Bad Wörishofen: Alles Kneipp oder was?

Es muss ein echter Hype gewesen sein, damals 1886, als Pfarrer Kneipp im 1100-Einwohner-Dorf Wörishofen „praktizierte“. Die Massen strömten in das Kuhdorf, schliefen auf dem Dachboden und auf Stroh oder in Kammern, die geschäftstüchtige Wörishofer schnell geräumt hatten. 14 100 Gäste waren keine Seltenheit, denn alle wollten den „Wunderheiler“ sehen, der gar kein Doktor war, sondern ein Pfarrer. Aber was für einer: Einer, der schon vor 130 Jahren wusste, wie er seinen Namen zu Geld machen konnte – zum Wohle der Patienten, versteht sich. Heute wäre der Wasserdoktor sicher auf Facebook oder in Xing, würde per Instagramm posten oder für seine große Fangemeinde twittern.

Der Erzherzog hackte Holz und Kneipp wurde zur Marke

Damals hat er der als Beichtvater der Dominikanerinnen nach Wörishofen gekommene Pfarrer Bücher geschrieben und so seine Lebensphilosophie über die Balance zwischen Körper und Geist erfolgreich weiter verbreitet. Ganzheitlich würde man seine Lehre heute nennen. Und weil das alles zu seiner Zeit schon so gut ankam, bei reich und arm gleichermaßen, hat er von den einen ordentlich kassiert und die anderen für Gottes Lohn behandelt. Da konnte es dann schon mal vorkommen, dass ein Erzherzog neben einem Metzger Holz hackte. Sebastian Kneipp hat das getan, was man heute Jungunternehmern gerne rät: Er hat sich selbst zur Marke gemacht. Und eine Marke ist er bis heute geblieben.
Vor allem in Bad Wörishofen, dem ehemaligen Kuhdorf, das durch ihn zum Kurort wurde. Wenn man durch den Ort geht, scherzte kürzlich ein Gast, ist es fast wie in China. Nur dass nicht der Große Vorsitzende allgegenwärtig ist, sondern Pfarrer Kneipp. Auf Bildern und Aufstellern, als Büste und als Statue, mit Hund und Zigarre oder milde lächelnd als Porträt.

Dank Kneipp wurde das Kuhdorf zum Kurort

Im interessant inszenierten Kneipp Museum kann man nicht nur seine Lebensgeschichte nachlesen oder seine Philosophie, man kann auch seine Totenmaske bewundern und das bescheidene Zimmer, in dem sein schmales Bett stand. Oder eine Tischdecke, auf der die dankbaren Gäste ihre Namen eingestickt haben. Prinzen waren dabei, Staatsbeamte und Gutsbesitzer aber auch Bürger, Bauern und Mägde. Kneipp verhehlte nicht, dass er einer der Ihren war, einer der in Armut aufgewachsen war. Aber er hatte auch nichts dagegen, dass er zu einer Art Aushängeschild von Bad Wörishofen wurde. Damals beschrieb ein Zeitgenosse den Ort als „bäurisch durch und durch“ und als wohl den billigsten Kurort der Welt. Allerdings gebe es auch nichts außer Pfarrer Kneipp, „kein Kurhaus, kein Orchester, keine Feste…“
Das hat sich gründlich geändert seit Kneipp selbst mit dem Sebastianeum, dem Kinderasyl und dem Kneippianum Heilstätten gebaut und die Barmherzigen Brüder nach Wörishofen geholt hat, die sein Erbe verwalten sollten. 1920 wurde das Dorf vom Bayerischen Staatsministerium zum Bad geadelt, 1949 wurde das ehemalige Kuhdorf zur Stadt. Natürlich gibt es hier längst ein Kurhaus und ein Kurorchester, es gibt Fünf-Sterne-Hotels und Kurpensionen und es gibt die Therme Bad Wörishofen, die all jene anzieht, die vor allem Spaß haben wollen.

Kneipps  Naturheilverfahren ist heute immaterielles Kulturerbe

Doch die DNA des Ortes ist immer noch Kneipp. 2015 wurde das Naturheilverfahren nach Kneipp in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. An 22 öffentlichen Kneippanlagen kann man heute Wasser treten oder ein Armbad („Espresso“ à la Kneipp) machen. Im schön restaurierten Kneippianaum kann man sich einen Gesichtsguss verpassen lassen oder per morgendlicher kalter Waschung auf den Tag vorbereiten, man kann aber auch bei Kerzenlicht meditieren und so zur inneren Balance finden, die Kneipp am Herzen lag.
Noch vor dem Kneippianum entstand das Sebastianeum. 1891 gegründet, war es das erste Kurhaus in Wörishofen. Schon drei Tage nach der Eröffnung kamen 100 Kurgäste zum „Mittagstisch“. Ihnen gab der alles andere als asketisch wirkende Kneipp mit auf den Weg: „Wenn du merkst, du hast gegessen, hast du schon zuviel gegessen.“ Im historischen Sprechzimmer, wo er praktizierte, sind heutzutage die Heilfastenden unter sich.
Beide Hotels atmen noch immer der Geist ihres Gründers, auch wenn sie mehrmals um- und angebaut wurden. Heute bieten Kneippianum und Sebastianeum alles fürs leibliches Wohl (Spa, Sauna, Fitness, Pool), aber eben auch für die Seele. In den Hauskapellen gibt’s wie früher täglich eine Messe, auf den Gängen kann man schon mal einer Schwester über den Weg laufen, die freundlich mit „Grüß Gott“ grüßt. Trotz allen modernen Komforts, mit dem sich die Häuser auf den Zeitgeist einstellen, verleugnen sie nicht ihre Wurzeln. Und das, sagt Christiane-Maria Rapp, die Leiterin der Kneippschen Stiftungen, komme gut an bei den Menschen von heute, die sich nach einer Auszeit vom stressigen Alltag sehnen, sich wieder „erden“ wollen.

