Die Veranstalter haben sich lange Zeit kulant gezeigt und kostenfreies Stornieren ermöglicht. Doch inzwischen sind die meisten zu den üblichen Storno-Staffeln zurückgekehrt. „Kostenfrei ist vorbei!“ warnt denn auch der Kemptener Reiserechtler Prof. Ernst Führich: „Die meisten bisher ergangenen Gerichtsurteile betrafen Buchungen vor dem Ausrufen der Corona-Pandemie Anfang 2020. Wer heute sehenden Auges und in Kenntnis der dynamischen Wellen der Ausbruchsgeschehen der Pandemie Reisen bucht, kann er sich bei einer Stornierung nicht auf die Entlastung eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes berufen.“
Nicht die Augen verschließen
Wenn die weltweite Infektionsgefahr und die behördlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bereits bei Vertragsschluss „einem verständigen Reisenden bekannt sein müssen“, greife der Schutz des EU-Pauschalreiserechts nicht. Der Reiserechtler weist auf die oft vergessene Tatsache hin, „dass das EU-Recht davon ausgeht, dass die Corona-Pandemie im Zeitfenster nach Vertragsschluss und vor dem Reisebeginn auftritt“. Sei aber die Pandemie mit den weltweiten Maßnahmen zur ihrer Eindämmung bereits bei der Wahl der Reise bekannt, dann sei auch die vereinbarte Entschädigung nicht zu zahlen. Der Urlauber könne bei der Buchung nicht die Augen vor den seit zwei Jahren andauernden weltweiten Gefahren für Leib und Leben verschließen und hoffen, die Pandemie werde bald vorbei sein.
Nichtwissen schützt nicht
Führich: „Ein Reisender handelt rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 242 BGB und ist nicht schutzbedürftig, wenn er sich auf einen entschädigungslosen Rücktritt vor Reisebeginn iSd § 651h III BGB beruft, obwohl er bei Vertragsschluss wissen konnte, dass die Behörden, die immer noch bestehende europa- und weltweite Infektionsgefahr durch die Pandemie weiter versuchen einzudämmen.“ Da die Corona-Pandemie mit ihren Ausbruchswellen sowie den Reisewarnungen des Auswärtigen Amts und des RKI zwischenzeitlich seit fast zwei Jahren das beherrschende Thema aller Medien sei, könne sich der Reisende nicht mehr darauf berufen, „gerade er habe von dem wellenförmigen Ausbruchsgeschehen des Corona-Virus nichts gewusst“.
Privatrisiko des Reisenden
Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie dienten schließlich auch dem Schutze des Reisenden. Staatliche Reisebeschränkungen fielen damit nicht nur in die Verantwortung des Veranstalters, sie gehörten auch zum Privatrisiko des Reisenden. Führich sieht es deshalb als „angemessen“ an, mit zunehmender Dauer der Pandemie die behördlichen Reisehindernisse zum privaten Lebensrisiko des Reisenden zu zählen – so wie die fehlende behördlich notwendige Impfung für eine Reisedestination, das persönliche Impfrisiko oder eine Erkrankung.
Auch Schutz für Veranstalter
Der Reiserechtler, der selbst Sachverständiger im Gesetzgebungsverfahren war, betont, dass das EU-Recht nicht nur den Verbraucher schützen will, sondern auch den Veranstalter als Unternehmer: „Unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragspartner erleidet der Reiseveranstalter ohne eine Stornoentschädigung so erhebliche finanzielle Nachteile, dass der Wesensgehalt der Grundrechte der Unternehmerfreiheit und des Eigentums der EU-Grundrechte-Charta verletzt wird.“ Damit sei das Gleichgewicht zwischen den Grundrechten des Unternehmerschutzes und des Verbraucherschutzes gestört.
Sicherer mit Flex-Tarifen
Aus all diesen Gründen sieht Führich keine Chance, dass Urlauber bei Reisen, die während der Pandemie gebucht werden, kostenfrei aus ihren Verträgen herauskommen. Er rät daher, bei der Reisebuchung die meist kostenpflichtigen Flex-Tarife zu wählen, die bis zu einem bestimmten Datum kostenfreie Stornierung oder Umbuchung ermöglichen.