Sportliche Großereignisse: Sotschi lässt grüßen – oder doch nicht?

Gerne werden sportliche Großveranstaltungen als Motor des Tourismus bezeichnet. Für viele mag sich deshalb die Frage, ob der Wintersport sportliche Großereignisse braucht, gar nicht stellen. Gerade Touristiker versprechen sich durch erhöhte Medienaufmerksamkeit auch einen großen Werbe-Effekt. Aber wie nachhaltig ist das Ganze? Und könnte das viele Geld, das in solche Großveranstaltungen gepumpt wird, nicht sinnvoller in der Breite ausgegeben werden – zumal oft der Landschaftsverbrauch in keinem Verhältnis zum Ergebnis steht wie Sotschi zeigt. In der Touristischen Runde wurde darüber heftig aber nicht allzu kontrovers diskutiert.

Hugo Wetzel, Präsident der Tourismusorganisation Engadin St. Moritz und Präsident der Ski WM 2017 steht auf dem Standpunkt, dass sportliche Großveranstaltungen St. Moritz „extrem“ weiterbringen. „Selbstverständlich“ steige der Bekanntheitsgrad mit solchen Events. Ob sie allerdings längerfristig Auswirkungen auch auf die Buchungen haben kann Hugo Wetzel nicht sagen. „So weit will ich mich nicht aus dem Fenster lehnen“, winkt er ab. Trotzdem ist er überzeugt davon, dass Veranstaltungen wie die Ski WM den Ruf des Ortes nachhaltig festigen. Vor allem dann, wenn Journalisten „nicht nur über Ranglisten schreiben“, sondern auch über den Ort selbst. 
Auch St. Anton profitiert von sportlichen Großereignissen, sagt Martin Ebster. Und das schon seit 1928, dem ersten Kandahar Rennen, das den Ort am Arlberg, wo sieben Jahre zuvor die erste Skischule gegründet wurde, in die Weltpresse katapultierte. Bis heute lebe St. Anton von diesem sportlichen Image, ist der Tourismusdirektor überzeugt. Vor allem aber habe die Ski WM 2001 St. Anton vorangebracht. „Es war die beste Möglichkeit, um an finanzielle Mittel zu kommen, die dabei halfen, den Bahnhof umzuziehen, eine WM-Halle zu bauen und so den Ort für die Zukunft fit zu machen.“ Insofern gibt Martin Ebster dem Cheforganisator des Ski Weltcup, Peter Mall, recht, der meinte, ohne Rennsport wäre St. Anton eine Alm. Durch die Ski Weltmeisterschaft habe St. Anton seine Infrastruktur optimieren können – „vom Mittelmaß an die Spitze“ – und zusätzlich von einem „unbezahlbaren Imagegewinn“ profitiert. All das sei freilich nur möglich gewesen, weil der gesamte Ort hinter der Bewerbung stand und die richtigen Leute mit den wichtigen Netzwerken mit Elan das Projekt unterstützten. 
Etwas anders wertet Peter Nagel, Tourismusdirektor von Garmisch-Partenkirchen den Effekt von sportlichen Großveranstaltungen. „Wir san a bisserl anders bei uns draußen“, räumt er ein und dass es „diese Art von Skiurlaub (wie in St. Moritz oder St. Anton) in Garmisch-Partenkirchen nie gegeben habe. Deshalb versuche man „etwas Eigenes“ und nutze Weltcuprennen auch als Plattform, um den Breitensport zu fördern. Kein Zweifel bestehe freilich daran, dass die Ski WM 2011 „nach einem langen Investitionsstau seit 1978“ den Ort vorangebracht habe. Über 70 Millionen Euro seien in die Lift-Infrastruktur investiert worden. Die Zahl der Skikanonen sei von 14 im Jahr 2000 auf 108 hochgeschnellt. Trotzdem ist dem Tourismusdirektor wichtig, den Ort als „Ganzjahresdestination“ zu vermarkten und auch bei Großereignissen wie einer Ski WM für den Sommer zu werben. Was die gescheiterte Olympia-Bewerbung für 2018 angeht, bei der Garmisch- Partenkirchen mit München im Boot war, ist Nagel froh, „dass die Entscheidung gegen München und Garmisch-Partenkirchen nicht deshalb gefallen ist, weil es bei uns zwei unterschiedliche Meinungen dazu gab“. Positiv wertet er, dass der Ort in der Bewerbungsphase an seinem Image gearbeitet habe und inzwischen auch wieder mehr Münchner zum Skifahren nach Garmisch-Partenkirchen kämen. Sollte sich München 2022 noch einmal – und in Konkurrenz zu St. Moritz – für die Olympischen Winterspiele bewerben wollen, werde man zunächst die Leute vor Ort befragen, verspricht Nagel.
