Der Cerro Torre ist ein Mythos in der Geschichte des Alpinismus, und Bergsteigerlegende Reinhold Messner will diesem Mythos auf den Grund gehen. Auch mit 75 ist der Südtiroler noch voller Tatendrang. Sein Museumsprojekt hat er abgeschlossen. Jetzt will er Berggeschichte erzählen – mit den Mitteln des Films. „Mythos Cerro Torre – Reinhold Messner auf Spurensuche“ heißt das jüngste Produkt des vielseitigen Grenzgängers, ein Doku-Film spannend wie ein Krimi. Im Mittelpunkt der Cerro Torre, eine bizarre Felsnadel in Patagonien – lange Zeit der schwierigste Berg der Welt.
Der Cerro Torre, ein „Schrei aus Stein“
Zusammen mit dem Tiroler Toni Egger will der legendäre Kletterer Cesare Maestri aus dem italienischen Madonna di Campiglio im Januar 1959 den 3128 Meter hohen Cerro Torre über die Nordwand begangen haben. Beim Abstieg verunglückte Egger tödlich – und Maestri konnte nie wirklich beweisen, dass die beiden den Gipfel erreicht hatten. Reinhold Messner will 60 Jahre danach dem Mythos und dem tödlichen Unfall auf den Grund gehen – mithilfe von Experten, Notizen und filmischer Rekonstruktion. „Schrei aus Stein“ hat er die Felsnadel mit der eisigen Schneekappe genannt.
Wo ist Toni Eggers Tagebuch?
Nun will Messner wissen, was hier tatsächlich geschehen ist. In dem Film wird Maestri, genannt „die Spinne“, als der damals beste Kletterer gewürdigt, zudem als ein Mann, der mit einem Alleingang einem abgestürzten Kletter-Kameraden das Leben rettete. Aber auch als ein vom Ehrgeiz, immer der Beste zu sein, Getriebener. Weil er bei der italienischen K2-Expedition nicht dabei sein durfte, habe er Italien den Gipfel des Cerro Torre schenken wollen. Und Toni Egger, der zur Weltspitze der Bergsteiger gehörte, wollte dabei sein sein. Für Maestri, das zeigt der Film, wurde der Cerro Torre zum Schicksalsberg. „Was dort geschehen ist, weiß nur Gott“, sagt Eggers Schwester Stephanie zu Reinhold Messner. Denn das Tagebuch, das der Osttiroler schrieb, blieb ebenso verschollen wie sein Fotoapparat. War die Erstbesteigung also ein Fake?
Mit dem Kompressor am Schicksalsberg
1970 wiederholte Maestri den Versuch, den Berg zu bezwingen – diesmal mit viel Technik, 360 Bohrhaken und wohl auf einer anderen Route. Mithilfe eines 100 Kilogramm schweren Kompressors bohrte sich der Trentiner regelrecht die Felswand bis unter das Gipfeleis hinauf. Bis heute hängt der Kompressor knapp unter dem Gipfel. Als Kompressor-Route ging diese Besteigung in die Bergsteiger-Geschichte ein – und als Irrweg im Alpinismus. Im Messner-Film kommt Maestri immer wieder selbst zu Wort – ein alter Mann, der seine Lebensleistung in Zweifel gezogen sieht. Denn Teile von Eggers Leiche wurden da gefunden, wo er laut Maestri nicht verunglückt war. „Eine unglückliche Liaison“, urteilt Reinhold Messner.
Der Film Mythos Cerro Torre läuft am 16. Mai um 20.15 Uhr auf Arte.
David Lama und die Kompressor-Route
Nachtrag: Auch David Lama, einer der weltbesten Kletterer unserer Tage, war vom Cerro Torre fasziniert. 2009 wollte er die Kompressor-Route Maestris klettern – mit dabei ein Filmteam von Red Bull. Doch das Wetter war schlecht und Lama brach ab. Drei Jahre später war das Wetter gut, und David Lama gelang zusammen mit Peter Ortner die Bezwingung des Cerro Torre über die Kompressorroute – aber ohne künstliche Hilfsmittel. Der daraus entstandene Film „Cerro Torre – Nicht den Hauch einer Chance“ wurde 2014 beim Banff Mountain Film Festival als Bester Film in der Kategorie „Klettern“ ausgezeichnet, 2014 erhielt er den Publikumspreis beim Filmfest in St. Anton. David Lama starb am 16. April bei der Besteigung des Howse Peak im Banff Nationalpark. Er wurde 28 Jahre alt.