Das wahre Leben wollen die Führer von Carpe Chepe den Touristen in San José zeigen. Die lange vernachlässigte Hauptstadt von Costa Rica soll besser wahrgenommen werden, hofft Carpe-Chepe-Gründer Marcos Pitti. „Die Leute fliegen auf Costa Rica, aber San José lassen sie links liegen.“ Das soll sich ändern – auch mithilfe der ungewöhnlichen Stadtführungen. Wir haben ein bisschen hineingeschnuppert in das Programm, haben ein paar Craftbiere probiert – und schon bald den letzten Drink zum Abschied genommen. Ganz anders als die Ticos, die ihren „zarpe“ gerne so lange wiederholen, bis der Morgen graut. Aber wir haben ja auch noch einiges vor und müssen früh raus aus den Federn.
In der Propellermaschine über Palmen
Am Inlandsflughafen von San José, da, wo die kleinen Maschinen von Sansa starten und landen, fühle ich mich wie auf einer Zeitreise. In Augsburg sah es auch einmal so aus. Damals, als man von meiner Heimatstadt noch nach Berlin fliegen konnte oder nach Neapel. Ein paar Sitze für die Wartenden, ein Counter, der schon einige Jahre auf dem Buckel hat und ein Café, das so früh noch geschlossen ist. Die Internetverbindung ist schwach, aber alle tippen auf ihren Smartphones herum. Was soll man auch sonst machen beim Warten auf den Abflug? Die Propellermaschine ist wirklich klein. Wie gut, dass ich nur wenig Gepäck habe. Dafür ist der Flug ein Erlebnis. Wir schweben über einem grünen Costa Rica, staunen über den schimmernden Küstenstreifen und kommen den Palmöl-Plantagen – ja, die gibt es hier auch – so nahe, dass wir die einzelnen Palmwedel voneinander unterscheiden können. Dann landen wir sanft auf dem winzigen Flughafen von Palmar Sur.
Unser Boot reitet die Welle
Hier holt uns ein Auto ab, das uns in die kleine Ortschaft Sierpe bringt. Von da geht‘s weiter per Boot auf dem Sierpe Fluss zur Dschungellodge Casa Corcovado am Rand des Nationalparks. Fabian mit dem schwarzen Zopf unter der Baseball-Kappe ist unser Guide auf dem Boot, das Roberto steuert. Der braun gebrannte Käpt‘n mit der verspiegelten Sonnenbrille im markanten Gesicht scheint die Adressen interessanter Tiere gespeichert zu haben. Fabian ist ganz aus dem Häuschen. Bravo, Roberto, ruft er ein ums andere Mal, wenn der Kapitän das Boot zu einem Baum mit Affen oder zu einem Krokodil im Wasser gesteuert hat. Wir machen, was die beiden erwarten und fotografieren, was wir sehen. Ein übermütiges Kapuzineräffchen ist über unser Eindringen in seine Privatsphäre nicht so erfreut, fletscht die Zähne und macht Anstalten, auf unser Boot zu springen. Roberto bleibt cool und wendet das Boot. Dann macht er noch einen Abstecher ins Mangroven-Dickicht, wo wir das komplizierte Wurzelgeflecht bestaunen und Fabian über das Ökosystem der Mangroven referiert. Den Übergang vom Fluss zum Meer lässt Roberto uns spüren, indem mit dem Boot die Wellen reitet wie ein Surfer. Rafting-gestählt jubeln wir bei jeder Welle. Dann sind wir im Pazifik. Am Ufer wiegen sich Palmen im Wind, das Wasser schillert türkisblau.
Uriger Shuttle zur Casa Corcovado
Die Halbinsel Osa im Süden von Costa Rica gilt als wild und unberührt. Aber natürlich gibt es auch hier Touristen – und Lodges. Wir werden zwei Nächte in der Casa Corcovado verbringen, weitab der Zivilisation, mitten im Regenwald. Schon der Shuttle ist urig: Eine Art Traktor mit Anhänger, auf dem wir Platz nehmen, holt uns ab und bringt uns über haarscharfe Serpentinen nach oben vorbei an der Bar, wo die Gäste sich gerne zum Sundowner verabreden. Ein echter Sonnenuntergang bleibt uns während unseres Aufenthalts allerdings verwehrt. Zu dicht ist die graue Wolkendecke an den Abenden.
