutzelbirnen, weißer Rettich, schwarzer Knoblauch

Das Beste aus Franken

Man sieht schon: Zweisterne-Koch Felix Schneider,- kurzes Blondhaar, braune Augen, Bart – legt großen Wert auf Selbstproduziertes, auf regionale Gemüse, auf Fleisch und Fisch aus der Gegend. Lebensmittel sind das für den 37-Jährigen, nicht einfach Nahrungsmittel. Seit 2015 kommt im etz „das Beste aus der Region Franken“ auf den Tisch. „Wir haben hier so unfassbar viel,“ ist Felix überzeugt, „aber es wird nicht wertgeschätzt“. Dass sich das ändert, hat sich das etz zur Aufgabe gemacht.  Wer hier arbeitet, ob Koch oder Azubi, muss eine Leidenschaft für Lebensmittel und fürs Kochen mitbringen.

„Ultra-Zicke“ Sauerteig

Wie Stefan Frank, Koch und Patissier, der gerade demonstriert, wie gutes Brot entsteht. Das Mehl kommt von einem „Brotenthusiasten“, der früher Herzschrittmacher produziert hat, berichtet der schlanke, groß gewachsene 30-Jährige mit der hohen Stirn und den dunklen Locken. Denn gutes Mehl sei das A und O eines guten Brotes. Und dann erst der Sauerteig!

Liebevolle Zuwendung: Stefan Frank und sein Brot

„Da ist immer ein Stück von einem selbst dabei“, sagt Stefan und schaut treuherzig. Ganz viel Gefühl brauche es, denn „so ein Teig ist enorm anspruchsvoll“. Schließlich muss er regelmäßig „gefüttert“ werden – mit Mehl und Wasser. Eine „Ultrazicke“ sei dieser Sauerteig. Aber auch die Herstellung des Sauerteigbrots ist laut Stefan „pflegeintensiv“. Der Mehlkörper braucht Zeit, damit er quellen kann, gibt er zu bedenken, während er fast zärtlich den runden „Mehlkörper“ tätschelt, den er gerade geknetet hat. „Esst Sauerteigbrot“, gibt er uns noch mit auf den Weg, ehe er sich wieder seinem Brotteig zuwendet.

Alles  Handarbeit

Die etwas andere Brotzeit

Das fertige Brot steht auf dem Tresen im Restaurant, wo schon die Tische gedeckt sind. Ein paar Köche dekorieren noch die „Brotzeit“, Keramikbretter mit Schinken und Wurst, dazu Gemüsepickles – aus eigener Herstellung natürlich. Alles so frisch und ansehnlich, dass mir das Wasser im Mund zusammenläuft. Schließlich weiss ich inzwischen, dass auch das Fleisch im etz etwas Besonderes ist. Auch hier gilt die Regel „from nose to tail“, von der Nase bis zum Schwanz. Will heißen, hier wird das ganze Tier verarbeitet.

Ein Augenschmaus: Charcuterie und Gemüsepickles

From nose to tail

Was in Plachuttas „Klassiker der Wiener Küche“ selbstverständlich ist und später vom britischen Koch-Revolutionär Fergus Henderson im Kochbuch „Nose to tail eating“ aufgegriffen wurde, findet auch unter den jungen Köchen immer mehr Anhänger. Wenn man ein Tier schon tötet, sollte man soviel wie möglich davon verwenden. „No waste“, möglichst keinen Abfall, hat sich auch Jockl Kaiser, der Chef von Meyer‘s Keller in Nördlingen auf die Fahne geschrieben. Dabei spielt für den Einsterne-Koch die Innereien-Küche eine wichtige Rolle: Kalbsbries, Leber, Herz, Kutteln und Geflügelklein müssen dem Gast schmackhaft gemacht werden. Und plötzlich entdecken die Gäste ganz neue Genüsse – nicht nur beim Fleisch.

Jockl Kaiser arbeitet nach dem Prinzip „no waste“, keine Verschwendung.

