73 Jahre ist die Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte inzwischen – und jung wie 1952, als sie das erste Mal die Bühne betrat. Kein Wunder der Kosmetik: Die Schöne ist eine Puppe, einer der Stars der Salzburger Marionettenbühne. Dass Puppen die Bühne beherrschen, ist hier keine abschreckende Science Fiction. Denn anders als in so mancher Dystopie sind es im Marionettentheater immer noch die Menschen, die die Fäden ziehen. So war es schon zu den Gründerzeiten, als der „akademische Bildhauer“ Anton Aicher im Turnsaal des fürsterzbischöflichen Borromäums Mozarts Bastien und Bastienne inszenierte.
Szenenwechsel
Und so ist es noch heute, wenn Neuproduktionen wie der „Karneval der Tiere“ auf die Bühne kommen. Oder wenn nach mehr als zehn Jahren Richard Wagners monumentale Nibelungen-Tetralogie in moderner Perspektive wieder auf genommen wird oder zur Mozartwoche Rimski-Korsakows Kammeroper “Mozart und Salieri”. Da begegnen sich schon mal Mensch und Marionette auf der Bühne,, die sonst den Marionetten vorbehalten ist. Diese Bühne hat schon einige Szenenwechsel erlebt, bis die Salzburger Marionetten eine neue Heimat gefunden haben. 47 Jahre blieben sie dem Saal im Borromäum treu. Nach dem Krieg und mehreren Umzügen bekamen sie 1971 ein eigenes Theater im ehemaligen Hotel Mirabell. Zur Eröffnung gab es Rossinis „Barbier von Sevilla“. Der großen Oper bleibt das Theater treu, aber auch Schauspiele und Märchen werden inszeniert.
Drohendes Aus
Nach dem Tod von Gretl Aicher, der Enkelin des Gründers, übernahm Barbara Heuberger die Leitung des Marionettentheaters. Doch die „Mutter der Kompagnie“, als die sich die quirlige Frau mit den kurzen grauen Haaren und den wachen Augen gerne sah, konnte nicht verhindern, dass das Marionettentheater in Schieflage geriet. Auch eine Crowdfunding-Aktion half den Salzburger Marionetten nicht aus der Misere. Dem Traditionstheater, drohte das Aus. Das allerdings war nicht im Sinn der Stadt Salzburg und des Salzburger Landes, die ihr Aushängeschild nicht verlieren wollten.
111 Jahre Salzburger Marionetten
Für die finanzielle Unterstützung forderten die Geldgeber eine neue Struktur. Ein Verein wurde gegründet, das Programm sollte neu ausgerichtet werden. Seit 2020 zieht Susanne Tiefenbacher als Geschäftsführerin die Fäden. Die Kulturmanagerin will die „Wahrnehmung der Marionettenbühne stärken“ etwa durch neue Tourneen, wie sie unter Anton Aicher üblich waren. Oder durch kleine Appetitanreger für Menschen, die wenig Zeit haben – ein Best of aus Zauberflöte und Sound of Music, begleitet von Projektionen zur Geschichte des Marionettentheaters und der Salzburger Marionetten. Corona hat diese Pläne teilweise vereitelt. Auch deshalb wird das Jubiläum erst in diesem Jahr gefeiert. 111 Jahre klinge doch fast besser als 110 Jahre, meint Tiefenbacher, während sie die Besucher durch die „Schatzkammer“ der Marionettenbühne führt.
Lob der Unesco
Anders als ihre eher zartgliedrigen, kleinen Vorfahren sind die Salzburger Marionetten heute relativ groß. Fünf Puppenspielerinnen und sechs Puppenspieler zwischen Anfang 20 und 80 lassen in den Salzburger Inszenierungen die Puppen tanzen. Dabei nutzen sie das vom Gründer entworfene Führungskreuz, an dem die Marionetten mit 1,5 Meter langen Fäden befestigt sind. Wie die Puppenspieler über diese Fäden Gefühle und Emotionen auf die Puppen übertragen, hat die Unesco 2016 als „höchst entwickelte Form des Puppen- und Figurentheaters“ ausgezeichnet und die Spielpraxis zum immateriellen Kulturerbe ernannt.