Einen Investitionsschub brachte auch die Nordische Ski WM 2005 für Oberstdorf, ist sich Bernhard Joachim, Geschäftsführer der Allgäu GmbH, sicher. Man habe die Anlagen in einen Top-Zustand gebracht und ein Loipen-System gebaut, das auch im Sommer als Freizeitanlage zur Verfügung stehe. Schon aus diesem Grund fördere die Allgäu GmbH Großveranstaltungen wie die Vier-Schanzen-Tournee oder Ski-Corss in Grasgehren. Aber auch, um das Thema Winter zu kommunizieren und zu zeigen, dass „der Winter nicht made in Österreich“ ist. Fernsehübertragungen von sportlichen Großereignissen sind für Bernhard Joachim für diese Kommunikation gut geeignet, weil sie den Zuschauern den Allgäuer Winter vor Augen führen. Immerhin habe das Allgäu in den letzten Jahren viel für die Verbesserung des Wintersport-Angebots getan, allein in den letzten acht Jahren seien 120 Millionen investiert worden – mit Erfolg: Von 2004 bis 2011 erhöhte sich die Zahl der Winter-Urlauber um 50 Prozent. 
Solchen Zahlen hat Hanspeter Mair, Geschäftsbereichsleiter Hütten, Naturschutz, Raumordung im DAV, wenig entgegenzusetzen, solange die Großveranstaltungen naturverträglich sind und in Orten mit einer schon bestehenden Infrastruktur stattfinden. Mit dem Gesamtkonzept fürs ganze Jahr renne Garmisch-Partenkirchen beim Alpenverein offene Türen ein. Als Wermutstropfen empfindet Mair allerdings den hohen Energieverbrauch „auch durch den Einsatz der Schneekanonen“ und das erhöhte Verkehrsaufkommen. Da sähe er gerne die Bahn mit im Boot. 
Teilweise ist das schon Realität. So in Oberstdorf mit einem eigenen Skizug oder auch in St. Anton, wo auch der Railjet der Österreichischen Bundesbahnen hält. Für Hugo Wetzel aus St. Moritz dienen Großveranstaltungen auch dazu, neue (Verkehrs)Konzepte auf den Weg zu bringen. Erfolgversprechend sind solche Projekte für ihn allerdings nur, „wenn man am Anfang weiß, was man am Ende haben will“. Sonst drohe ein Fiasko. Um ein solches zu vermeiden, beziehe St. Moritz immer auch die Umweltverbände mit ein: „Dann werden die plötzlich sehr konstruktiv.“ 
Auch Peter Nagel sieht in Großveranstaltungen „den Büchsenöffner für Infrastruktur-Probleme“. Allerdings hat er die Erfahrung gemacht, dass nur dann „die horrenden Summen“ locker gemacht würden, wenn der sportliche Event auch wirklich stattfindet. Nach der Ablehnung der Münchner Olympiabewerbung seien auch die Tunnelpläne für Garmisch-Partenkirchen wieder in der Schublade verschwunden. Dafür habe die Ski WM 2011 den Ort „mindestens konkurrenzfähig zu den österreichischen Nachbarn“ gemacht. 
Auf den Hinweis, dass andere Orte auch ohne Großveranstaltungen im Winter erfolgreich seien und die Frage, warum diese trotzdem notwendig seien, antworteten die Referenten unisono mit dem Bekenntnis, dass man vor allem die Jugend wieder zum Skifahren und zum Outdoor-Erlebnis bringen wolle – auch über Idole wie Skirennläufer. Und natürlich auch über Emotionen, die winterliche Wettkämpfe vermitteln. Außerdem bewegten Großveranstaltungen auch die Menschen vor Ort, sie förderten den Zusammenhalt und das ehrenamtliche Engagement. Schon deshalb werde man sich weiter um Events wie Ski WM oder olympische Winterspiele bemühen, auch wenn es in der globalisierten Welt immer schwieriger werde, den Zuschlag zu bekommen. Selbst wenn man mit einer bestehenden Infrastruktur werben könne – siehe Sotschi.  

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