Ameisenbär und Tapir wohnen auch hier
Die kleine Siedlung wirkt sehr zivilisiert, die Wege sind perfekt geharkt, das Restaurant ist in einem eher europäisch wirkenden Haus mit Buntglasfenstern untergebracht, am Pool stehen Liegen unter Sonnenschirmen und weiter oben liegen verstreut die Häuschen, komfortabel mit großen Bädern und Außenduschen aber ohne überflüssigen Luxus. Wäre da nicht der Ameisenbär, der hin und wieder auf den Wegen unterwegs ist, der Tapir, der manchmal um die Häuser schleicht, oder das Geschrei der Brüllaffen – man könnte auch meinen, irgendwo im Süden Europas zu sein.
Der Pionier aus Chicago
Dass der Schein trügt, erklärt uns Steven Lill, der Besitzer der Lodge, gleich zum Einstand. Ohne Taschenlampe, ermahnt er uns, sollten wir uns nachts auf keinen Fall im Gelände bewegen. Schlangen oder Skorpions könnten unseren Weg kreuzen. „Schauen Sie immer genau hin, wohin Sie treten,“ sagt Steven. Der Mann aus Chicago, der mit seinen grauen Haaren und der Brille wie ein smarter Businessman aussieht, hat sich mit Haut und Haaren dem Projekt Corcovado Foundation verschrieben. Die Stiftung arbeitet mit den örtlichen Communities zusammen, um die bislang noch weitgehend unberührte Umwelt zu erhalten. „Man muss bei den Menschen das Bewusstsein für die Schönheit ihrer Natur wecken,“ ist Stevens Überzeugung. Für ihn ist Corcovado auch nach über 40 Jahren „eine Wunderwelt“.
Ein Zertifikat als Lohn fürs Engagement
Es war reiner Zufall, dass er 1975 als 23-jähriger Anthropologie-Student bei einer Backpacker-Tour mit einem Freund hierher kam. Der Dschungel, das Meer, die Tiere: Die beiden Männer waren begeistert. Hier wollten sie ihre Zukunft aufbauen. Sie kauften ein kleines Stück Land und versuchten sich zunächst als Kakao-Farmer. Dann zerstörte ein Pilz die Pflanzen – und Steven beschloss, etwas ganz Neues zu machen. Nachhaltiger Tourismus bietet seiner Meinung nach den Einheimischen die besten Chancen, auch in Zukunft hier zu leben. So begann die Geschichte der Corcovado-Lodge, die vom Staat Costa Rica als zweites Hotel des Landes mit dem „Certificate of sustainable Tourism“ ausgezeichnet wurde, wie Steven mit unverhohlenem Stolz betont.
Mit Manfred im Dschungel
Das der Dschungel in Costa Rica „nirgends höher und vielfältiger“ ist, erleben wir am nächsten Tag bei einer Dschungelwanderung mit Fabian und Manfred. Nein, Manfred Garcia ist kein Deutscher. Der Name Manfred, sagt der dunkel gelockte Guide sei in Costa Rica sehr beliebt. In seiner Grundschule war er einer von drei Manfreds, und Costa Ricas Fußballstar Manfred Russell sorge für einen neuen Hype des Namens. Manfred und Fabian kommen beide aus San José – und sie wollen beide nicht in die Stadt zurück. Die Liebe zur Natur verbindet den 49-jährigen Manfred und den 30-jährigen Fabian.
