„Good health to you and strength and may no evil befall you,“* die elegante alte Dame in der Lobby des Shelbourne Hotels ist sichtlich gerührt, als sie hört, was wir vorhaben. Den gälischen Segensspruch, den sie uns mit auf den Weg gibt, übersetzt sie höflich ins Englische, als sie merkt, dass wir keine Iren sind. Aber der Grand Hibernian, mit dem wir unterwegs sein werden, ist für die ehemalige Lehrerin ein Stück Irland auf Schienen.
Das Tourismusunternehmen Belmond hat den Zug 2016 erstmals auf Schienenkreuzfahrt geschickt. In feinem Mitternachtsblau lackiert sind die zehn Waggons der Irish Rail nicht wieder zu erkennen. Belmonds Designer haben ganze Arbeit geleistet und die ehemals profanen Abteile in komfortable Suiten umgewandelt, die den maximal 40 Gästen das Gefühl geben, in einem irischen Country-House zu Gast zu sein. Tweed herrscht vor, Karo in allen Variationen, Traditionelles verbindet sich harmonisch mit Modernem, und üppige Blumengestecke in den Salonwagen zeugen vom Anspruch eines Grandhotels auf Schienen.
Der rote Teppich ist schon ausgerollt
Ein Dudelsackbläser geleitet unser Grüppchen am Bahnhof von Dublin zum Zug, wo schon der rote Teppich ausgerollt ist und der Empfangssekt in den Kelchen perlt.
Neugierige Blicke begleiten uns, ein VIP-Gefühl macht sich breit, das uns die nächsten Tage nicht mehr verlassen wird. Der Grand Hibernian hält, was er verspricht: Wir werden rundum verwöhnt – und das nicht nur im Zug selbst, sondern auch bei den Ausflügen. Wir sind die ersten im Park von Blarney Castle, die einzigen, die um diese Zeit im Privathaus zur Teatime empfangen werden. Wir bekommen alles exklusiv und im Überfluss.
Und das ist es auch, was die – verwöhnten – Gäste erwarten. Während draußen die Landschaft vorbeifliegt, unterhalten sich die Reisenden über ihre schönsten Erlebnisse und nippen am Champagner. Der stille Ire war schon auf den meisten Zügen der Welt unterwegs, die laute Amerikanerin mit den teuren Klunkern ist den Luxushotels dieser Welt zu Hause, die ältere Engländerin hat sich den Grand Hibernian geleistet, weil sie die Intimität der Zug-Kreuzfahrten schätzt, die elegante Vorstandssekretärin testet die Reise, die ihr Unternehmen als Incentive für die Top-Manager anbieten will. Es ist ein buntes Völkchen, das sich am ersten Tag im Observation Car zusammen findet, um sich von unserem Guide Vincent Geschichten aus und über Irland erzählen zu lassen. Der studierte Archäologe, der mit Brille und Anzug wie ein Buchhalter wirkt, kann über den Osteraufstand 1916 gegen die britischen Besatzer ebenso plaudern wie über die Guinness Biere, über die Wikinger ebenso wie über den irischen Whiskey.
Das Geheimnis des blauen Lichts
Wir werden zwei Tage im Grand Hibernian sein und bedauern schon jetzt, dass wir nicht mehr Zeit haben, die luxuriöse Rundumversorgung zu genießen. Gefahren wird nur am Tag, so dass wir die Schönheit der Landschaft inhalieren können: Wiesen in Irischgrün gesprenkelt mit weißen Schafen, kleine Höfe, die sich in Talmulden ducken, von Burgruinen gekrönte Hügel. Und dann sind da auch noch die Ausflüge. Der erste führt uns in die Jameson Destillerie in Midleton, auf den ersten Blick ein kleines Dorf in viktorianischer Architektur, wo seit dem 18. Jahrhundert Whiskey destilliert wird. Hier erfahren wir nicht nur, dass die Triple Destillation, die Dreifach-Destillation, typisch für Irland ist, sondern auch, was es mit dem blauen Licht auf sich hat, das man sonst nur aus dem Märchen kennt: Der Zoll wog nicht nur die Whiskey-Fässer. Er testete auch den Alkoholgehalt – mittels einer kleinen Menge Schießpulvers. Verlöschte die Flamme, war der Whiskey zu schwach; gab es ein blaues Licht, war alles gut; explodierte das Schießpulver, war der Whiskey zu stark und die Arbeiter durften sich auf ein Fläschchen unverkäuflichen Alkohols freuen.
