Da sage noch einer, in Skiorten kämen Feinschmecker nicht auf ihre Kosten! Fürs Schweizer Wallis gilt fast schon das Gegenteil. Feinschmecker haben kaum Zeit zum Skifahren, weil die Menüs so üppig sind, dass sie Stunden damit verbringen könnten, wunderbare Kombinationen auf der Zunge zergehen zu lassen.
Zum Beispiel in
Crans Montana, eher schon einer Skistadt mitten in den Bergen, gesegnet mit Pisten, die das Skifahrerherz höher schlagen lassen und einem Ausblick auf die
Couronne Impériale, die Kaiserkrone, die schwindeln macht. Da kann man es glatt verschmerzen, dass
Crans Montana mit seinen Hochhäusern so gar nichts Romantisches an sich hat. Auf 7500 Einwohner kommen hier 4000 Gästebetten, davon 2000 allein in Appartements. Das führt dazu, dass in der Vor- und Nachsaison der halbe Ort verrammelt scheint. Die Besitzer oder ihre Gäste kommen vor allem an Weihnachten, zu den Faschingsferien oder wie jetzt zu Ostern. Als heilklimatischer Kurort hat
Crans Montana seine Karriere begonnen, vier große Kliniken erinnern noch daran. Doch mittlerweile ist es zur Spielwiese von Immobilienhaien geworden, die vor allem aus Russland kommen und in den
Walliser Bergen ein eigenes Imperium bauen wollen. Die Alteingesessenen sehen’s mit Misstrauen und mokieren sich unter der Hand über das Hotel Ambassador, einen Riesenkasten mit spitzem Giebel, der über dem Lac Grenon thront, und – leer wie er die meiste Zeit zu sein scheint – ein bisschen an „Shining“ erinnert. Im Juni dieses Jahres verheißt die website, soll das
CransAmbassador als exklusives Haus wieder eröffnen.
Dann gibt es noch ein ambitioniertes Restaurant mehr in
Crans Montana.
Charly Cottini, den Chef der Bergérie, ficht das nicht an. In dieser „Schäferei“ geht’s rustikal zu. Wer mag, kann sein Raclette neben einem Stall verspeisen, den sich Ziegen und Hasen teilen.
250 Portionen Raclette in der Stunde können es in Hoch-Zeiten schon mal sein, die der Serbe Ziko hier absäbelt. Seit 30 Jahren jongliert der 53-Jährige in der
Bergérie du Cervin gekonnt mit den heißen Raclette-Tellern. Und während sich die Gäste in dieser ländlichen Umgebung gerne ganz leger geben, hat der Patron seinen Auftritt: Das weiße Hemd lässig über der Jeans, den rosa Pulli über der Schulter und einen Mönchspudel in der Tragetasche, den er seinen Bussi-Freunden stolz präsentiert – fast so stolz wie die blonde, langbeinige Schönheit an seiner Seite.
Sehen und gesehen werden gehört in
Crans Montana eben doch dazu. Auch in der
Cabane de Violettes direkt im Skigebiet, wo man die
Couronne Impériale mit Matterhorn und Mont Blanc im Blick hat. Auf 2208 Metern Höhe wird hier in einem rustikalen Natursteinhaus mit kleiner Küche große Kochkunst zelebriert. Die Feinschmecker kommen auch ohne Ski her – mit der Gondelbahn direkt aus dem Tal. Um den grandiosen Ausblick zu genießen und feine Dinge zu verspeisen wie die Gnocchi mit Gruyère, den Linsensalat mit Walliser Schinken oder die heiß geliebten Marshmellows mit Absinth, die’s zum Espresso gibt. „Am Morgen ist es sportiv, alles hoch zu bringen“, sagt Sous-Chef Maxime Bouquet (27), der Sternekoch
Franck Reynaud bei seinen kulinarischen Höhenflügen unterstützt. Manchmal brauchen sie 20 Kabinen, um all die frischen Zutaten vom Tal auf den Berg zu befördern. Doch diese Frische ist das Markenzeichen der außergewöhnlichen „Hütte“ und dafür steht der Mann mit den wilden Rastalocken schon um 8 Uhr am Herd.
