Auf dem Fluss funkeln Sonnenflecken als hätte ein Riese Juwelen ins Wasser gestreut. Über den Städtchen am Ufer thronen Burgen, eine imposanter als die andere. Wir brauchen keine Sirenengesänge, um dem Charme dieser Landschaft zu erliegen. Im Oberen Rheintal schüttet Vater Rhein sein Füllhorn mehr als großzügig aus. Für andere Rheinstrecken bleibt da nicht mehr viel übrig. Impressionen einer Premiere auf dem Fluss.
Neustart mit Hindernissen
„Hier passiert jeden Tag was Neues“, sagte Guido Laukamp, Geschäftsführer von nicko Cruises Schiffsreisen bei einer Pressekonferenz. In der Tat. Das gilt auch für die erste nicko-Flusskreuzfahrt auf dem Rhein nach einer langen Corona-Pause. Der Veranstalter war der erste am Start. Es war ein Start mit Hindernissen. Zunächst sollte die nicko Vision auf der Donau fahren, doch die Beschränkungen in Ungarn und Serbien machten die Pläne zunichte. Kurzerhand beschloss man, das Schiff auf den Rhein zu überführen. Allerdings wurden auch die ersten Rhein-Programme schnell Makulatur: Nichts ging mit Landgang in Rheinland-Pfalz oder Straßburg, und die Mosel war wegen einer Schleusen-Revision gesperrt.
Kein uneingeschränktes Vergnügen
Man habe sich beim Planen „sehr viel auf das Bauchgefühl verlassen und auf die Erfahrungen vom letzten Jahr“, beschreibt Pressefrau Sandra Huck die Arbeit hinter den Kulissen. Nicht alle gebuchten Passagiere waren mit den Änderungen einverstanden. Doch diejenigen, die schließlich an Bord gehen, scheinen glücklich, endlich wieder reisen zu können. Auch wenn das Vergnügen nicht ganz uneingeschränkt ist. Vor Betreten der Kabine wird erst einmal getestet – und dann alle 48 Stunden wieder. Möglich macht das ein Arzt an Bord. In den Gängen sind „Einbahnstraßen“ markiert, die allerdings nur an den ersten Tagen eingehalten werden. Und an die Maskenpflicht müssen die Passagiere immer wieder sanft erinnert werden. Die im Restaurant platzierten Plastiktrennwände werden bald abgeräumt, die freien Stühle an den Tischen schnell besetzt.
Freie Liegen auf dem Sonnendeck
Aber es gibt viel Platz, denn statt der üblichen 220 Gäste sind nur 150 an Bord. So herrscht kein Gedränge auf dem Sonnendeck, auf die berüchtigte Handtuchbelegung der Liegen kann getrost verzichtet werden. Und bei den Ausflügen sind die Gruppen – den örtlichen Anforderungen entsprechend – klein und überschaubar.
Der Küchenchef kommt aus Indonesien
Vier Wochen habe man gebraucht, um das Schiff startklar zu machen und die Crew zu vervollständigen, erklärt Sandra Huck. Da habe man schon „Vollgas“ geben müssen. Zumal die 42 Crew-Mitglieder aus den unterschiedlichsten Ländern kommen, teilweise auch von weit her wie Myanmar oder Indonesien – wie Küchenchef Erdi Kontesa. Bei ihm war die Rhein-Premiere ein Eilauftrag. Fünf Tage vor dem Start bekam er Bescheid, erzählt er. Doch der 39-Jährige war schon vorbereitet, was Impfung, Tests und Visum anging.
Harte Zeit ohne Job
Denn die Zeit ohne den Job in Deutschland war hart. Mit Lunch-Boxen, die er über Social Media vertrieb, brachte Kontesa die Familie über die Runden. Jetzt ist er überglücklich, wieder Arbeit zu haben, auch wenn er seine Frau und die Kinder vermisst. Im September wird er zum dritten Mal Vater. Das Baby wird er wahrscheinlich erst im Januar sehen. „Manchmal muss man Opfer bringen“, sagt der Küchenchef. Doch die Leidenschaft fürs Kochen und die Freude über zufriedene Gäste entschädigten ihn. Den Kontakt mit der Familie hält er über Video Calls.
Ein Lächeln trotz Maske
Das zehnköpfige Koch-Team hat einiges zu tun. Drei Restaurants sind auf der nickoVision. In „Mario‘s Grill“ gibt‘s diese Woche ein feines Spargel-Menü. In den beiden anderen Restaurants stehen täglich mehrere Menüs zur Auswahl. Serviert werden sie von stets freundlichen Männern und Frauen, die es schaffen, trotz der obligatorischen Masken ein lächelndes Gesicht zu zeigen.
