Alles andere als hinterwäldlerisch

Die Wiesen sind schon frühlingsgrün, aber auf den Bergkuppen im Bayerischen Wald halten sich noch hartnäckig Reste von Schnee. An diesem Tag hat sich der knapp 1200 Meter hohe Haidel in Nebelschwaben gehüllt. Vom Aussichtsturm, der mit seinen 35 Metern die Tannen überragt, könnte man eigentlich hinüberschauen ins Böhmische auf der einen Seite und – bei klarer Fernsicht – bis zu den Alpen auf der anderen Seite. Aber wir schauen nur ins Nichts. 159 Treppenstufen und dann das.

Grüne Hügel gekrönt von Dörfern mit der Kirche in der Mitte

Das kann schon passieren im Bayerischen Wald, wo das Wetter macht, was es will.
Deshalb kann es auch passieren, dass man einen Frühlingstag erlebt, an dem eine warme Maisonne vom kornblumenblauen Himmel strahlt. Die ersten Buschwindröschen blühen  am Waldrand, vor einem Hof weiden Auerochsen, vor einem anderen picken Hühner Körner. Es ist ein aussichtsreiches Auf und Ab über die grünen Hügel, die sich hintereinander stapeln, oft gekrönt von Dörfern, deren Häuser sich um die Kirche scharen. Hier scheint die Welt noch in Ordnung. Kein Zeichen von Landflucht, Arbeitslosigkeit gibt es kaum. Der Tourismus hat dabei geholfen, diese Gegend nahe der tschechischen Grenze zu beleben. Und die Kreativität der Wäldler, die alles andere sind als hinterwäldlerisch.

Bier-Innovationen aus der Dinkelbrauerei

Zum Beispiel Rudi Hirz, der Chef der Dinkelbrauerei Apostelbräu in Hauzenberg. 46 Jahre alt ist der Brauer, der das traditionsreiche Familienunternehmen 2005 vor dem Absturz gerettet hat und mit innovativen Ideen in die Zukunft führen will: „Wir san die innovativste Brauerei,“ sagt der Vater zweier erwachsener Söhne und spielt damit auf die Tatsache an, dass die Dinkelbrauerei nicht nur Dinkel, sondern auch andere alte Getreidesorten wie Emmer, Einkorn und schwarzer Hafer verwendet. „Wenn ma als Kloiner überleben will, muss ma sich abgrenzen von der Masse,“ weiß der Rudi – und danach handelt er: Beim World Beer Cup in den USA 2008 gewann das 1. Orig. Dinkel Bier die Silbermedaille und das La Bianca die Bronzemedaille. Mit der ersten bayerischen Pale Ale gelang dem Apostelbräu der Einstieg in die Craft-Beer-Bewegung.

Stolzer Brauer: Rudi Hirz vom Apostelbräu.

Gerne würde Rudi Hirz noch mehr in diese Richtung gehen, aber da „sin uns in Bayern Grenzen gesetzt“. Im Ursprungsland des Reinheitsgebots will man nichts wissen von Zusätzen wie Beeren, Salz oder Aromastoffen. Deshalb setzt der Brauer auf innovative Hopfenzüchtungen wie den zitrusfruchtigen „Mandarina Bavaria“ oder den Polaris mit leichtem Minzgeschmack. Schließlich will er seine Biere nicht nur in der Region verkaufen, sondern auch weiterhin in den USA und auch in Singapur. „Craft Beer is für mi a Bier mit Charakter,“ sagt er und schenkt einen Probierschluck ein. Naturtrüb ist das Bier mit einer ordentlichen Schaumkrone, aber nicht pasteurisiert. „I mach‘ mei Bier just in time,“ erklärt der Rudi.

Der Bayerische Wald wird  Bierkultur-Region

Und am besten schmeckt es natürlich vor Ort, im Bayerischen Wald. Damit das auch die Touristen zu schätzen wissen, hat Rudi zusammen mit anderen die 1. Bierkultur-Region gegründet – im Apostelbräu, so genannt nach dem Urgroßvater Hirz, der sich als Wahrsager einen Namen gemacht hatte, als „Apostel von Hauzenberg“. Mit geballter Bierkompetenz und einer gehörigen Portion Traditionsbewusstsein wollen acht regionale Brauereien, eine Glasmanufaktur und 17 Gastronomie- und Hotelbetriebe in den Landkreisen Freyung-Grafenau und Passau die Region auch kulinarisch nach vorne bringen. Gemeinsam haben die Brauer ein Premiumbier kreiert, den Hopfenklang, den die beteiligten Gastronomen gerne auch zu einem guten Essen servieren.
Helmut Paster vom Hotel Hüttenhof in Grainet engagiert sich nicht nur in der Bierkultur-Region, der 33-jährige Hotelier will auch sein Haus fit für die Zukunft machen.

Vom Austragshäusl zum Luxus-Resort

Sieht alt aus, ist aber neu und luxuriös: Chalet des Hotels Hüttenhof.

