Da stehen sie, edel die Gesichter, filigran die Gliedmaßen, nobel die Kleidung. Die Tatsache, dass sie an Fäden hängen, quittieren sie mit stolzem Gleichmut. Die Salzburger Marionetten sind eine Kunstform für sich. Waren sie doch von ihrem Schöpfer, dem Künstler Anton Aicher, dazu ausersehen, den großen Schauspielern und Sängern Konkurrenz zu machen und auf einer kleinen Bühne große Kunst zu zeigen. So wie die Gliederpuppe der Anna Pawlowa, getreu ihrem Vorbild von grazilem Körperbau und mit feinen Gesichtszügen.
Wie die Puppen leben lernten, das kann man in der Sonderausstellung zum 100. Geburtstag der Salzburger Marionetten im Salzburg Museum bewundern und danach die Lobeshymnen nachvollziehen, die vor allem in der Mitte des letzten Jahrhunderts in Zeitungen weltweit erschienen sind. Einen „Offenbach‘schen Traum“ etwa nannte Le Figaro die Marionetten, denen der Künstler Anton Aicher ihr besonderes Gesicht verliehen hat.
Alles begann mit dem Salzburger Kasperl – und der hat sein Vorbild in Bayern: Es war der Münchner Kasperl von Josef Schmid, der mit Franz Graf Pocci, dem „Kasperlgrafen“, das Münchner Marionettentheater gegründet hat. Wie der bayerische „Larifari“ sollte auch der Salzburger Kasperl die Intuition verkörpern, die Kreativität, das komische Element, sollte zugleich frech und feinsinnig sein.
Viel früher noch als den Münchner Kasperl hatte es einen Steirer Wanderschauspieler gegeben, der unter anderem in Augsburg als „Pollicionela“-Spieler auftrat. Dieser Josef Anton Stranitzky (1676-1726) hat nicht nur eine komische Figur an Fäden geführt, sondern den Hanswurst, den „Hofnarren der Bauern“, eine männliche Variante der Pulcinella, bühnentauglich gemacht. Er spielte ihn mit so viel Erfolg, dass er später Direktor des Wiener Theaters am Kärntner Tor wurde – und sein Hanswurst zur Schlüsselfigur des österreichischen Volkstheaters. Der Weg von ihm zum Kasperl und auch zum Papageno der Zauberflöte war also nicht weit. Und der Salzburger Kasperl, der 1913 die Marionettenbühne betrat, hauchte dieser alten Tradition neues Leben ein.
Mit ihm begann der Siegeszug der Salzburger Marionetten, erste Gastspielreisen wurden absolviert, Märchen für Kinder inszeniert. Das Marionettentheater war Familiensache: Anton Aicher übergab 1926 die Leitung an seinen Sohn Hermann Aicher – als Hochzeitsgeschenk. Doch der Schöpfer blieb der kleinen Bühne und ihrer großen Kunst verbunden bis zu seinem Tod 1930. Sieben Jahre später gab es für die Marionetten eine Goldmedaille beim Welttreffen der Puppenspieler anlässlich der Weltausstellung in Paris. Dann kam der Krieg, die Bühne wurde Fronttheater und 1944 ganz geschlossen.
Kaum war Frieden, tanzten die Puppen wieder, auch der gewohnte Erfolg stellte sich bald ein. 1971 zog man vom Kapitelplatz in das ehemalige „Hotel Mirabell“ in die Schwarzstraße. Eröffnet wurde das neue Haus mit Rossinis „Barbier von Sevilla“. Nach dem Tod ihres Vaters Hermann 1977 übernahm mit Gretl Aicher die dritte Aicher-Generation die Verantwortung. Man spielt das Mozart-Repertoire rauf und runter aber auch Märchen für Kinder, „Alice im Wunderland“ und „Der kleine Prinz“ und wagt sich sogar an den „Ring der Nibelungen – verkürzt auf zweieinhalb Stunden. Seit 2007 öffnet sich der rote Vorhang der Bühne auch für das erfolgreiche Broadway-Musical „The Sound of Music“. Die Puppen holten die Trapp-Familie zurück in die Heimat.
Der Erfolg wurde global, Tourneen führten die Marionetten in die USA und nach Japan, nach Australien und nach Südafrika und in diesem Jahr auch in den Oman. 2012 starb Gretl Aicher 84-jährig. Mit ihr endet die Familientradition, aber nicht die Geschichte der Marionettenbühne. Dafür sorgt Dr. Barbara Heuberger, seit 14 Jahren dem kleinen Theater verbunden. Sie zieht die Strippen der Traditionsbühne – als Managerin. Und sie tut es mit Enthusiasmus, sind ihr doch die kleinen Stars ebenso ans Herz gewachsen wie die engagierten Puppenspieler. Ohne sie und ihre Fingerfertigkeit würden die schönen Marionetten nur leblos an ihren Fäden hängen – wie in der Sonderausstellung. Hier helfen Videoeinspielungen der Imagination auf die Sprünge. Bei den Theateraufführungen selbst aber kann man nachvollziehen, was Barbara Heuberger meint, wenn sie sagt: „Wir arbeiten hier mit kleinen Menschlein.“
Und diese kleinen Menschlein faszinieren vor allem Kinder. In der Ausstellung Ars Sacra, einen Stock höher, sind Kinderporträts von Simone Häckel zu sehen. Die Künstlerin fotografierte Drei- bis Vierjährige, die mit großen Augen das Geschehen auf einem Bildschirm verfolgen – Filme aus der Augsburger Puppenkiste.
Info: Die Sonderausstellung 100 Jahre Salzburger Marionettentheater im Salzburg Museum in der Neuen Residenz, Mozartplatz 1, ist noch bis 12. Januar zu sehen, Dienstag bis Sonntag 9-17 Uhr, Donnerstag Abendführung um 18 Uhr: Der Eintritt ins Museum inkl. Audioführer kostet für Erwachsene sieben, für Jugendliche vier und für Kinder drei Euro. Mit der SalzburgCard ist der Eintritt gratis: http://www.salzburgmuseum.at
Spielplan und Adresse Marionettentheater, Schwarzstr. 24, Tel. 0043/662/875186, http://www.marionetten.at