Der Magier der Literatur: Zum Tod von Gabriel García Márques

„Tausend Jahre Einsamkeit und Trauer wegen des Todes des größten Kolumbianers aller Zeiten“, schrieb der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos in Anlehnung an Marques‘ fantastischen Roman. „Solidarität und Beileid seiner Frau und seiner Familie. Solche Giganten sterben nie.“ Der Erfolg des schnauzbärtigen Mannes aus dem kleinen Dorf Aracataca im heißen Norden Kolumbiens hat der Literatur neue Impulse gegeben, ohne die etwa eine Isabel Allende nicht denkbar wäre. In seinem magischem Realismus fließen Realität und Fantasie, Tatsachen und Träume ineinander, und die Sprache balanciert gleichsam auf einem Hochseil zwischen Drama und Groteske.
Garcia-Márquez-Biograf Gerald Martin erklärte, „Hundert Jahre Einsamkeit“ sei der erste Roman gewesen, in dem die Lateinamerikaner sich selbst, ihre Leidenschaft, ihre Spiritualität und ihren Aberglauben, ihren großen Hang zum Scheitern anerkannt hätten. Es war eine eigene, faszinierende Welt, die Márquez in seinen Büchern schuf. Dabei war er von dem großen Argentinier Jorge Luis Borges ebenso beeinflusst wie von dem amerikanischen Romantiker Nathaniel Hawthorne, der ihn nach eigenen Worten „fürs ganze Leben prägte“.
Und doch ist es vor allem seine Kindheit und Jugend, die sich in seinen Romanen und Novellen widerspiegelt. Geboren wurde er am 6. März 1927 in Aracataca an der kolumbianischen Karibikküste als ältestes von elf Kindern. Kurz nach der Geburt ließen ihn die Eltern Luisa Santiaga Márquez und Gabriel Elijio Garcia bei den Großeltern und zogen in eine andere Stadt, wo der Vater eine Apotheke eröffnete. So wuchs der junge Gabriel die ersten acht Jahre seines Lebens bei den Großeltern auf. Aracataca wurde später zum Vorbild für „Macondo“, die Ortschaft am Fuß der Sierra Nevada, in der sich während „Hundert Jahre Einsamkeit“ die Geschichte von sechs Generationen der Familie Buendía entfaltet.
Als Kind, so verriet der Schriftsteller später, habe er davon geträumt, Zauberer zu werden. Da ahnte er noch nicht, dass er mit seinem magischen Realismus einmal Millionen von Lesern verzaubern würde. Sein Weg führte ihn zunächst über ein ungeliebtes Jurastudium zu oft brotlosem Journalismus. Zeitweilig, so kann man in den Memoiren nachlesen, quartierte er sich wegen der günstigen Zimmerpreise in einem Bordell ein. Den Freudenmädchen blieb er zeitlebens verbunden. Sein letztes Buch galt der „Erinnerung an meine traurigen Huren“.
Gegen den Widerstand vor allem des Vaters widmete sich der junge Márques nebenbei der Schriftstellerei. „Sag ihm, ich will im Leben nur eins, ich will Schriftsteller sein, und ich werde es“, gibt der junge Student der Mutter auf den Weg. Es sollte 40 Jahre dauern, bis sich diese Prophezeiung erfüllte, und als er 1967 das Manuskript für „Hundert Jahre Einsamkeit“ fertig hatte, reichte das Geld nicht einmal für das volle Porto. So ging der Text in zwei Teilen vom Postamt in Mexiko-Stadt, wo er inzwischen lebte, an den Verleger in Buenos Aires.
Als er mit diesem Roman die literarische Welt eroberte, war García Márques in Lateinamerika schon als Essayist, Kommentator und Intellektueller bekannt, hatte immer wieder zu politischen und gesellschaftlichen Themen Stellung bezogen. „Gabo“, wie der Mann mit dem Schnauzer liebevoll genannt wurde, mischte sich gerne ein, und sein politisches Engagement findet sich auch in seinen Romanen wieder, etwa in dem surrealistischen Diktatorenroman „Herbst des Patriarchen“, in dem sich poetisch verfremdet Charakterzüge realer lateinamerikanischer Potentaten wieder finden.
So kritisch er sich auch immer wieder zu Machtmissbrauch äußerte, seiner lebenslangen Freundschaft mit Fidel Castro tat das keinen Abbruch. 58 Jahre lang hielt er daran fest und verweigerte sich vehement einer kritischen Auseinandersetzung mit den politischen Verbrechen Kubas. Mario Vargas Llosa beschimpfte ihn deshalb als „Höfling Kubas“. In seinen Memoiren erinnert sich Márques an die langen Gespräche mit Castro über „alles Irdische und Himmlische“. Er selbst hat sein Leben lang dafür gekämpft, Lateinamerikas eigene Wege aus Armut und Ungerechtigkeit zu respektieren – auch in seiner Dankesrede zum Literaturnobelpreis. Seine Landsleute dankten ihm das Engagement. Wenige Tage vor seinem Tod kürten ihn die Kolumbianer zu einem der größten Vorbilder und einer der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Geschichte des Landes. Dass er Kolumbien vor Jahrzehnten den Rücken gekehrt hatte, um in Mexiko zu leben, hatten sie ihm längst verziehen
Zu seinem 87. Geburtstag am 6. März versammelten sich Freunde und Gratulanten vor seinem Haus in einem exklusiven Viertel von Mexiko-Stadt, um dem Autor ein Ständchen darzubringen. Anfang April wurde er wegen einer schweren Lungenentzündung rund eine Woche lang in einem Krankenhaus in Mexiko-Stadt behandelt. Nach seiner Entlassung blieb der Zustand kritisch – bis zu seinem Tod.
Zu seinen bekanntesten Werken gehören „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“, „Chronik eines angekündigten Todes“ und „Der General in seinem Labyrinth“. 2002 kam der erste Teil seiner Memoiren unter dem Titel „Leben, um davon zu erzählen“ auf den Markt, zwei Jahre später die „Erinnerung an meine traurigen Huren“. Zuletzt erschien eine Sammlung früherer journalistischer Arbeiten.
Bis zum Ende war Márques dem Journalismus verbunden: Von 1998 bis 2006 gehörte er zu den Eigentümern der kolumbianischen Zeitschrift „Cambio“, wo er regelmäßig Kommentare schrieb.
In seiner Wahlheimat Mexiko wird García Márquez am Montag mit einer nationalen Trauerfeier geehrt. „Er wurde in Kolumbien geboren, aber für Jahrzehnte hat er Mexiko zu seiner Heimat gemacht. Er hat unser Leben bereichert“, schrieb der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto auf Twitter.
Den besten Trost für die Trauernden hat der Autor selbst formuliert: „Weine nicht, weil es vorbei ist, lache, weil es überhaupt passiert ist.“

 

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