Milky Tree und Walking Palm
Zu jedem Baum, jedem Ameisenhaufen könnten sie eine Geschichte erzählen. „Die Pflanzen haben unterschiedliche Überlebensstrategien,“ erklärt Manfred. „Es geht immer um Licht und Wasser.“ Und Fabian ergänzt, dass die Menschen, die hier lebten, den Dschungel zu nutzen wussten, den Saft des nur hier heimischen Milky Tree etwa als Medizin, seine Rinde für Kleidung – und den ganzen Baum für religiöse Zwecke. Wir bestaunen die „Walking Palm“, die wandernde Palme, die sich im Jahr ein paar Zentimeter bewegt, um besser von der Sonne zu profitieren. Wir erfahren, dass die Blattschneider-Ameisen dafür sorgen, dass der Dschungel lichter wird. Und wir bewundern die Aras, die für die Ausbreitung der Mandelbäume zuständig sind, weil sie die Früchte fressen und die Schalen auf den Boden werfen, wo dann neue Bäume sprießen. „Das Wichtiste im Regenwald ist die Interaktion,“ resümiert Fabian. „Der Wald ist ein Sanctuary, ein Heiligtum.“
Erfrischendes Bad am Wasserfall
Wir wandern über Stock und Stein, es ist feucht und schwül in dieser grünen Kathedrale. Tiere lassen sich nicht blicken und doch birst dieser Dschungel vor Leben. Fabian entdeckt Jaguar-Spuren auf dem Weg, dann eine Kreuzung zwischen einer Vogel- und einer Pumaspur, wir hören Gezirpe und Tirilieren und das Geschrei der Brüllaffen. Und dann freuen wir uns, dass dieses Natur- „Heiligtum“ auch ganz banale Freuden bietet – einen Wasserfall, in dem man baden kann. Genussvoll tauchen wir unter in dem kühlen Gumpen, lassen uns vom Wasser umspülen und tollen herum wie die Kinder. Die Erfrischung tut gut nach dem schweißtreibenden Marsch. Jetzt geht‘s immer dem Bach entlang bis zum Strand. An der Mündung deutet Fabian auf zwei Krokodile, die faul in der Sonne liegen. Auch sie haben in „unserem“ Bach gebadet…
Baden in der Brandung
Die ausgebleichten Baumrelikte am Strand wirken wie Skulpturen, Landart der Natur. Wir wandern durch schwarzen Sand und recken den Hals, um auf den Mandelbäumen ein schnäbelndes Ara-Pärchen zu beobachten, das sich von uns nicht stören lässt. Allmählich meldet sich ein Hungergefühl und wir freuen uns auf das Büffet am Meer. Am Himmel ballt sich eine Wolkenfront, ein paar Tropfen fallen, es weht kräftig. Aber wenigstens einmal wollen wir im Pazifik baden. Also nichts wie rein in die Brandung. Wer nicht schnell genug die ersten Brecher überwindet, wird gleich wieder ausgespuckt an den Strand. Unter der Dusche wasche ich den schwarzen Sand aus meinem Bikini und von meinem Körper. Dann mache ich mich an den Aufstieg zu meinem Häuschen. Es geht steil bergan und bald steht mir der Schweiß auf der Stirn. Da kommt der Aussichtspunkt gerade recht. Ich blicke hinunter auf den Strand und hinüber zur Isla del Caño, dem Schnorchelparadies, das uns wegen des Wetters versagt bleibt. Ein Boot wird von den Wellen herumgewirbelt wie eine Nussschale – ich bin froh, dass ich da nicht drinsitze.
Abschiedsstimmung auf dem Boot
Beim Abschiedsessen kommt ein bisschen Wehmut auf. Wie gestern haben wir vergeblich auf den fotogenen Sonnenuntergang gewartet. Die Tage im Paradies von Costa Rica waren wieder mal viel zu kurz. Es gäbe noch so viel zu sehen und zu erleben. Aber wir haben ja noch (fast) einen Tag vor uns. Am nächsten Morgen bringen uns Manfred, Fabian und Roberto mit dem Boot zurück nach Sierpe. Die Stimmung ist nicht mehr so fröhlich wie zwei Tage zuvor, aber in Robertos Sonnenbrille spiegelt sich ein Himmel, der so blau ist wie das Meer und am Strand werfen die Palmen filigrane Schatten. Wir sind noch mittendrin im Paradies – und haben noch eine schöne Tour vor uns.
Zu Besuch bei der Baumboa
In Sierpe warten schon Guide Cesar und Kapitän Felix, um uns das größte Mangroven-Reservat Lateinamerikas im Terraba-Sierpe-Mündungsgebiet zu zeigen. Wir haben ja schon viel gesehen, aber den beiden gelingt es uns immer wieder zu überraschen. Wie Roberto kennt auch Felix die Hausnummern der Tiere, weiß wo die Baumboa am liebsten in der Sonne liegt, wo sich Tigerreiher und Aras begegnen und wo eine ganze Leguan-Familie zuhause ist. Wir gruseln uns vor einem dicken Krokodil, das im offenen Maul zwei Reihen scharfer Zähne zeigt, lachen über den total entspannten Ameisenbär im Bambus und bewundern die winzigen Fledermäuse auf einem Baumstamm.
Ein Museum im Nirgendwo
Noch ein Costarikanischer Lunch in der Sopa von Sierpe, ein letztes Bier, ein paar Souvenirkäufe. Dann geht‘s zum letzten Programmpunkt dieser Reise durch Costa Rica, der Finca6. Das archäologische Museum für Steinkugeln, die „Spheres“ ist nur über eine Schotterstraße zu erreichen und wirkt ziemlich verlassen. Die Frau an der Kasse scheint sich über unser Gruppe denn auch mehr zu wundern denn zu freuen. Sie gibt uns eine Plan und überlässt uns dann uns selbst und unserer Entdeckerlust. Schade, dass wir nur mehr wenig Zeit haben. Diese kugelförmigen Steine, die bis zu zweieinhalb Meter Umfang haben und bis zu 16 Tonnen schwer sein können, sind äußerst interessant. Sie wurden 1930 bei Rodungsarbeiten für Bananenplantagen wieder entdeckt und stammen wohl als präkolumbianischer Zeit. Doch so recht weiß bis heute niemand, wann genau und wozu sie geschaffen wurden. Doch in der freien Natur entfaltet ein Halbkreis aus den „Espheras de Piedra“ eine fast magische Atmosphäre.