Nichts gegen Wassertreten und Wadenwickel

Nicht nur die Stammgäste sondern auch immer mehr junge Leute sind überzeugt davon, dass Kneipps Naturheilverfahren so zeitgemäß ist wie lange nicht. Auf dem Fundament der fünf Säulen „Wasser, Bewegung, Ernährung, Kräuter und innere Ordnung“ hatte der fromme Mann seine Lehre vom gesunden Leben in und mit der Natur begründet. TEM (traditionelle europäische Medizin) macht TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) Konkurrenz, freilich angepasst an die Bedürfnisse der Menschen von heute. Nichts gegen Wassertreten und Wadenwickel. Aber alles ohne missionarischen Eifer. Notorische Langschläfer müssen keine Angst haben, nachts um vier Uhr für eine Ganzkörperpackung oder einen kalten Guss aus dem Schlaf gerissen zu werden. Warmduscher dürfen sich auch ganz allmählich an die Wohltat kalten Wassers gewöhnen, das zu Kneipps Zeiten als Inbegriff der Vitalität galt. Hatte er sich doch selbst, an der damals als unheilbar geltender Lungenschwindsucht erkrankt, durch Bäder in der eiskalten Donau und später mit kalten Güssen kuriert.
Das hat nicht nur sein Immunsystem gestärkt, sondern auch sein Selbstbewusstsein. „Ich will, dass die Ärzte sich meiner Lehren annehmen,“ sagte er später. Kneipp war sich seiner und der Wirkung seiner Kur sicher. Und er wusste, dass auch Wörishofen von ihm profitierte. Nicht nur durch die Sanatorien, die er mit eigenen Geldern bauen ließ. Auch durch den Ruf, den der „Wasserdoktor“ weltweit genoss. Falsche Bescheidenheit kannte er nicht: „Wer als Seelsorger auch den materiellen Wohlstand hebt, wirkt doppelt“, war er überzeugt. Gegen den Wandel im Dorf hatte er nichts einzuwenden, auch nicht dagegen, dass Neubauten den Ort veränderten. Doch die Natur blieb für ihn immer wichtig. „Mit jeden Schritt und Tritt, welche wir in der Natur machen, begegnen uns immer neue Pflanzen, die für uns höchst nützlich und ertragreich sind,“ hat er seinen Zeitgenossen gepredigt.

2017 wird Kneipp in einem Volksmusical gefeiert

Die dankbaren Nachgeborenen beherzigen seine Lehre bis heute. Im weitläufigen Kurpark findet man Kneipps Lieblingskräuter in einem ihm gewidmeten Gärtchen gleich neben dem Garten des Fuchsien-Erfinders Leonhart Fuchs und dem Mittelalter-Garten von Walahfrid Strabo. Spaziergänger können sich am Duft von Tausenden von Rosen berauschen. Auf dem Barfuß-Pfad kommen auch Stadtmenschen der Natur wieder ganz nahe, im Kräuter-Workshop erfahren Digital Natives die Heilkraft auch der heimischen Pflanzen, und beim Spaziergang mit einer Nonne können auch Skeptiker spirituelle Energie tanken.
Rund 14 000 Einwohner hat Bad Wörishofen heute, so viele wie einst als Heilungssuchende in das unbekannte Dorf strömten. Der Hype um den heilkundigen Pfarrer ist zwar Geschichte, aber seine gesamtheitliche Lehre wird gerade wieder neu entdeckt. Und 2017, wenn sein 120. Todestag ansteht, feiert der gesundheitsbewusste Pfarrer gar eine Wiederauferstehung – in einem Volksmusical.
Kurz informiert
Anreisen. Bad Wörishofen ist gut angebunden an das Verkehrsnetz. Es verfügt über einen Bahnhof. Zur Autobahn sind es nur wenige Kilometer.
Übernachten. In Bad Wörishofen gibt es Unterkünfte für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel. Im Kneippianum zahlt man in der Hauptsaison für ein Doppelzimmer mit Kneipp-Pension ab 156 Euro: www.kneippianum.de
Im Sebastianeum kostet das DZ mit Halbpension ab 180 Euro. Bei längerem Aufenthalt wird es günstiger: www.sebastianeum.de/
Kneipp Museum im Dominikanerinnenkloster: Erwachsene zahle drei Euro Eintritt, Öffnungszeiten bis 15. Novermber Die– So 15-18 Uhr, Mi 10-13 Uhr: www.kneippmuseum.de
Informieren. Kurverwaltung 86825Bad Wörishofen, Luitpold-Leusser-Platz 2, Tel. 08247/9933-0, E-Mail: kurdirektion@bad-woerishofen.de, www.bad-woerishofen.de

 

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