Auch
David Pasquiet könnte mit Kochen seinen Lebensunterhalt verdienen. Doch der 42-Jährige mit den raspelkurzen schwarzen Haaren und dem Stecker im rechten Ohr ist der Schokolade verfallen. David und seine Frau Virginie verwandeln in ihrer Schokoladenmanufaktur einfache Schokolade in essbare Kunstwerke. Selbst mit den kleinen bunten Ostereiern kann man kleine Geschmacksexplosionen erleben. Wobei sich David nicht nur als Chocolatier sieht, sondern als Künstler. Tagelang kann er an einen Orang Urang aus Schokolade hinarbeiten, an einen grazilen Schuh oder ein Paar Skier. „David hat viele Ideen“, erklärt Virginie, „manche kommen ihm im Schlaf“. Sind seine Schoko-Kunstwerke nicht viel zu schön, um sie aufzuessen? Virginie lacht. Nein, kontert sie, „Sie sind zu gut, um sie nur anzuschauen.“
Das Auge isst mit, sagt man so schön. Deshalb gibt sich
Lionel Chabroux im
Relais Miégois auch so viel Mühe mit der Präsentation seiner verschiedenen Gänge. Seit der junge Vater hier kocht, ist das coole Restaurant, das in dem kleinen Ort
Miége wie von einem anderen Stern wirkt, vom Geheimtipp zum Mekka der Feinschmecker avanciert. Dabei greift der 26-jährige Koch aus der Auvergne nicht nach den Sternen. „Meine Küche passt sich dem an, was möglich ist“, erklärt der blauäugige Franzose bescheiden. So viele Produkte wie möglich bezieht er aus der nächsten Umgebung, nur der Fisch kommt aus der Bretagne. Die Brasse auf der Haut gebraten mit Zitronenkaviar und einem Zitronenschäumchen ist so perfekt wie das begleitende Risotto mit Algen auf Pak Choy und das Süppchen von Blumenkohl mit Mini-Entenstreifen und Trüffelöl
.
Am liebsten würde man in diesem außergewöhnlichen Restaurant mit den großen Fenstern den Tag vertrödeln und sich vom Maitre verwöhnen lassen. Doch es lohnt sich, zwischendrin auch mal auf die Piste zu gehen, zum Beispiel in
Champéry. Der kleine Ort zwischen den großen Bergen ist so ganz anders als
Crans Montana. Dörflich ist die Atmosphäre hier, viele Chalets sehen so aus, wie man sie sich vorstellt: dunkelbraun mit Balkonen. Selbst die Läden und die Hotels passen in das Bilderbuchbild eines Schweizer Dorfs in den Bergen. Dass ausgerechnet hier ein Schotte den Kochlöffel schwingt, ist umso außergewöhnlicher.
Callum Todd aus Glasgow kam nach
Champéry um Ski zu fahren. Er blieb auch den Sommer über und „das war’s“. Seit zehn Jahren ist der 35-Jährige nun Wahl-Schweizer, seit zwei Jahren Chef im
C21, wo man in entspannter Atmosphäre unter uralten Holzbalken sitzt und sich bei Kerzenschein an Collums ideenreicher Haubenküche labt. Auf zehn Gänge bringt es so ein Menü, das von der Raffinesse der Molekularküche ebenso profitiert wie von den regionalen Zutaten, die täglich frisch ins Haus geliefert werden. Da gesellen sich dann Zitronengras und Sojabohnensprossen zum frischen Fisch von der Angel, während das Lamm-Karrée ganz traditionell mit Wurzelgemüse daherkommt. Und zum guten Schluss gibt der Käsekuchen im Stickstoff zubereitet dem Genießer das trügerische Gefühl wunderbarer Leichtigkeit.
Collum Todd weiß, dass sein Restaurant „in der Gegend ziemlich einmalig ist“. Deshalb mutet er den Gästen auch ein festes Menü zu. Inspirationen dafür holt er sich auf seinen Reisen, die ihn in die ganze Welt führen – auch nach Japan, wo Essen noch zelebriert wird.
