Valletta – Eine Stadt erfindet sich neu

"Malta ist mehr als Valletta“, sagt der Taxifahrer fast schon abschätzig. Und doch, die alte Hauptstadt, von den Kreuzrittern als Bollwerk der Christenheit errichtet, ist bis heute das Herz der Insel. Ein Herz, das ein bisschen aus dem Takt geraten scheint. Die Anzeichen des Verfalls in der „humilissima civita“, der „bescheidensten unter den Städten, wie die Johanniter ihre befestigte Stadt auf dem Monte Sciberras nannten, sind unübersehbar – Valletta scheint den Ehrgeiz zu haben, der grandiosen Untertreibung seiner Erbauer gerecht zu werden. Blind sind viele Fenster in den schönen Balkonen, der Putz bröckelt und so manche Straße erinnert in ihrem morbiden Charme an das kubanische Havanna.

Gerade noch 6500 Menschen leben in der Stadt, die Unesco-Weltkulturerbe ist und 2018 Kulturhauptstadt Europas werden soll. 25 000 waren es einmal. Auch der Architekt Konrad Buhagiar, schmal und aristokratisch, hat Valletta den Rücken gekehrt, hat sich in Sliema eine moderne, komfortable Bleibe gesucht – so wie andere auch. Zu laut, zu alt, zu ungemütlich finden viele die Hauptstadt. Der Charme, den die Touristen in den verwitterten Häusern und den engen Gassen entdecken, verfehlt seine Wirkung, wenn der Alltag seinen Tribut fordert.
Doch Valletta mit seinem eindrucksvollen Naturhafen und den Befestigungsmauern aus goldgelbem maltesischen Kalkstein soll nicht zur musealen Kulisse verkommen, die in Filmen immer wieder malerisch in Szene gesetzt wird – zuletzt in „Captain Phillips“ mit Tom Hanks. Kein Wunder, dass den Besucher zwischen den großartigen Palästen, in den Arkaden und auf den Treppenstufen, die immer ins Blaue zu führen scheinen, immer wieder das Gefühl überkommt, in einen Film geraten zu sein. 
Vor über 450 Jahren hat Großmeister Jean Parisot de la Vallette diese städtische Schönheit begründet, hat Francesco Laparelli da Cortona, ein Schüler Michelangelos, seine damals fast revolutionären Pläne gezeichnet. 268 Jahre lang hatten die Männer des Johanniter-Ordens hier das Sagen. Valletta war Spielplatz für Ritter, Seefahrer, Mafiabosse, zusammen mit der ganzen Insel Malta wurde es zum Spielball der Politik. Und nach dem Weltkrieg lag auch die Johanniterstadt in Trümmern. 
Man mag es kaum glauben, wenn man heute durch die Straßen schlendert. Nur die Ruinen der Royal Opera erinnern noch an die Wunden des Krieges. Inzwischen sind sie Teil einer modernen Inszenierung: Renzo Piano, der italienische Star-Architekt, wurde von der Regierung beauftragt, Vallettas Gesicht neu zu interpretieren. Und er ist entschlossen, gegen den Widerstand vieler Malteser die Ruinen der königlichen Oper in ein Freilichttheater zu integrieren. Der Malteser Konrad Buhagiar ist Pianos Vertreter vor Ort. Der Sohn eines Schuldirektors, dem 16-jährig Le Corbusiers Kapelle von Ronchamps ein „Erlebnis fürs Leben“ bescherte, kennt den berühmten Italiener schon aus den 1980er Jahren, als dessen Entwurf für den Neubau der Oper als zu modern verworfen wurde. 
