Chemnitz macht sich sichtbar

Chemnitz tanzt. Bei der Vorstellung des Programms Chemnitz25 zeigt eine bunt gemischte Gruppe beim Tanz ihr Herz für die Stadt. Die Lust auf das Kulturhauptstadtjahr ist ansteckend. Chemnitz putzt sich heraus. Und nicht nur die Politiker und Kulturschaffenden sind mit großem Enthusiasmus dabei, auch 600 Volunteers (Freiwillige) engagieren sich, darunter viele Zugereiste und Migranten. Die ganze Region mit 38 Kommunen ist im Aufbruch, um den erwarteten zwei Millionen Gästen zu zeigen, was unter dem Leitmotiv „C the unseen“ zu verstehen ist.

C the unseen

Chemnitz will zeigen, „dass wir uns nicht verstecken müssen“, so Oberbürgermeister Sven Schulz. Das vielfältige Programm, für das VW als Premiumpartner gewonnen werden konnte, soll die Menschen vor Ort mitnehmen, den Macherinnen und Machern der Region Aufmerksamkeit zollen, Verständnis für die osteuropäische Mentalität wecken. Eben das Ungesehene sichtbar machen.

Aus dem Schatten ans Licht

Für Chemnitz, bis zum 2. Weltkrieg dank blühender Industrie als „sächsisches Manchester“ bekannt und in der DDR-Zeit in Karl-Marx-Stadt umbenannt, ist das besonders wichtig. Die 245.000-Einwohner-Stadt hat nach der Wende nicht nur viele der traditionsreichen Unternehmen verloren, sondern auch Tausende von Arbeitsplätzen und damit auch Tausende von Menschen.

Hier geht es um die Treuhand und deren Folgen

Zurück blieb viel Frust, das Gefühl, abgehängt zu sein. Wegen rechtsradikaler Umtriebe und rassistischer Ausschreitungen machte der „Spiegel“ Chemnitz zur „Nazi-Hochburg“. Im Kulturhauptstadtjahr will die Stadt diesen dunklen Schatten abschütteln, will ihre andere, die helle, optimistische, kreative Seite zeigen. Der Optimismus ist groß. Landauf, landab wird versucht, das Image zu aufzupolieren.

Ein Weg als Geschichtenerzähler

Der „Purple Path“, ein ambitioniertes Kunstprojekt, das der international renommierte Galerist Alexander Ochs betreut, soll die Bergwerkstädte der Region in das Kulturhauptstadtprogramm mit einbinden. Die 38 Kunstwerke, so Ochs, werden Geschichten aus der „hidden DDR“ erzählen, der versteckten DDR. Für den Skulpturenweg konnte der in Bamberg geborene und u.a. in Berlin lebende Kurator weltbekannte Künstler wie den Iren Sean Scully gewinnen, der Schneeberg vor der St. Wolfgang Kirche den zweieinhalb Meter hohen „Coin Stack 2“ hingestellt hat. 40 aufeinander gestapelte runde Scheiben, die an Münzen erinnern. Der Kurator hat dazu eine Geschichte aus dem 15. Jahrhundert: Damals, erzählt Ochs, wollten die Bergbau-Unternehmer den Wochenlohn der Arbeiter um einen Groschen kürzen, weil die Silbervorkommen absehbar zu Ende gingen. Doch die gut organisierten Bergleute setzten sich erfolgreich zur Wehr – im womöglich weltweit ersten Arbeiterstreik.

Die Wildschweine und das Zinnerz

Es sind Geschichten wie diese, an die der Kurator auf dem Purple Path erinnern will. Für Ehrenfriedersdorf hat der deutsche Bildhauer Carl Emanuel Wolff drei lebensgroße Wildschweine aus Bronze geschaffen. Sie stehen und sitzen hinter dem Besucherbergwerk mitten im Geröll. Warum hier und warum Wildschweine? „Es gibt da diesen Mythos vom Sauberg aus dem 16. Jahrhundert“, sagt Kurator Ochs. „Die Wildschweine sollen sich hier auf der Erde gerieben und so das Zinnerz freigelegt haben. Die Abraumhalde ist also der beste Platz für unsere Wildschwein-Skulpturen.“

Erzgebirge, Ehrenfriedersdorf, Bürgermeisterin Silke Franzl im Bergmannshabit

Das findet auch Silke Franzl, die Bürgermeisterin von Ehrenfriedersdorf. Sie ist überzeugt davon, dass das Kulturhauptstadtprojekt den ländlichen Raum bereichert. So wie der ländliche Raum die Kulturhauptstadt bereichere.

Der textile Geist im Museum

Zu diesem ländlichen Raum gehört auch Limbach-Oberfrohna, wo im Esche-Museum der „textile Geist des Orts“ hochgehalten wird, wie dessen Leiterin Gabriele Pabstmann erklärt. Hier begann alles mit Strümpfen, die den Namen Limbach weltbekannt und die „Wirker-Dynastie Esche“ reich machten. Fürs Kulturhauptstadtjahr ist im Museum einer der neun „Maker Hubs“ angesiedelt, die altes Handwerk mit innovativen Ideen vermählen wollen.