Rückflug im Schlaf
Inzwischen hat sich eine dunkle Wolkenwand aufgebaut. Es sieht nach Gewitter aus. Und da wollen wir mit der Propellermaschine zurück nach San José! Am winzigen Flughafen sitzt schon eine Gruppe, die seit eineinhalb Stunden auf ihren Flug wartet. Hoffentlich kommt unsere Maschine überhaupt an. Wie gut, dass wir einen stundenlangen Puffer eingebaut haben. So haben wir wenigstens die Chance, den Rückflug nach Deutschland zu erreichen. Am Ende klappt alles. Wir überwinden mit dem kleinen Flieger Wolkenberge und landen sicher in San Josè. Ein kleiner Fußmarsch bringt uns zu den Internationalen Abflügen. Wir haben sogar noch Zeit, in der Business Lounge ein Bier zu trinken. Diesmal fliegen wir ganz bequem – in der Business Class. Und die Zeit vergeht buchstäblich im Flug, denn ich verschlafe Stunden und kein Film kann mich wach halten. Dafür träume ich – natürlich von Costa Rica und Erlebnissen, die ich nicht missen möchte.
Kurz informiert
Anreisen. Lufthansa fliegt seit kurzem direkt von Frankfurt nach San José. Der rund 14-stündige Flug ist in der Economy ab 555 Euro zu haben. Ab 849 Euro kostet die Premium Economy, und für die Bequemlichkeit in der Business Class muss man ab 2640 Euro hinblättern: www.lufthansa.com
Condor fliegt über die Dom Rep nach San José. Ab München zahlt man für den Flug beispielsweise ab 269 Euro: www.condor.com
Inlandsflug nach Palmar Sur ca 50 Euro.
Zeit. Plus acht Stunden zur europäischen Sommerzeit.
Bezahlen. Die Währung in Costa Rica heißt Colon. Ein Euro entspricht etwa 700 Colones.
Wohnen. In San José gibt es Hotels in verschiedensten Preis- und Qualitätsklassen. Günstig gelegen ist das Radisson San José mit Pool und Bier-Kneipe, ab 109 Euro fürs DZ: www.radisson.com/san-jose-hotel-cr-494-1007/crsanjos
Die Pacuare Lodge ist ein Luxusdomizil, das am schönsten per Raft zu erreichen ist. Zwei Nächte in der „green season“ (Mai bis Ende Juni, Mitte August bis Mitte Dezember) kosten ab 965 Euro pro Person inklusive Transport, Rafting, Aktivitäten und Mahlzeiten – ohne alkoholische Getränke: www.pacuarelodge.com
Casa Corcovado Jungle Lodge zahlt man ebenfalls in der „green season“ für zwei Nächte pro Person ab 1055 Euro inklusive Transport, aller Aktivitäten und Mahlzeiten – ohne alkoholische Getränke: https://casacorcovado.com
In Sierpe kann man auch günstig übernachten, in der Soda „Perla del Sur“ etwa ab 25 Dollar Pro Person: www.laperladelsur.cr/
Eine dreistündige Fahrt durch das Mangroven-Reservat ist dort ab 35 Dollar zu buchen.
Finca6 Der Eintritt ins Archäologische Museum mit den Steinkugeln, die zum Unesco Weltkulturerbe zählen, kostet 6 Dollar. Man sollte sich Zeit nehmen, das Museum, den Film und die Gegend mit den Steinkugeln auf sich wirken zu lassen: www.museocostarica.go.cr/es_cr/exhibiciones-permanentes/sitio-museo-finca-6-palmar-sur-de-osa-punta-2.html?Itemid=65
Informieren. Instituto Costarricense de Turismo: www.ict.go.cr/es/
Costa Rica Tourism Board: www.visitcostarica.com/
Lesen. Erste Eindrücke von der Schönheit des Landes vermittelt der DuMont Bildatlas „Costa Rica – ein Grünes Juwelt“, 9,95 Euro