Wozu noch Ideale: Marina Lewyckas „Die Werte der modernen Welt unter Berücksichtigung diverser Kleintiere“

„Die Werte der modernen Welt“ sind für Marina Lewycka vor allem zu einem da – sie der Gesellschaft um die Ohren zu hauen. Die als Tochter ukrainischer Eltern in Kiel geborene Bestseller-Autorin („Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch“)tut das mit der ihr eigenen Lust an der Übertreibung und einer gehörigen Portion Ironie. 

Das Buch beginnt fulminant mit einer Abrechnung alter Hippie-Herrlichkeit. Die Kommunarden-Ideale, die Doro und Marcus ihren Kindern Serge und Clara eingeimpft haben, sind zerstoben. Von der Vision einer von sexuellen und monetären Abhängigkeiten befreiten Gesellschaft ist ihnen nur Oolie-Anna geblieben, das Mädchen mit dem Down-Syndrom, das eine Teilzeit-Kommunardin bei ihrem Auszug zurück gelassen hat. Aber selbst sie will sich aus dem Armen der Übermutter Doro befreien, ihr eigenes Leben leben. So wie Serge, der seine Doktorarbeit geschmissen hat, um mit „risikobasierten Derivaten“ jede Menge Geld zu verdienen – was er seiner Mutter tunlichst verschweigt. Oder wie Clara, die als Lehrerin immerhin versucht, ein bisschen Ordnung in das hoffnungslose Chaos einer Unterschicht-Schule zu bringen – und mit ihren gut gemeinten Initiativen regelmäßig scheitert. 
Vielleicht genau die richtige Zeit, für die beiden alternden Hippies ihre langjährige uneheliche Zweisamkeit doch noch zu legitimieren. Während sich Doro zunehmend im falschen Film fühlt („Revolutionär nennt man heute die neueste Mobilfunktechnik. Sie denken, Indie-Musik zu hören macht einen zum Rebellen.“), lächeln die Kinder über die Rückständigkeit ihrer Eltern. Wie anders doch ihr eigenes Leben ist! Angesichts der Reize seiner ukrainischen Kollegin läuft Serge zur Hochform auf und spekuliert mit Geld, das er nicht hat. Das kann nicht gut gehen. Tut es auch nicht. 
Vieles, was jetzt noch kommt, ist so vorhersehbar wie der Hamster im Hamsterrad. Auch die Enthüllungen, die Doros feste Glaubensfundamente erschüttern, sind so überraschend nicht. Dass sich am Ende doch noch (fast) alles zum Guten wendet, und auch alle drei Kinder den richtigen Partner abkriegen, klingt nach Kitsch. Doch Marina Lewycka umkurvt bravourös auch diese Klippe, indem sie dem Leser eine Slapstik-Komödie vorführt, die geradezu nach einer Verfilmung schreit. Und ganz am Schluss wird das happy end doch wieder in Frage gestellt…
Fazit: Trotz mancher Längen eine ebenso bissige wie unterhaltsame Abrechnung mit den „Werten der modernen Welt“ im allgemeinen (und den Ambitionen hübscher Ukrainerinnen im Besonderen). 
Info: Marina Lewycka, Die Werte der modernen Welt unter Berücksichtigung diverser Kleintiere, dtv, 455 S., 19,90 Euro 

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