1000 Fässer lagern in Midleton, bei einem Preis von 40 000 Euro je Fass ein Vermögen. Billig sind auch die Flaschen nicht, aus denen wir vier unterschiedliche Whiskeys kosten, um uns hinterher per Zertifikat als „qualifizierte Whiskeytester“ ausweisen zu können. Am besten hat uns „Midleton Legacy“ geschmeckt – zu 260 Euro die Flasche.
Auch in Grand Hibernian ist die Auswahl an irischen Whiskeys groß. Darauf achtet Shane, der Barmann. Eine Flasche Midleton gibt’s schon ab 60 Euro, ein Schnäppchen. Ob die Gäste schon einmal die Vorräte leer getrunken haben? Shane lacht ein jungenhaftes Lachen und nickt. Vor allem die teuersten Whiskeys und Gins seien gefährdet, sagt er. Doch am beliebtesten sei dieses Jahr Martini, geschüttelt, wie James Bond ihn mag.
Küchen-Choreographie im Grand Hibernian
Beim Dinner zeigt Chefkoch Allan Woods, was Irlands Küche hergibt: Frischen Fisch, saftiges Fleisch, irischen Käse, Kräuter, knackige Salate. Der 41-Jährige aus Cork, der internationale Lehr- und Wanderjahre hinter sich hat, hat den Ehrgeiz, die Landschaft auf den Tisch zu bringen und berücksichtigt bei der Planung der Gerichte die Route des Zuges. Am liebsten mag er’s wild: Wild wachsende Kräuter, wild lebende Fische, frei gehaltene Kälber. Alles so frisch wie möglich. In der kleinen Küche, in der Allan jeden Tag frisches Brot bäckt, steht auch ein Thermomix. Die ebenfalls vorhandene Mikrowelle nutzt der Koch allerdings nicht. Es ist eine ausgeklügelte Choreographie, nach der Chef und Sous-Chef im Grand Hibernian arbeiten, damit die raffinierten Gerichte punktgenau auf den Tisch kommen. „Vorbereitung ist das A & O“, sagt Allan. „Alles muss kompakt sein und am besten schon portioniert.“ Da können die Tage ganz schön lang werden. Von 5.30 Uhr, wenn die Zuggäste noch in ihren kuscheligen Betten schlummern, bis gegen 23 Uhr, wenn im Observation Car noch die Musik spielt.
So wie an diesem Abend, an dem die Balladensänger Jimmy Lee und Roy Buklew aus Cork in schönster irischer Tradition traurige Lieder von tragischen Helden singen und lustige Reime über alte Säufer und junge Schönheiten zum Besten geben. Die beiden, 50 und 30 Jahre alt, und von rundlicher Gestalt, könnten Vater und Sohn sein. Auf jeden Fall sind sie so gut aufeinander eingespielt, dass die meisten Passagiere bei bekannten Songs mitsummen oder -wippen. Nur der stille Ire hat sich mit einem Drink in eine ruhige Ecke verzogen.