Fenster in die Vergangenheit

Wie das Esche-Museum ist auch das August-Horch-Museum in Zwickau ein Fenster in die Vergangenheit und in eine Erfolgsgeschichte. Bis zur Wende wurde im heutigen Museumsbau, der Geburtsstätte des Audi, der Trabant gefertigt. Neben den auf Hochglanz polierten Horch- und Audi-Oldtimern, die Liebhaber-Herzen höher schlagen lassen, nimmt sich das DDR-Gefährt allerdings ziemlich bescheiden aus. Dabei hatte der Trabi nach der Wende zwischenzeitlich sogar Kult-Status. „Der DKW wurde zum Trabant“, erklärt Kurator Randy Kämpf die Entstehungsgeschichte. Der 45-Jährige hat an der TU Bergakademie Freiberg Industrie-Archäologie studiert und ist davon überzeugt, dass sein Museum auch im Kulturhauptstadtjahr eine wichtige Funktion hat. Gleich zum Auftakt bietet das Museum den Horch-Gang an, eine Führung mit akustischem Schwerpunkt, bei dem es um die Verbindung zwischen Zwickau und Chemnitz in der Automobilgeschichte geht.

Die DNA der Region

Und natürlich sind auch die Chemnitzer Museen auf das Kulturhauptstadtjahr eingestellt: Ob das Fahrzeugmuseum Chemnitz, wo sich Oldtimer und skurrile Gefährte wie das Molli-Mobil in der Hochgarage ein Stelldichein geben oder das Industriemuseum, wo in einer ehemaligen Gießerei-Halle „die DNA der Region anhand der Industriegeschichte“ erzählt wird, wie Museumsleiter Jürgen Kabus erklärt. Das Staatliche Museum für Archäologie, smac, ist schon vorgeprescht. Die eindrucksvolle Ausstellung „Silberglanz und Kumpeltod“ läuft seit dem 25. Oktober. Bis zum 29. Juni kann man hier sehen, wie der Bergbau die ganze Region geprägt hat. Zwei Bergleute im traditionellen Habit, den sie mit Stolz tragen, lassen sich gern fotografieren.

Zwei stolze Bergmänner im Habit

Die Menschen im Mittelpunkt

Wie die beiden Männer sollen vor allem die Menschen im Kulturhauptstadtjahr ins Rampenlicht treten. Bei den unterschiedlichsten Makerhubs, wo Handwerker, Kreative und Nachwuchskräfte zusammenkommen. Beim Projekt der „#3000 Garagen“, bei dem die Leute ihre Türen öffnen und ihre Geschichten erzählen. Bei den „free walking tours“, bei denen Chemnitzerinnen und Chemnitzer den Gästen ihre Stadt zeigen.

Munch und andere Maler

Natürlich steht auch die große Kultur auf dem Programm, das einen 400-seitigen Katalog füllt. Eines der Highlights wird die Ausstellung „Edvard Munch Angst“ sein, die an den Aufenthalt des von Ängsten heimgesuchten norwegischen Malers in Chemnitz erinnert. Im Dialog mit den Exponaten sind die Besuchenden eingeladen, sich in einem „Pavillon der Angst“ mit dem Thema auseinanderzusetzen. An Kunst mangelt es ohnehin nicht in der Stadt: Viel Karl Schmidt-Rottluff im Kunstmuseum, einer der größten Bestände von Otto Dix im Museum Gunzenhauser.

Die ehemalige Strumpffabrik von Moriz Samuel Esche in Chemnitz

Spannende Stadtarchitektur

Und dann lohnt auch die Stadtarchitektur einen genaueren Blick: Das Jugendsstilviertel Kaßberg mit den Majolika-Häusern, die Gründerzeitvillen, das Denkmal geschützte ehemalige Kaufhaus Schocken, in dem sich heute das Archälogische Museum befindet, die Backstein-Kathedralen der Industriealisierung, das Opernhaus…
Nein, Chemnitz muss sich wirklich nicht verstecken.

Kurz informiert

Kulturhauptstadt. 2025 kann die Idee der europäischen Kulturhauptstadt 40. Geburtstag feiern. 1985 trug Athen als erste Stadt den Titel. Seit der EU-Erweiterung 2004 wird der Titel an jeweils zwei Städte vergeben. 2025 ist neben Chemnitz Nova Gorica/Gorizia in Slowenien europäische Kulturhauptstadt.
Programm. Das Kulturhauptstadtjahr in Chemnitz wird am 18. Januar mit einem Festival eröffnet. Das Programm umfasst fünf Themenfelder und 149 Einzelprojekte: https://chemnitz2025.de/programm/
Die Eröffnung des Purple Path findet vom 11. bis 13. April statt: https://chemnitz2025.de/purple-path/
In Zwickau spannen die Museen einen Bogen von Robert Schumanns romantischer Musik über 900 Jahre Stadtgeschichtge, von Max Pechsteins farbenfroher Malerei bis zum Automobilpionier August Horch: www.c2025.zwickau.de

Im Geburtszimmer von Robert Schumann steht der Flügel von Clara Schumann

Übernachten. Hotel c/o56, nachhaltig zertifiziertes, einladendes Hotel nahe Schloss und Park, in der Salzstr. 56, DZ ab 94 Euro: www.co56.de
Seaside Residenz Hotel, nahe Stadtzentrum, in der Bernsdorfer Str. 2, DZ ab 91 Euro: www.residenzhotelchemnitz.de
Allgemeine Informationen. TMGS Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen mbH, Bautzner Str. 45-47, 01099 Dresden, www.sachsen-tourismus.de
Tourismusverband Chemnitz Zwickau Region e.V:, Innere Klosterstr. 6-8, 09111 Chemnitz, www.chemnitz-zwickau-region.de
Tourismusverband Erzgebirge e.V., Adem-Ries-Str. 16, 09456 Annaberg-Buchholz, www.erzgebirge-tourismus.de

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