Auch diesmal hagelte es Kritik an den 80-Millionen-Euro-Plänen. Denn Renzo Piano soll nicht nur die Oper neu gestalten, sondern gleich das ganze Quartier am „City Gate“. Buhagiar, der seiner Stadt an manchen Stellen selbst schon ein behutsames Facelifting verpasst hat – u.a. an der Waterfront – ist überzeugt davon, dass Valletta neue Impulse braucht, damit der Exodus der Bewohner gestoppt werden kann. „Es ist schon besser geworden“, sagt der Architekt, der sein Büro noch in der Innenstadt hat. Vor ein paar Jahren sei das Zentrum „tot“ gewesen, abgesehen von den Touristen, die staunend vor dem standen, was die Kreuzritter auf dem felsigen Eiland im Mittelmeer hinterlassen hatten. Heute gibt es wieder Cafés und Boutiquen in der Innenstadt, Kneipen und Restaurants – und es wird gebaut.
Die Stadt ändert ihr Gesicht, will aber die eigene Geschichte nicht verleugnen. Auch deshalb war wohl Renzo Piano die erste Wahl der maltesischen Regierung. Der Italiener mit dem Gespür für Renaissance und der Vorliebe für Philosophie ist dafür bekannt, dass er die Plätze, die er bebauen soll, erkundet, bevor er seine Pläne macht, dass er die Atmosphäre des Ortes auf sich wirken und sich von ihnen inspirieren lässt. „Noch nie, habe Piano ihm gesagt, habe er ein Projekt wie dieses gemacht“, erzählt Konrad Buhagiar – nichts Geringeres als eine Neuauflage der Renaissance.
Um das zu erreichen, geht Piano auch keine Kompromisse ein. Das umstrittene Freilicht-Theater am Platz der Royal Opera hat Form angenommen, gegenüber wurden zwei Häuser abgerissen, um den Eindruck eines Renaissance-Platzes zu ermöglichen. Und das neue Zwillings-Parlamentsgebäude zeigt schon jetzt seine Konturen. Piano hat es als Niedrig-Energie-Gebäude geplant mit einer kühnen festungsartigen Fassade. Die Fenster sind in den Stein eingelassen fast wie Schießscharten. Das Ganze soll den Eindruck „einer dicken Mauer“ wecken, „die von den Elementen erodiert wurde“, so Buhagiar. Ein grüner Innenhof, angelehnt an die typisch maltesische Architektur und ein transparentes Erdgeschoss, in dem ein Museum über Maltas Geschichte informiert, sollen den eher abweisenden Eindruck mildern und dem Parlamentsgebäude menschliche Dimensionen verleihen.
„Auch beim Standort haben wir uns an die Pläne Laparellis gehalten“, sagt der Architekt und zeigt auf dem Handy eine alte Karte der Stadt, auf der ein Versammlungsgebäude genau an dieser Stelle eingezeichnet ist. Zurück zu den Wurzeln ist auch das Thema bei der Brücke, wo alles entfernt wurde, was in den letzten 100 Jahren hinzugebaut worden war. Wo sich das Stadttor befand, wurde die Festungsmauer auf einer Breite von acht Metern geöffnet, um den Blick auf den Himmel zu öffnen. Eine neue Treppe und ein Aufzug mit Panoramablick sollen den Stadteingang mit dem darunterliegenden Stadtgraben verbinden, wo schon bald blühende Gärten Valletta zu Füßen liegen werden.
Erst am letzten Samstag war der 75-jährige Piano wieder in Valletta, um nach dem Baufortschritt zu schauen. Man sei etwas im Verzug, räumt sein Vertreter vor Ort ein, weil es nicht einfach sei, den maltesischen Kalkstein zu bekommen. Spätestens im Juni nächsten Jahres aber soll alles fertig sein, gibt sich Buhagiar optimistisch. Das Parlament werde dann im September zu seiner ersten Sitzung im neuen Gebäude zusammentreten.
„Die Stadt soll die Bewohner glücklich machen“, sei Renzo Pianos Credo, sagt Konrad Buhagiar und öffnet eine Türe im Bauzaun, hinter der sich die breite Treppe erhebt, die geradewegs in den Himmel zu führen scheint. Womöglich schafft es der italienische Architekt, der sich seinem Vorgänger Laparelli so eng verbunden fühlt, den Herzschlag der maltesischen Metropole und den Pulsschlag unserer Zeit zu versöhnen. 

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