Ach, ist das schön hier! Im grünblauen Spiegel des Formarinsees stehen die umliegenden Berge Kopf, ein Murmeltier pfeift, noch blüht der blauen Enzian und neben den Felsen ducken sich die Sterne der Silberdisteln. Kein Wunder, dass der Formarinsee 2015 zum schönsten Platz Österreichs gewählt wurde! Aber wo ist hier der Lech?
Denn seinetwegen sind wir ja hierher gekommen, an diesen schönen Platz auf knapp 1800 Meter Höhe. Zwischen hohen Grashalmen rinnt ein Wässerlein, der Formarinbach. Erst wenn er sich mit dem Spullerbach vereinigt, wird das Gewässer zum Lech. Aber der Lechweg beginnt eben schon im Quellgebiet. Und das ist auch gut so.
Der ehemalige Tourismuschef des Arlberger Nobelorts Lech, Hubert Schwärzler, kann sich noch gut an die Anfänge dieses touristischen Weitwanderwegs erinnern.
Inspiriert vom Jakobsweg ist er schon 2001 auf die Idee gekommen, einen grenzüberschreitenden Weg entlang des Lechs zu gründen – womöglich bis nach Augsburg, war das Dorf Lech doch einst das Jagdgebiet der Bischöfe von Augsburg. „Am Anfang“, erinnert sich Schwärzler, „war da eine Mordsbegeisterung. Jeder Ort wollte natürlich seine Perlen zeigen.“ Doch es sollte noch 14 Jahre dauern, bis der Lechweg tatsächlich eröffnet wurde: 125 Kilometer vom Quellgebiet am Formarinsee bis nach Füssen zum Lechfall. Und wo bleibt da Augsburg? Der 80-jährige Schwärzler lächelt verschmitzt und sagt: „Das Potenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft.“
Vom Rinnsal zum Fluss, vom Berg ins Tal soll der Lechweg führen. Doch ganz so wörtlich darf man das nicht nehmen. Es geht keineswegs immer nur bergab und auch nicht nur immer nur am Fluss entlang. Aber eine echte Herausforderung für Bergsteiger ist dieser Weg auch nicht. Die Planer, unter ihnen ein Berliner Ingenieur, sorgten dafür, dass er auch für „Flachlandtiroler“ begehbar ist. Vor allem Frauen wissen das zu schätzen. „Der Weg ist eigentlich weiblich,“ sagt Daniela Pfefferkorn. Die junge Frau mit dem schnellen Schritt muss es wissen, arbeitet sie doch beim Lechweg-Produktmanagement.
Das Auf und Ab – teilweise auf durchaus steilen Steigen – sorgt dafür, dass die Wanderer nicht nur verfolgen können, wie der Fluss anschwillt und an Kraft gewinnt, sondern ihn auch mal von oben betrachten können – das türkisblaue Band, das sich durch die sonnenbeschienene Gras- und Weidelandschaft zieht und durch kleine Orte mit großen Kirchen. Im schattigen Höhenbachtal bekommt der Lech Konkurrenz von den tosenden Simmswasserfällen, und bald danach überspannt eine 200 Meter lange Hängebrücke die Höhenbachschlucht. Es schaukelt ganz schön, weil sich viele Menschen auf der Brücke drängen, Familien mit kleinen Kindern, ältere Paare, Schnellläufer und Langsam-Wanderer.
In Richtung Bach ist der Weg mit Holzstegen möbliert. Drunter färbt sich die Moorwiese schon herbstlich braun. Die grünen Matten sind gesprenkelt mit lila Herbstzeitlosen. „Die sind hochgiftig“, erklärt Sigrid Wolf, die Kräuterpädagogin. 1988 hatte sie in Calgary eine Goldmedaille im Super G gewonnen. Der Weg von der Spitzensportlerin zur „Kräuterhexe“, wie sich die Kräuterpädagoginnen im Lechtal nennen, war für sie fast naheliegend. „Ich hab’ mir schon immer die Kraft aus der Natur geholt“, sagt die Mittfünfzigerin, die mit ihrem grauen Kurzhaarschnitt fast jugendlich wirkt. Beim Wandern mit Gästen will sie Sport und Kräuter zusammenbringen, ein paar Streck- und Dehnübungen gehören dazu.
