Worms: Vom Nibelungen- zum Domblicklied

Das hätte sich Bischof Burchard von Worms wohl nicht träumen lassen: Dass er rund 1000 Jahre, nachdem er den Bau des Wormers Doms auf den Fundamenten des alten Merowinger Doms initiiert hat, auf einen Bauzaun mit Protestplakaten blicken wird. Ein bisschen erinnert Worms derzeit an Stuttgart und die Proteste gegen den Bahnhof, auch wenn hier alles etwas kleiner ausfällt. Es ist auch kein öffentlicher Bau, gegen den Wormser Bürger mobil machen, es ist das neue Gemeindehaus „Haus am Dom“, das ihnen ein Dorn im Auge ist.
17 000 Unterschriften sammelten die Gegner gegen den geplanten Bau ein, der ihnen künftig die Sicht auf die Südseite des Doms verstellen wird. Auf den Zetteln und Plakaten am Bauzaun, hinter dem Archäologen derzeit eifrig buddeln, wird ein „Limburg in Worms“ beschworen. „Und dann kamen Engelein und trugen den Wormser Dom anderswohin, Worms hatte ihn nicht mehr verdient“, heißt es auf einem mit Engeln dekorierten Schreiben. Wenig Verständnis für die Mobilmachung der Gegner zeigt die Architektenkammer Rheinland-Pfalz. Der Wormser Dom habe noch nie auf einem Präsentierteller gestanden, sagte Vizepräsident Ernst Eichler in einem Rundfunkinterview kühl. Das geplante „Haus am Dom“ werde den historischen Blick wiederherstellen.
Dass das Bauvorhaben in Worms derart hohe Wellen schlägt, verwundert nicht. Ist doch der Wormser Dom nicht nur einer der drei Kaiserdome neben Mainz und Speyer, sondern auch Symbol für die Bedeutung, die das im Krieg arg mitgenommene Worms einst hatte. In der Gruft ruhen Vorfahren und Angehörige des Salierkaisers Konrad II., am Nordportal weist die Statue des Stauferkaisers Friedrich I., genannt Barbarossa, auf dessen Verbindung zur Stadt hin, in der auch wichtige Reichstage stattfanden. Unter anderem der von 1521, auf dem die Reichsacht über Martin Luther verhängt wurde, weil der Reformator sich weigerte seine Ansichten zu widerrufen.
Viel früher noch soll der Wormser Dom Kulisse eines folgenreichen Streits gewesen sein. Im Nibelungenlied brüskiert Brünhild ihre Schwägerin Kriemhild, weil sie als Ehefrau König Gunters darauf besteht, als erste den Dom zu betreten. Worauf Kriemhild, nicht faul, Brünhild damit konfrontiert, dass es Siegfried war und nicht Gunter, der mit der Jungfrau schlief. Im Schutz der Tarnkappe hatte der „edle Recke“ die isländische Amazone bezwungen. Die Konsequenzen dieses Geheimnisverrats sind bekannt – nicht nur Opernfreunden in Bayreuth.
Wer mehr darüber wissen will und am Original interessiert ist, der kann im Nibelungenmuseum von Worms dem unbekannten Dichter lauschen, der darüber klagt, dass sein Heldenepos nicht nur von Wagner missinterpretiert, sondern von den Nazis auch missbraucht wurde. Mithilfe eines Audioguides reisen die Besucher zurück ins Mittelalter und werden schließlich Zeuge der blutigen Rache, die Kriemhild für die Ermordung Siegfrieds nimmt. Dabei können sie auch einige Verse im Original hören. Etwa die Eingangsstrophe:
„Uns ist in alten mæren wunders vil geseit von helden lobebæren, von grôzer arebeit, von freuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen, von küener recken strîten muget ir nû wunder hœren sagen.“
Und sie erfahren, unter welchen Einflüssen sich das Nibelungenlied veränderte. Im Mythenlabor schließlich können sie multimedial eintauchen in die Welt der Sagen und Legenden.
Lebendig werden die Nibelungenhelden bei den Nibelungenfestspielen vor dem Wormser Dom. Bis 16. August verwandelt in diesem Jahr Albert Ostermaiers „Gemetzel“ die Freilichtbühne in den Hof des Hunnenkönigs Etzel, wo Kriemhild ihren Rachedurst an den Burgundern stillen will. „Es wird natürlich ein Gemetzel geben, es wird um Gewalt gehen, es wird um Religion gehen, um Zuspitzung, um Missbrauch, aber ich denke und hoffe auf eine subtilere und viel mehr mit Tiefenschärfe verbundene Art“, sagte der vielfach ausgezeichnete Autor in einem Interview. Die Schlacht finde eher im mentalen Bereich statt. Der Schluss werde „sehr, sehr überraschend“ sein, versprach Ostermaier, der in Augsburg zwei Jahre lang das Literatur-Festival „abc“ (augsburg brecht connected) leitete.