Nur Mutige küssen den Blarney Stone
Am nächsten Morgen hat niemand Zeit, einen möglichen Kater zu pflegen. Draußen wartet schon der Bus. Der Ausflug nach Blarney Castle wird ein paar Stunden dauern, und er verspricht einige besondere Erlebnisse. Da wäre zum ersten der berühmte Blarney Stone, den alljährlich eine halbe Million Menschen küssen. Warum man einen Stein küsst, noch dazu einen, der oben auf dem trutzigen Tower House nur schwer zu erreichen ist? Das liegt wohl an der Legende, die sich um diesen mittlerweile von vielen Händen und Lippen glatt polierten Stein rankt, der angeblich aus dem Heiligen Land stammt. Danach soll jeder, der ihn küsst, die Gabe der Eloquenz erlangen. Und wer möchte nicht mit Beredsamkeit überzeugen? Da muss wohl auch ich diesen sagenumwobenen Stein küssen…
Allerdings ahne ich nicht, worauf ich mich einlasse. Ganz oben auf dem Bergfried sitzt der Mann, in dessen Arme ich mich begeben muss, um überhaupt an den Stein zu kommen. Sean Cosigan trägt einen signalroten Anorak und den Titel „Attendant“, was man mit Diener übersetzen kann oder auch mit Begleiter. Auf jeden Fall sieht er vertrauenerweckend aus. Also setze ich mich mit dem Rücken zur Mauer zwischen zwei Zinnen, beuge mich nach hinten, bis der Rücken schmerzt, und klammere mich an eine Eisenstange. Und während ich mit den Lippen gerade noch den Stein berühre, sehe ich aus den Augenwinkeln, wie tief der Abgrund unter mir gähnt und registriere, dass der „Attendant“ buchstäblich mein Leben in den Händen hält. Oh Gott, mir wird ganz schwindlig. Ob Churchill auch dieses Gefühl gehabt hat, als er hier oben war? Und wie haben wohl Dick & Doof reagiert?
2008 fotografierte Spencer Tunick im Park 1000 Nackte
Auf Zeitungsausschnitten kann man nachlesen, wer alles den Stein der Redegewandtheit geküsst hat. Auch von den 1000 Nackten, die Spencer Tunick an einem „ziemlich kühlen Junimorgen“ 2008 im Park fotografiert hat und die auf dem Foto aussehen wie eine Herde Schafe, schafften es rund 100 auf den Bergfried – zur nachhaltigen Verblüffung des damaligen Attendant. Unser Guide Paul O’Sullivan kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er diese Geschichte erzählt.
In Blarney House, das um diese Jahreszeit keine Besucher mehr empfängt, werden wir schon erwartet. Der Tisch im Salon ist gedeckt, und wir lassen uns unter den Waterford Kristallleuchtern die Scones mit Clotted Cream schmecken, ehe die Hausdame uns durch einige der 27 Räume des Hauses führt. Im Salon liegt Hundespielzeug herum, in der Bibliothek steht ein gigantischer Bildschirm: Man sieht, hier leben Menschen. Blarney House ist kein Museum. Nach dem Besuch wandern wir in kleinen Grüppchen durch den ausgedehnten Park und bewundern die inszenierte Natur mit ihren Wasserspielen, Felsgrotten und Baumriesen.
Der erste Zug auf dem Heritage Trail
Am Bahnhof in Cork hat der Grand Hibernian schon einiges Aufsehen erregt. Irlands längster und sicher auch schönster Passagierzug ist ein Hingucker. Das weiß auch Tom Ryan, der Lokomotivführer aus Tipperary, der seit 35 Jahren bei Irish Rail arbeitet und auf diesem Trip den Nostalgiezug steuert. „Das ist der erste Zug auf einem Heritage Trail,“ begeistert sich der 60-Jährige. Offensichtlich ist Tom nicht nur Lokomotivführer von Beruf sondern auch aus Berufung. Und Eisenbahnfan dazu. Auf seinem Handy hat er jede Menge Fotos von Lokomotiven gespeichert. Natürlich kann er auch etwas über die Zugreihe erzählen, die Belmond für den Nostalgiezug umgebaut hat: Die Baureihe Mark 2 wurde in Großbritannien hergestellt, Irish Rail kaufte 309 Wagen und brachte sie nach Irland, erwarb aber gleichzeitig auch die Lizenz zum Selberbauen. Danach wurden die Waggons in Dublin in Serie nachgebaut und fuhren über Jahrzehnte in ganz Irland. 2007 wurde der letzte Wagen ausgemustert. Als Belmond die zehn Wagen zur Kompletterneuerung nach Antrim brachte, freute sich Tom – und mit ihm viele seiner Kollegen. Denn die meisten der alten Wagen waren einfach verschrottet worden. „Eine Verschwendung“, klagt der Lokomotivführer und bittet mich auf den Führersitz, um ein Foto zu schießen, ehe er das Steuer übernimmt. Während wir im schönen Speisewagen Sligo Allans Lunch genießen, fährt der Grand Hibernian weiter nach Killarney.