Mehr als nur Filets

Lukas Nagl, Koch des Jahres 2023, setzt auch bei Fischen auf das Prinzip. Inspiriert wurde er dazu bei Reisen in Afrika, genauer auf Sansibar, wo die Fischer ihren gesamten Fang an einen Stock binden und als Paket zur Versteigerung anbieten, kleine und große Fische, feine und weniger leckere. Für den österreichischen Haubenkoch, der im Bootshaus des Hotels Traunsee auftischt, heißt das, dass er den Traunsee-Fischern immer ihren ganzen Fang abnimmt, nicht nur die größten Prachtexemplare. Und „vom Kopf bis zur Schwanzflosse“ gibt es auch bei den Fischen viel mehr als nur Filets. „Wir werfen heute viel zu viel weg“, kritisiert Nagl und findet sich dabei auf einer Linie mit Felix Schneider.

So präsentiert Lukas Nagl seine Speisekarte

Vier Schweine im Jahr

Auch im etz wird sorgsam mit den Ressourcen umgegangen. Ganze vier Mangaliza-Schweine aus dem Steigerwald, die exklusiv für sie aufgezogen werden, verarbeiten die Köche im Jahr. Und das Rind, das sie alle 14 bis 16 Monate bekommen, wird komplett verwendet. Das meiste, was später auf den Tisch kommt, wird selbst produziert wie die Butter oder der Schinken, die Öle oder der Essig. Noch mehr wird selbst angebaut oder von bekannten Produzenten aus dem Knoblauchland bezogen. Klein aber fein sei dieses Anbaugebiet, sagt Felix, immerhin das größte Gemüseanbaugebiet Deutschlands.

Qualität vom Archehof

Milch, Eier und Käse kommen vom nahen Archehof, wo es neben Schafen und Hühnern auch Ziegen, Esel und Hasen gibt. Alles in einer Qualität, die man „so nicht kaufen kann“.  Dass den Gästen auch hin und wieder etwas aufgetischt wird, was sie eher abgelehnt hätten, gehört zur Küchen-Philosophie. Ingreisch etwa steht auf der Speisekarte. Das sind gebackene Fischinnereien – ein erstaunliches Geschmackserlebnis.

Die knusprige Vorspeise besteht aus Fischinnereien,  Ingreisch.

Freude an Geschmacksexplosionen

Schon längst schaue man nicht mehr nach Frankreich, nach Austern oder Hummer. Auch nicht nach Italien zu Parmaschinken oder Parmesan, sagt Felix. Lieber setzt er auf Fermentation, um ähnliche Geschmacksrichtungen auch bei heimischen Produkten zu erreichen. Durch diese „komplexe Kochtechnik“ gelinge eine Metamorphose, die zu einer wahren Geschmacksexplosion führen könne. Für das selbst gemachte Miso etwa braucht man im etz keine Sojabohnen, Erbsen oder Wirsing tun es auch.

Wo die Früchte reifen

„Das etz ist nicht nur eine Küche, sondern ein Veredelungsbetrieb“, sagt der Sternekoch. „Wir kaufen Obst, vermaischen es, stellen Alkohol daraus her, später Essig. Darin wird dann Gemüse eingelegt, um es zu konservieren.“ Und so ruhen und reifen derzeit in den Regalen der Versuchsküche „die Früchte des vergangenen Jahres“ und entwickeln langsam und ungestört ihre Aromen, den Geschmack nach Heimat.

Eingelegtes in der Versuchsküche

Info: 
etz,  Wiesentalstr. 40, Eingang über Hofeinfahrt Kirschgartenstr. 4,
90419 Nürnberg, https://etzrestaurant.de/
Das Menü kostet 235 Euro mit Wasser und Kaffe. Die Weinbegleitung dazu gibt’s ab 100 Euro, alkoholfreie Getränke als Begleitung ab 95 Euro. Fünf Stunden muss man für den Genuss einplanen und am besten vier Wochen vorher reservieren.

Meyers Keller,  Marienhöhe 8,  86720 Nördlingen,  www.jockl-kaiser.de 
Restaurant Bootshaus im Hotels Das Traunsee. Klosterplatz 4
A-4801 Traunkirchen. www.dastraunsee.at/restaurant-bootshaus/

Hinweis.  Die Recherche wurde unterstützt von Bayern Tourismus Marketing

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