Wir sind Pioniere
„Sie sind Pioniere“, sagt der Kapitän bei der Begrüßung. „Zum ersten Mal heißt es Leinen los auf der nicko Vision.“ Die Skyline von Frankfurt mit den ikonischen Wolkenkratzern von Downtown zieht am Schiff vorüber und alarmiert die Fotografen. Die folgenden Brücken sind allerdings so niedrig, dass sie nur gebückt nach Motiven Ausschau halten können.
Heidelberg und eine Ahnung von Romantik
Heidelberg gibt dann eine Ahnung von Romantik. Vom Schloss aus schauen wir hinunter auf den Neckar, und in der Innenstadt reiht sich ein Restaurant ans andere. Doch so manche Tür bleibt zu, auch das Hotel Ritter im ältesten Haus am Platz hat die Corona-Zeit nicht überstanden.
Eher zögerlich kommen die Touristen zurück. Ein Zerberus überwacht auf dem Marktplatz die Einhaltung der Maskenpflicht. Vergessen lässt sich die Pandemie auf dieser Reise nicht. In Mannheim weist sich sogar das Theater als Testzentrum aus.
Wie ein riesiges Gewerbegebiet
So richtig romantisch ist der erste Teil der Reise, die dem Trend zum Deutschland-Urlaub Rechnung trägt, nicht gerade. Industrieanlagen säumen den Rhein. Es ist wie eine Fahrt durch ein gigantisches Gewerbegebiet. Dazu passen die Frachter, die auf dem Fluss unterwegs sind.
Aber auch da gibt es schöne Augenblicke: rosa Wolken am Himmel, Vögel aufgereiht auf den Stromdrähten, drei alte Männer im Ruderboot, ein Blütenregen.
Corona-Spuren auch in Baden Baden
Auch Kehl ist kein Highlight, wir liegen ziemlich weit ab von allem. Umso schöner die Fahrt durch die Ortenau mit den alten Fachwerkhäusern. Ziel ist Baden Baden, die Kurstadt, von der Eugene Guinet schwärmte: „In Europa gibt es zwei Hauptstädte, im Winter Paris, im Sommer Baden Baden“. Das war allerdings 1845. Noch immer protzt Baden Baden mit noblen Fassaden, Kunst und Kultur. Aber Corona ist auch an der Kurstadt nicht spurlos vorüber gegangen. Es gibt einigen Leerstand im Zentrum.
Flirten mit dem Weltkulturerbe
Umso schöner die Lichtentaler Allee entlang der Oos, die Trinkhalle und das spektakuläre Museum Frieder Burda. Am Theater, das mit der Wiedereröffnung wirbt, prangt auf roten Grund ein Hinweis auf das Weltkulturerbe der Unesco. Unter dem Titel „Great Spas of Europe“ bewirbt sich Baden Baden gemeinsam mit zehn renommierten Kurstädten aus sieben europäischen Ländern um die Eintragung in die Welterbeliste der Unesco.
Begeisterung für die Reise
Zurück zum Schiff geht‘s durchs Rebland mit steilen Weinbergen. Rot blüht der Mohn, blau die Kornblumen an den Feldern. Beschaulich sind die Dörfer. Und wir freuen uns auf Mußestunden an Bord, während andere den Nachmittag für einen Ausflug über die badische Weinstraße nutzen. Ein Paar aus Berlin kommt ganz euphorisch zurück. Die beiden hatten schon die Originalreise auf der Donau gebucht und sich auch durch mehrere Änderungen nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen. Zu Recht, finden sie. Es sei doch alles super, was da geboten werde, sagt der Mann mit dem Pferdeschwanz. Auch den Flusstag werde er genießen.
Filmreife Landschaft
Das Wetter ist auf unserer Seite. Die Sonne scheint von einem unglaublich blauen Himmel auf den nun von Grün eingesäumten Fluss. Am Ufer stehen die Bäume im Wasser, hin und wieder schwimmt eine Entenfamilie vorbei. Es ist beruhigend, diese Landschaft wie einen Film vorüberziehen zu lassen. Zumal das Rheintal mit der höchsten Burgendichte aufwartet. Romantik pur – nicht nur am Loreley-Felsen. Doch nicht jeder scheint so zu denken. Ein Paar trabt unentwegt rund ums Deck, zwei Männer versuchen, einen Golfball auf dem Mini-Green einzulochen, eine junge Frau taucht im winzigen Pool ab.
Freude am Unterwegssein
Zwei Flusstage seien eigentlich zu viel, findet ein Paar aus Nürnberg, im Gegensatz zu uns erfahrene Flusskreuzfahrer. Aber grundsätzlich seien sie froh, wieder unterwegs sein zu können. Und dann kommt ja schon Köln und der Stadtrundgang.