Doch der Lechweg verspricht auch Genuss. In Elbigenalp zum Beispiel kann man den Lechweg-Gin verkosten. In der Schaubrennerei Haussegen erzählt Melanie Huber, wie die Idee entstanden ist: Wegen der Wacholderbeeren, die am Berg wachsen. Auch die Edelbrände wie Enzian oder Blutwurz verdanken ihre Ingredienzien den Bergen am Lech. Melanie Huber und ihr Mann Mario verarbeiten gern, was in Region wächst: Apfel, Birne, Zwetschge und dazu aromatische Kräuter von den Bergwiesen. Vor allem aber sind die beiden mit viel Herzblut bei der Sache, damit der Haussegen auch weiterhin Glück bringt.
Bei der sagenhaften Geierwally, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Elbigenalp lebte, hing der Haussegen dagegen so richtig schief. Denn Anna Knittel, so der echte Name der jungen Büchsenmacherstochter, die als Adlerjägerin die Männer des Dorfes in den Schatten stellte, war ihrer Zeit weit voraus. Sie war nicht nur mutig, sie wollte sich auch nichts sagen lassen – weder vom Vater noch von anderen Männern. Und so schaffte sie es, in München Malerei zu studieren und später den Mann ihrer Wahl zu heiraten.
Ihre Lebensgeschichte begeistert Guido Degasperi, den Wirt des Restaurants zur Geierwally, immer wieder aufs Neue. Hat er doch als Statist auch bei den Verfilmungen mitgewirkt. Für Veronica Ferres hat er sogar einen Geburtstagskuchen gebacken. Der grauhaarige Kerl mit den vor Heiterkeit sprühenden Augen ist ein Fan wie aus dem Bilderbuch und stammt aus einer Familie „zug’heirateter Verwandter“. Seinem Idol hat der gut 70-Jährige ganze Bilderwände im Gastraum gewidmet, aber wichtiger ist ihm, dass der Mythos Geierwally dem Ort erhalten bleibt. „Allmählich“, sagt er, „ham wir die Geierwally wieder nach Elbigenalp gezogen, dass sie nicht mehr weg konnte.“
Hier könnte man tatsächlich länger verweilen, den berühmten Totentanz und das Beinhaus in der Kirche anschauen, die „Wunderkammer“ oder einfach auf flachem Weg hinüberwandern nach Häselgehr. Wer’s nicht eilig hat auf dem Lechweg, der kann auf Streifzügen so manches entdecken. Es geht ja nicht darum, als Erster ans Ziel zu kommen, sondern den Weg und seine Sehenswürdigkeiten auszukosten. Wie sagte doch Hubert Schwärzler: „Der Lechweg ist nicht nur ein Weg, sondern auch ein Stück Philosophie.“
Doch irgendwann geht auch dieser Weg zu Ende. Noch einmal zeigt der Lech die Kraft seiner wilden Jugend: Am Lechzopf bei Stanzach füllt er mit seinen vielen Verzweigungen zwischen den Kiesbänken fast das ganze Tal. Von Pflach aus schlägt der Lechweg dann einen großen Bogen und führt über Wald- und Forstwege bis zur Sternschanze. Weit unten fließt der Lech in einem engen Bachbett direkt neben der – übervollen – Autobahn. Heroben sind die Wanderer im schattigen Wald fast unter sich. Der Weg ist hin und wieder glitschig wie Schmierseife und einmal sogar durch Stahlseile gesichert. Und irgendwann steht ein Grenzstein im Gebüsch. Nach Vorarlberg und Tirol ist der Lechweg in Bayern angekommen.
Nahe dem karibikgrünen Alpsee, über dem die Schlösser Hohenschwangau und Neuschwanstein thronen, ist es aus mit der Einsamkeit. Biker und Familien mit Kinderwagen umrunden den See, ganze Gruppen drängen sich am Marienmonument und an anderen Aussichtspunkten. Erst, als es noch einmal nach oben geht, auf den Kalvarienberg, wird es wieder ruhiger auf dem Lechweg. Unter den Kreuzen belohnt ein Rundumblick das Durchhaltevermögen. Auf der einen Seite die Schlösser, auf der anderen Seite die Stadt Füssen und dann noch der Lech!