Der Kaiserdom mit dem barocken Hochaltar von Balthasar Neumann und die Nibelungen, das sind zwei Schwergewichte, mit denen Worms auch im Tourismus auftrumpfen kann. Ein eher unterschätzter Anziehungspunkt ist die jüdische Geschichte der Stadt. Galt doch Warmaisa, das jüdische Worms, in alter Zeit als „Klein-Jerusalem“. Das Raschi-Haus in der Hinteren Judengasse lädt zu einem Gang durch die jüdische Geschichte ein, die im elften Jahrhundert begann und 1942 mit der Deportation der letzten Wormser Juden schrecklich endete. Auf dem jüdischen Friedhof „Heiliger Sand“ wurde der letzte Grabstein 1932 errichtet. Der älteste stammt aus dem Jahr 1058. Auf den ersten Blick sind es unzählige Grabsteine, die in diesem wohl ältesten jüdischen Friedhof Europas zwischen den Gräsern stehen und liegen, teilweise von Efeu überwachsen, teilweise von Moos bedeckt. Uralte Steine sind darunter, nur mit hebräischen Schriftzeichen bedeckt, aber auch solche aus dem 19. Jahrhundert, reich verziert und mit Nachrufen auf Deutsch, die den Toten ein rechtschaffenes Leben bescheinigen, ein kindliches Gemüt oder einen heldenhaften Tod. Still ist es in diesem Friedhofsgewirr trotz der nahen Gleise. Ein Pärchen wandelt Hand in Hand über die schmalen Wege und bleibt hin und wieder an einem Grabstein stehen, in einem der Bäume singt eine Amsel. Nur die Steine sprechen, erzählen vom Rabbinental, wo Rabbi Jakob Molin, genannt Maharil, Rabbi Meir von Rothenburg und Alexander ben Salomo Wimpfen am meisten Besuch erhalten, wie die Zettel und Steinchen auf den Grabsteinen verraten.
Alle drei spielten eine wichtige Rolle in der jüdischen Geschichte der Stadt – als Gelehrte, als geistlicher Führer oder auch als Retter jüdischer Ehre. Rabbi Meir etwa wurde 1286 bei dem Versuch, mit Glaubensbrüdern nach Palästina auszuwandern, gefangen genommen und an Rudolf von Habsburg ausgeliefert. Der Kaiser forderte ein Lösegeld, doch Meir wollte nicht, dass für ihn Geld floss. Der Rabbi starb nach Jahren der Gefangenschaft im Elsass. Erst 14 Jahre später konnte der jüdische Kaufmann Alexander ben Salomo Wimpfen die Leiche auslösen und dem Wunsch Meirs entsprechend in Worms begraben. Der Kaufmann, der sein ganzes Vermögen dafür opferte, starb noch im selben Jahr und fand neben Meir seine Ruhestätte.
Was die alten Juden wohl zu dem Streit ums „Haus am Dom“ gesagt hätten? Jetzt, im Sommer, verstellen die grün belaubten Bäume im Friedhof den Blick auf den Dom, den Martin Buber noch 1933 als „sichtbar gewordene Harmonie der Glieder, eine Ganzheit, in der kein Teil aus der Vollkommenheit wankt“ beschrieben hat. Derzeit scheint zumindest die Vollkommenheit ins Wanken geraten. Da wird im „Dom-Blick-Lied“ gereimt, was das Zeug hält:
„Nach fast zweihundert Jahr/ es soll sich erheben,/ ein Neubau so nah./ Doch das geht daneben!/ Dahinter wird’s dunkel,/ Kein Sonnengefunkel!/ Es bleibet dabei:/ Ja, der Domblick bleibt frei!“

Informieren: Tourist Information Worms, Neumarkt 14, 67547 Worms, Tel. 06241/25045, E-Mail: touristinfo@worms.de, www.worms.de
Hier kann man auch Stadt- und Domführungen buchen.
Wohnen: Nah am Dom und dem Kunsthaus Heylshof im Domhotel, Obermarkt 8-10, 67547 Worms, info@dom-hotel.de, www.dom-hotel.de
Anschauen: Nibelungenmuseum, Rundgang per Audioguide, Fischerpförtchen 10, Tel. 06241/853/4120, E-Mail: nibelungenmuseum@worms.de, www.nibelungenmuseum.de, Eintritt 5,50 Euro für Erwachsene, 3,50 Euro für Kinder
Jüdisches Museums im Raschi-Haus, Hintere Judengasse 6, Tel. 06241/853/4701, http://www.worms.de/de/tourismus/museen/juedisches_museum/
Museum der Stadt Worms im Andreasstift mit Lutherzimmer, Weckerlingplatz 7, http://www.worms.de/de/tourismus/museen/museum-der-stadt/

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