Im Zauberwald von Killarney
Der nächste Programmpunkt ist eine Pferdekutschfahrt. Patrick ist ein Ire wie aus dem Bilderbuch, blauäugig und mitteilsam. Während er seine Witzchen reißt, übers irische Wetter philosophiert und Fußgänger vom Weg scheucht, trottet sein Pferd Jack ergeben vor sich hin. Wir sind umgeben von einem Zauberwald, aus dem jeden Moment Baumbart aus Tolkiens „Herr der Ringe“ brechen könnte. Flechten wuchern auf kahlen Ästen wie alte Bärte, der Boden ist moosgepolstert, in den spiegelglatten Seen stehen die Berge Kopf. Hirsche und Rehe äsen unbeeindruckt am Ufer, ein Storch sucht nach Fröschen. Gerade eben war alles eitel Sonnenschein, da ziehen dicke schwarze Wolkenbataillone auf. Wie Scheinwerfer tasten sich dünne Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke und beleuchten Ross Castle, ein Towerhouse wie Blarney und 1652 vom Cromwell zerstört. Ryan Gosling hätte die Szenerie nicht effektvoller hingekriegt.
Auf der Lilly of Killarney schippern wir über den bleigrauen See, Shane kredenzt Champagner und Kapitän Pardraig erzählt von den 1000 Meter hohen Bergen, auf denen Rhododendren gedeihen wie Unkraut, von der alten Abtei auf Inisfallen Island, wo bis heute noch Messen abgehalten werden, und vom Luxushotel Europa, das der deutschen Firmengruppe Liebherr gehört und zu Irlands Top-Adressen zählt.
Aber wir haben ja unsere eigene – fahrbare – Top-Adresse. Zum letzten Mal empfängt uns der jungenhafte Generalmanager J.P. Kavanagh auf dem roten Teppich und mit einem Drink. Er war viel unterwegs auf der Welt, ehe er von Belmond verpflichtet wurde. Und natürlich musste er sich umstellen – von Hotels mit 500 Zimmern zu einem mit 20. Nie zuvor habe er sich gefragt, wo das Hotel morgen ist, scherzt J.P. Der Grand Hibernian sei eben voller Überraschungen. „Wir sind langsam, altmodisch und gerade das ist das Neue,“ resümiert der Manager. Den meist doch eher betuchten Kunden gehe es auch nicht darum, schnell anzukommen, sondern darum, wie sie ankommen.
Geschichten reisen – auch auf Schienen
Unseren letzten Abend versüßt der bärtige Storyteller Jack Lynch mit Anekdoten und Märchen, die er mit soviel Enthusiasmus zum Besten gibt, dass alle ihm gebannt lauschen. Selbst die verwöhnte Amerikanerin, die auch bei Tisch gerne das große Wort führt, ist verstummt. Jack erzählt, dass Shakespeares romantische Komödie „Der Widerspenstigen Zähmung“ auf eine irische Erzählung zurückgeht. „Geschichten reisen“, sagt er, und dass Gemeinschaft wichtig ist, damit die Geschichten gedeihen.
Wir haben die Gemeinschaft im Grand Hibernian genossen und womöglich auch ein kleines Stück Zug-Geschichte mit geschrieben. In den zwei Tagen haben wir viel erlebt und es ist uns nichts Schlimmes passiert – vielleicht auch dank des Segensspruchs der alten Dame in Dublin.
* Gesundheit für Sie und Stärke und möge Ihnen nichts Böses zustoßen.
Kurz informiert
Der Grand Hibernian ist der siebte Luxuszug des US-Unternehmens Belmond, dem 46 Hotels, Züge und Flusskreuzfahrtschiffe in Europa, Asien und Südamerika gehören – alle im gehobenen Segment. Der Zug hält über Nacht in den Bahnhöfen und fährt nur untertags. Angeboten werden zwei-, vier- und Sechstägige Reisen. Ab April macht sich der Zug wieder auf die Reise. Infos unter http://www.belmond.com/de/grand-hibernian-train/
März 16, 2017
Danke für den Bericht und die schönen Bilder. Das sieht alles sehr schön aus. Besonders das gleichzeitige Tafeln und Reisen gefällt mir.