Von hier an geht’s tatsächlich bergab – hinunter zum Lechfall, wo der junge Lech noch einmal zeigt, was er draufhat. „Die Wildflusslandschaft um den Lech ist schon ein Kracher´“, stellt Stefan Fredlmeier zufrieden fest. Der Füssener Tourismusdirektor hat gut lachen. Der Lechweg bringt der Stadt eine ganz andere Klientel als die Schlösser. Und in diesen Corona-Zeiten, in denen die Besucher aus Japan oder China ausbleiben, sind die Lechweg-Wanderer in Füssen hoch willkommen. Darauf ein Lechweg-Bier!
Kurz informiert
Weg Der Lechweg führt auf 125 Kilometern vom Formarinsee in Vorarlberg zum Lechfall in Füssen. Die meisten Wanderer sind sieben Tage unterwegs. Es gibt die Möglichkeit eines Gepäcktransports, zu buchen über die Firma Feuerstein in Steeg: office@feuerstein-bus.at, www.feuerstein-bus.at Viele Wanderer begehen den Lechweg auch in Etappen, bleiben an einem Ort und nutzen den Wanderbuch, um zum Einstieg zu kommen. Ein Serviceheft hilft bei der Planung. Erhältlich ist es beim Verein Lechweg: info@lechweg.com, www.lechweg.com
Anreisen Die Bahn bietet günstige Tarife für die Zielbahnhöfe Füssen, Reutte, St. Anton. Von dort kommt man mit Bus oder Shuttle zur Unterkunft. Die Orte entlang des Lechwegs werden durch Wanderbusse miteinander verbunden. Es gibt ein eigenes Förderprojekt „Lechweg Nachhaltig Mobil“, mit dem der Verein Lechweg ein Zeichen gegen den zunehmenden Reiseverkehr und die Emissionsbelastung auf dem Weg in die Berge setzt. Infos beim Verein Lechweg.
Gästekarten Auf den einzelnen Etappen gibt es verschiedene Gästekarten aber leider keine einheitliche Lechweg-Karte. Die Lech Card etwa (ab einer Übernachtung für 22 Euro und gültig für zwei Tage) beinhaltet die Busfahrt zum Formarinsee und die Wanderbusse innerhalb von Lech und bis nach Elbigenalp im Lechtal: www.mylechcard.at
Die Lechtal Aktiv Card gibt es ab einer Übernachtung bei gekennzeichneten Unterkünften in der Naturparkregion Lechtal. Mit ihr ist der Wanderbuch zwischen Lech und Reutte kostenlos, zahlreiche Bergbahnen können gratis oder verbilligt genutzt werden: www.lechtal.at
Ebenfalls ab einer Übernachtung gibt es die Aktiv Card in der Naturparkregion Reutte. Damit können die Busverbindungen ins Lechtal bis Lech und nach Füssen kostenfrei genutzt werden: www.reutte.com/highlights/aktiv-card/
Auch die Füssen Card ist bei einer Übernachtung bei allen Unterkünften im Gemeindegebiet von Füssen inklusive. Mit ihr sind alle Busfahrten im Gemeindegebiet kostenfrei: www.fuessen.de/fuessencard
Übernachten Auf dem ganzen Weg gibt es geprüfte Gastgeber, die sich auf die Bedürfnisse der Wanderer eingestellt haben. Eine Vorab-Buchung ist empfehlenswert. Am besten über die Tourismusinformation vor Ort.
Sehenswertes In Lech das 400 Jahre alte Huber Hus. heute ein Museum. Das Skyspace Lech, den von James Turrell gestalteten „Lichtraum am Berg“: www.skyspace-lech.com
In Elbigenalp das Restaurant Geierwally, die Wunderkammer im im ehemaligen Elbigenalper Doktorhaus, die Kirche.
Altstadt und Hohes Schloss in Füssen.
Veranstalter Wer ganz sicher sein will, kann den Lechweg auch bei einem Veranstalter buchen, z.B. bei Alpenland-Touristik in Landsberg: info@alpenlandtouristik.de, www.alpenlandtouristik.de
Informieren beim Verein Lechweg, Tel. 0043/5672/62336-20