Die Konkurrenz am Ort ist das
Atelier Gourmand, wo
Julien Texier (38) aus Val d’Isère seit 16 Jahren so kocht, wie es dem sprichwörtlichen „Gott in Frankreich“ schmeckt. Himmlisch das Duett von der Foie gras warm und kalt auf einer Espuma von Sellerie oder auch die Bressetaube auf Knochen gebraten in einer Sauce mit Bier vom Jura.
Wer schlank bleiben will, müsste eigentlich auf den „Coupe de Meringue“ mit Erdbeer-Mousse und Beerensorbet verzichten. Aber vielleicht kann man ja das Menü am nächsten Skitag abarbeiten. Immerhin ist
Champéry das Tor zu einem der größten Skigebiete der Welt, die grenzüberschreitenden
Portes du Soleil – mit 650 Pistenkilometern, darunter auch der „Mutter aller Buckelpisten“, der berüchtigten Chavanette, auch Schweizer Mauer genannt, die auch geübten Skifahrern mehr als Stehvermögen abverlangt.
Wenn die Oberschenkel brennen, sollte man doch mal wieder Pause machen. Les Marmottes heißt die Hütte mitten im Skigebiet, wo man in der Sonne sitzen und auf die nadelspitzten Dents de Midi schauen kann. Großmutters Küche kommt hier zu Ehren. Es gibt eine Suppenbar und hausgemachte „Tartines“, gefüllte Brote, für den kleinen Hunger und das Fondue de la Marmott für all jene, die sich so richtig satt essen wollen. Auch das Baiser mit Aies und Double Cream aus Gruyère ist nichts für Schlankheitsbewusste oder Kalorienzähler. „Wir wollen, dass unsere Gäste sich wohl fühlen“, sagt Benjamin Fourmy (38), der aus Paris kommt und zum ersten Mal in seinem Leben für ein Bergrestaurant verantwortlich ist. Für den Beau mit dem graumelierten Haar und den feinen Gesichtszügen ist es „nicht ein Job, sondern eine Art zu leben“. Täglich fährt er mit dem Schneemobil zum Einkaufen, um für die Gäste die frischesten Produkte auf den Berg zu holen, manchmal auch direkt vom Bauernhof.
Valérie Berra ist eine von acht Bäuerinnen am Ort. 50 Kühe stehen im Stall, 30 Milchkühe und Kälber. Milka heißen sie, Eclipse oder Mirtille und sie sind alle „Teil der Familie“, so Valérie. Sie macht ihre eigene Butter, ihren eigenen Käse, backt ihr eigenes Brot, kocht ihre eigenen Marmeladen ein und verkauft ihre Produkte an die Hotels und Restaurants von Champéry. Den Sommer verbringt sie mit der Familie auf die Alm. „Für die Kinder ist es das Paradies“, erzählt die 30-jährige Bäuerin. Vier und sechs Jahre alt sind ihre Jungs. Und sie sind es gewohnt, dass ihre Mutter fast ständig arbeitet, von 5.30 Uhr in der Früh bis abends um 22.30 Uhr, sieben Tage die Woche. Feiertage oder gar Ferien kennt
Valérie Berra nicht. „Man muss so ein Leben mögen“, sagt sie und strahlt so viel Zufriedenheit aus, dass man wider bessere Einsicht fast schon mit ihr tauschen möchte. Touristen, die ihren Hof besuchen, möchte sie für das harte Leben in der Landwirtschaft sensibilisieren. Auf ihrem Hof sollen sie sehen, woher die Nahrungsmittel kommen, die Walliser Köche zu feinsten Leckerbissen verarbeiten. Und dann tischt Valérie auf: Warmes Brot und hausgemachte Butter, ein Stück Käse, Bärlauchpesto und Geräuchertes. Dazu frische Milch. Besser könnte es nicht einmal im Sterne-Restaurant schmecken…