Was 1960 in einem „Austragshäusl“ begann, in dem die Oma eine Gaststätte mit drei Tischen eröffnete, hat sich über die Jahre zu einem Luxushotel entwickelt. 2010 entstanden hinter am Haupthaus am Hang die „ersten served Chalets in Bayern“, Häuschen aus Holz, innen und außen mit Altholz verkleidet. Mit Kachelofen, Küche, großzügigem Bad und Hot Pot vor der Tür waren die luxuriösen Chalets schnell ausgebucht.
Im Hotelneubau, der 2014 hinter dem alten Haus mit seinen neueren Anbauten entstand, stellte der Architekt eine Whirlwanne vor den Balkon ins Zimmer – und traf damit offensichtlich den Nerv der Zeit. Die Buchungszahlen für die Wohlfühlzimmer schnellten in die Höhe. Vor allem Pärchen kommen gerne in das „Adults only“-Hotel, in dem sie eine ebenso komfortable wie weitläufige Wellnesslandschaft vorfinden und einen Infinity-Pool, von dem aus sie ins Tal und über die Bayerwald-Höhen schauen können. Helmut Paster könne zufrieden sein, aber er hat noch mehr Pläne: Der älteste Teil des Hauses müsste dem Zeitgeist angepasst werden, meint er, und auf dem Dach des Neubaus würde sich ein Pool gut machen.

Immer Probleme mit der Bürokratie

Dabei plagen den Hotelier auch Sorgen. Der Personalmangel macht ihm zu schaffen und die „überbordende Bürokratie“. Nur gut, dass Tschechien nicht weit ist, von da kommt so mancher Kellner, so manches Zimmermädchen im Hüttenhof.
An der Bürokratie wäre auch Michi Wühr beinahe gescheitert. Der 26-Jährige mit den blauen Augen, dem roten Vollbart und dem grünen Trachtenhut stellt in seiner „Woidsiederei“ im Örtchen Schweinhütt Naturkosmetik her: Seifen und Badezusätze in Bioqualität. Von Haus aus ist der Michi Elektroniker. Aber „im Büro rumsitzen und g‘scheit daherred‘n“ war seine Sache nicht. Die Eltern hatten ihre unrentable Landwirtschaft aufgegeben und verdienten Geld mit ihrem Garten, in dem sie für Gruppen Kaffee und Kuchen servierten.

Wie die Liebe in die Wanne kommt

Der Lavendel brachte den Michi auf die Idee, Seifenblöcke herzustellen. Mit Namen wie „Lieblingsmensch“ oder „Schwoaza Beda“, „Rosentraum“ oder „Bayerische Weihnacht“ eroberten die bunten Seifen schnell eine eigene Kundschaft. Sogar eine Bierseife kommt aus der Woidsiederei: Hopfen- und Malzauszüge kombiniert mit dem Duft von Mandelholz.
Und dann wären da auch noch die „Badekugerln“ mit dem Duft von Zirben, Rosen, Lavendel oder einfach dem Geruch des Bayerischen Waldes – alle liebevoll von Hand gedreht. „Da kommt die ganze Liebe in die Wanne,“ verspricht der Michi und grinst schelmisch.
Der andere Michi – dunkler Vollbart, brauner Hut – ist Küchenchef im Hotel Hüttenhof und kommt aus Sonndorf, wo er mit seinem Vater die „Woidbrennerei“ betreibt. Vater und Sohn besitzen ein Brennrecht über 50 Liter reinen Alkohol pro Jahr. 22 Edelbrände produzieren die Kerschbaumers, wobei sie das verarbeiten, was sie bekommen. Obst, Beeren, Kräuter.

Der Bluadige Dammerl und die Tradition

Neben Klassikern wie Vogelbeerbrand oder Blutwurz gibt‘s auch ganz Eigenes wie den „Bluadigen Dammerl“ aus roten und schwarzen Johannisbeeren, der am 21. Dezember, dem Namenstag des hl. Thomas getrunken wird. Der Name geht auf eine gefürchtete Sagengestalt zurück, den blutigen Thomas, der angeblich in der Raunacht sein Unwesen trieb. Noch heute würden die Häuser in dieser Nacht ausgeräuchert, versichert Michi Kerschbaumer – mit Weihrauch und Glocke.
Ganz ohne Tradition geht‘s scheinbar auch bei den innovativen Jung-Unternehmern nicht. Im Bayerischen Wald kommt eins zum anderen.

Kurz informiert

Anreisen Über die Autobahn Richtung Passau, Abfahrt Aicha. Über kleine Straßen nach Grainet oder Hauzenberg.
Wohnen Das Hotel Hüttenhof liegt hinter Grainet im Stadtteil Hobelsberg. Hier kann man günstig in den älteren Hotelzimmern (ab 90 Euro) mit Halbpension übernachten oder nobel in den Chalets residieren (ab 190 Euro, allerdings nur mit Frühstück) www.hotel-huettenhof.de
Brauerei Die Privatbrauerei Apostelbräu steht in Hauzenberg, Eben 11-13. Auf Voranmeldung macht Rudi Hirz Führungen: www.apostelbraeu.de
Woidsiederei Die Naturseifenfabrik Bayerischer Wald befindet sich Am Grubfeld 6 in Regen: www.woidsiederei.de
Woidbrennerei Die Schnapsbrennerei Kerschbaum hat die Adresse Langfeld 10,94146 Hinterschmiding/Sonndorf: www.daheimvorteil.de/portfolio-item/woidbrennerei_kerschbaum/
Bierkultur Informationen zur 1. Bierkulturregion gibt’s beim Landkreis Freyung-Grafenau, Schlosssteig 1, 94078 Freyung, und beim Landkreis Passau, Domplatz 11, 94032 Passau sowie im Internet unter www.bierkulturregion.de
Auskunft Die Reportage entstand auf Einladung des Hotels Hüttenhof.

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