Alt und jung
Die Puppenspieler müssen allerdings noch viel mehr können als Fäden ziehen, müssen schreinern, malen, schnitzen und schneidern. Und das perfekt. Sechs bis acht Jahre dauert es, bis sie eine Hauptrolle übernehmen dürfen. Heide Hölzl ist mit ihren 80 Jahren die Doyenne der Truppe, der Weimarer Philipp Schmidt stieß nach Abschluss seines Musikstudiums vor zwei Jahren als Praktikant dazu. Als ZilpZalp konnte er sich in der Zauberflöte schon mal beweisen.
Forever young
Alle Mitwirkenden wissen, dass die Puppen heute eine ganz andere Konkurrenz haben als vor 111 Jahren. Umso wichtiger ist der einzigartige Charakter jeder Marionette. Die Salzburger Marionetten sind eine Kunstform für sich. Von Anfang an sollten sie den großen Schauspielern und Sängern Konkurrenz machen und auf einer kleinen Bühne große Kunst zeigen. Dabei kommt ihnen zugute, dass sie nicht altern und ihre Gliedmaßen bei Bedarf ausgetauscht werden können. So etwas würden wir uns doch auch manchmal wünschen! Keine Schönheitsoperationen, die womöglich daneben gehen. Nein, einfach die ganze Hand, den ganzen Kopf austauschen, wenn das Original zu alt geworden ist. Anders als ihr menschliches Vorbild ist die Gliederpuppe Anna Pawlowa „forever young“ und konserviert den zarten Körperbau und die feinen Gesichtszüge einer jugendlichen Tänzerin.
Leere Gesichter
Dass Perfektion auch skurrile Züge tragen kann, beweist der Theater-Fundus. Hier warten die aktuellen Puppen auf ihren Einsatz. Was für eine Backstage! Da steht die versammelte Trapp-Familie, die seit 2007 „The Sound of Music“ verkörpert, jenes erfolgreiche Broadway-Musical über eine angehende Nonne, die erst Kindermädchen und dann Baronin wird, das bis heute scharenweise amerikanische Touristen nach Salzburg spült. Und dort warten Puppen für die Humperdinck-Oper „Hänsel und Gretel“ auf ihren Auftritt. Aber was ist das? Lauter Puppen ohne Gesichter? Das sind die Puppen für Beethovens „Fidelio“, erklärt Susanne Tiefenbacher. „Die leeren Gesichter sind als Projektionsflächen für die Zuschauer gedacht.“ So ändern sich die Zeiten.
Kleine Menschlein
Die meisten Stars des Marionettentheaters aber sind immer noch so einzigartig wie einst. Für eine Rolle braucht es da oft drei bis fünf Figuren. Um sie tanzen zu lassen, müssen die Puppenspieler an bis zu 215 Fäden ziehen. Damit dabei nichts eingeschränkt wird, müssen Kleider und Hosen entsprechend angepasst werden. Die Strippenzieher in Salzburg müssen auf vieles achten, damit ihre Puppen auch in Zukunft die Zuschauenden überzeugen. Wie sagte Barbara Heuberger, die frühere Prinzipalin: „Wir arbeiten hier mit kleinen Menschlein.“ Mit ihren Inszenierungen macht die Salzburger Marionettenbühne seit 110 Jahren Wunder wahr. Denn die Puppenspieler erwecken mit ihrer Kunst tatsächlich Holzköpfe zum Leben.
Info:
Theater: Salzburger Marionettentheater, Schwarzstr. 24, 5020 Salzburg, Tel. 0043/662/ 872406, https://marionetten.at
Tipp: Zur Mozartwoche vom 24. Januar bis 2. Februar kommt eine Neuproduktion von Rimski-Korsakows Kammeroper “Mozart und Salieri” auf die Marionettenbühne. Die einstündige Oper ist eine Koproduktion der Internationalen Stiftung Mozarteum, dem Salzburger Marionettentheater und der Universität Mozarteum. Tickets ab 35 Euro.
Blick hinter die Kulissen: Das Marionettentheater bietet auch Workshops für Kinder und Erwachsene mit Vorstellungsbesuchen: https://marionetten.at/aktuelles
Jubiläum: Anlässlich des 111-Jahre-Jubiläums wird es am 24. Oktober 2024 eine Erstaufführung von Romeo und Julia unter der Regie von Thomas Reichert geben. Die Premiere wird im Rahmen eines geplanten Puppenfestivals stattfinden.