Maskenpflicht in Köln und Bonn
Wir sind seine ersten Gäste, sagt Gästeführer Sascha Sass, der nicht verbergen kann, dass er auch auf Kleinkunstbühnen zu Hause ist. Mit viel Ironie kommentiert er die großen und kleinen Sünden der Stadt und erzählt erstaunliche Kölner Geschichten – auch von den Heinzelmännchen und vom berühmten Kölner Zweigespann Tünnes und Schäl.
In der Innenstadt gilt Maskenpflicht, aber zum Kölsch-Trinken beim Brauhaus Früh dürfen wir sie abnehmen. Strenge Maskenpflicht auch in Bonn, wo die Oper zum Testzentrum wurde. Doch die Cafés und die Straßen sind voll. Vor den Läden bilden sich lange Schlangen, und auf der Mauer am Rheinufer sitzen gut gelaunte junge Leute wie die Hühner auf der Stange.
Überraschung in Rüdesheim
Noch einmal durchfahren wir das romantische Rheintal mit den trutzigen Burgen, den grünen Weinbergen und malerischen Städtchen. Die Burg Pfalzgrafenstein in Kaub lässt grüßen, der Mäuseturm und wieder die Loreley. Und dann sind wir schon in Rüdesheim, das gar nicht so verkitscht ist wie befürchtet. Die Drosselgasse ist erstaunlich leer wie auch einige Schaufenster. Eine Folge von Corona, sagt Andrea Rammelt, Wein- und Kulturbotschafterin Rheingau.
Schwer gewichtige Germania
Dem Weinstädtchen fehlen die Touristen aus Asien und Übersee. Auch an der Seilbahn hinauf zum Niederwalddenkmal gibt‘s keine Schlangen. „Das deutsche Nationaldenkmal“ erinnert an die Vereinigung von 26 Bundesstaaten im Kaiserreich und wirkt ziemlich martialisch. Über allem thront die Germania, mit 32 000 Kilo ein echtes Schwergewicht.
Vater Rhein und die Fülle
Unter dem Text des Liedes „Die Wacht am Rhein“ umrahmen Trauben Vater Rhein mit dem Füllhorn und Tochter Mosel. Schaut man hinunter auf den Rhein prägen Weinberge das Bild. Eine Landschaft der Fülle.
Rundumversorgung an Bord
Auch wir leben in Fülle, werden von fleißigen Heinzelmännchen auf dem Schiff rundum versorgt und müssen uns um nichts kümmern. Die Ausflüge sind organisiert, Busse und Gästeführer vorgebucht. Selbst das Wetter ist nach einigen Gewittern wie bestellt: Blauer Himmel und Sonnenschein bis zum letzten Tag.
Ein Galadinner zum Abschied
Noch ein Spaziergang durch Wiesbaden-Biebrich und den herrlichen Schlosspark. Dann lockt das Galadinner an Bord, für das sich Küchenchef Kontesa so richtig ins Zeug gelegt hat. „Sie waren wohl die besten Gäste, die wir dieses Jahr gehabt haben“, scherzt der Kapitän zum Abschied. Immerhin: Wir waren Pioniere.
Kurz informiert
„Wolkenkratzer und Welterbe“ ist das Motto der achttägigen Rheinfahrt von nicko Vision. Derzeit wirbt der Veranstalter mit Sonderpreisen ab 849 Euro. Die Route kann sich je nach Corona-Einschränkungen auch kurzfristig ändern. Mit Geld-zurück-Garantie und einer Flex-Option (für 50 Euro Aufpreis) will nicko Cruises auch zögernde Gäste auf die Schiffe locken: nicko-cruises.de
Inzwischen führt der Veranstalter auch wieder Flusskreuzfahrten auf der Donau durch.
Tipp für Köln-Besucher: Stadtführer Sascha Sass weiß viele Schnurren zur Stadt und ihren Bewohnern. Er kann auch privat gebucht werden: saschasass@yahoo.de
Hinweis: Wir sind auf Einladung von nicko Cruises auf dem Rhein unterwegs gewesen.
Juni 28, 2021
Schöne Rheinreise mit Ausflügen. Nur – die „Romantik pur“ will mir beim Loreley-Felsen nicht so recht aufgehen. Die 90 Jahre alte Freilicht-Bühne ganz oben, Na, ja. Die Loreley-Skulptur, Na, ja. Aber grandios: die Aussicht.
Juni 28, 2021
Und von unten auch eindrucksvoll – der Schieferfelsen.