Vom hässlichen Entlein – Der Märchendichter Hans Christian

leise rieselt der Schnee, watteweich liegt er auf den Dächern von Schloss Amalienborg. Auf dem Schlossplatz frieren die Wachsoldaten trotz ihrer Bärenfellmützen. Hinter den Fenstern des Brockdorffschen Palais flackert Kerzenlicht. Auf dem großen Christbaum im Salon glitzern und funkeln die Kugeln, als wären es Edelsteine. Behaglich ist es bei der Familie des Fregattenkapitäns Wulff, doch der junge Gast kommt aus dem Staunen nicht heraus. Hans Christian Andersen fühlt sich in dieser "gebildeten Welt" wie Aladin im Wunderland. Jahre später wird er als berühmter Dichter gern gesehener Gast der königlichen Familie auf Schloss Amalienborg selbst sein.
Mein Leben ist ein schönes Märchen, so froh und reich. Wäre mir als Junge, da ich arm und einsam in die Welt hinaus zog, eine mächtige Fee begegnet, mein Schicksal hätte nicht glücklicher sein können." Wohl wahr. Keine Fee hätte Hans Christian Andersen ein schöneres Leben zaubern können. Ein schöneres Gesicht, das vielleicht ­ aber wen kümmerte das schon, als Andersen bei Hofe ein und aus ging und sich aussuchen konnte, bei wem er sich zum Mittagessen einlud? Ganz Kopenhagen lag dem Märchendichter zu Füßen und heute ­ 200 Jahre nach seinem Geburtstag ­ ist es die ganze Welt. Dafür sorgt schon die dänische Hauptstadt, die ihren Dichter 2005 ein ganzes Jahr lang feiern will. Wer hätte gedacht, dass der Junge aus dem "Lumpenproletariat" von Odense einmal eigene Sonderbotschafter bekommen würde, die seinen Namen hinaustragen in alle Welt? Als der 14-jährige Hans Christian Andersen als blinder Passagier mit der Postkutsche nach Kopenhagen kommt, erregt er höchstens Mitleid. Denn der zerlumpte Junge mit der langen Nase und den ungelenken Gliedern ist nicht gerade eine Schönheit. "Aber das arme Entlein, das zuletzt aus dem Ei gekrochen und so hässlich war, wurde gebissen, gepufft und gehänselt von den Enten wie von den Hühnern\x0e.\x0e.\x0e. Das arme Entlein wusste weder, wie es stehen, noch wie es gehen sollte. Es war betrübt, dass es so hässlich aussah und dem ganzen Entenvolk zum Gespötte diente." So wie dem hässlichen jungen Entlein muss es dem jungen Andersen anfangs in Kopenhagen ergangen sein. Doch alle Zurückweisungen, die er erfuhr, konnten ihn in seiner Überzeugung nicht schwankend machen. Er war nach Kopenhagen gekommen mit dem erklärten Anspruch, berühmt zu werden und dafür machte er sich gern zum Gespött, sang und tanzte oder sagte Gedichte auf. Kurz, er spielte den Narren. Doch der seltsame Kauz erregte auch Aufmerksamkeit und mit seiner Mischung aus Naivität und Unverfrorenheit fand er den Weg in einflussreiche Häuser. "Ich will hinfliegen zu ihnen, den königlichen Vögeln, und sie werden mich totbeißen, weil ich, der ich so hässlich bin, mich ihnen zu nähern wage. Aber meinetwegen! Besser von ihnen getötet, als von den Enten gezwackt, von den Hühnern gepickt, von der Hühnermagd gestoßen zu werden…" Das "hochsensible Kerlchen" eroberte das Herz einflussreicher Gönner, die ihn förderten. Und obwohl sein großer Traum, das Theater, an seinem Aussehen scheiterte, wurde mit dem Besuch der Lateinschule der Grundstein für seine spätere Schriftsteller-Karriere gelegt. Hans Christian Orsted, der Physiker und Entdecker des Elektromagnetismus, war einer der Ersten, die in dem unscheinbaren Jungen das Genie erkannten und ihn zu den Märchen ermutigte, die Andersen unsterblich machen sollten. "Und die anderen Kinder jubelten mit: ,Ja es ist ein neuer angekommen!\x0e.\x0e.\x0e.‘ und sie sagten alle: ,Der neue ist der schönste, so jung und majestätisch!‘ und die alten Schwäne verneigten sich vor ihm. Da überschlich ihn Schüchternheit und Verschämtheit und er verbarg den Kopf unter den Flügeln, es war ihm so eigen zumute, er wusste fast selbst nicht, wie. Er war allzu glücklich, aber durchaus nicht stolz, denn ein gutes Herz wird niemals stolz. Er dachte daran, wie er verfolgt und verhöhnt worden, und hörte nun alle sagen, er wäre der schönste von allen schönen Vögeln." Der schönste war Andersen zwar nicht geworden unter all den Paradiesvögeln seiner Zeit, aber der schillerndste. Trotz großer Erfolge und gesellschaftlicher Anerkennung blieb er die meiste Zeit seines Lebens unbehaust. Noch im Alter von 60 Jahren hatte er kein eigenes Bett. Jeden Abend unter der Woche aß er bei einer anderen Familie, nur am Sonntag im Restaurant. Wie beim Wundertopf im Märchen "Der Schweinehirt" wusste der Dichter sehr wohl, was auf den Herden Kopenhagens in den Töpfen köchelte. Mit Vorliebe baute er in seine Märchen nicht nur eigene Erfahrungen ein, sondern auch Orte, die jedes Kind kannte. Da hat der Hund im Märchen "Das Feuerzeug" Augen "so groß wie der Runde Turm von Kopenhagen", da präsentiert der "Standhafte Zinnsoldat" ungerührt sein Gewehr wie der Wachsoldat vor Schloss Amalienborg und "Die Blumen der kleinen Ida" blühen noch heute im Alten Botanischen Garten. Der Dichter war ganz oben angekommen, ging im Schloss aus und ein und ließ keine Gelegenheit aus, Prominente kennen zu lernen. Zwar ging er selbst seinen Freunden manchmal gehörig auf die Nerven, aber zu seiner Zeit war Andersen so etwas wie ein Szenestar ­ ein weit gereister zudem. Er war in Weimar und Rom, in London und Paris. Auch in Augsburg kann man seinen Spuren folgen. Mit dem damaligen Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung, Dr. Gustav Kolb, verband ihn eine enge Freundschaft. Nur bei Frauen versagte sein Charme. Vergeblich legte er Jenny Lind seine Liebe zu Füßen. Die berühmte Schauspielerin wies ihn ebenso ab wie es seine erste Liebe Riborg Vorg getan hatte ­ am selben Ort übrigens, dem heutigen Restaurant Olsen. Nein, Glück in der Liebe war dem sonst so Erfolgreichen nicht beschieden. Dieses Schicksal teilt er mit der kleinen Seejungfrau, die für die Liebe des schönen Prinzen alles geopfert hat und sie doch nie gewinnen kann. Leiden für die Liebe ­ ein Märchenstoff, den das Leben schrieb. Und die kleine Seejungfrau, die der Bildhauer Edvard Eriksen nach seiner Frau gestaltet hat, leidet weiter. Da sitzt sie mit sehnsuchtsvollem Blick auf ihrem Stein an der Uferpromenade Langelinie, gänzlich unbeeindruckt von all den fotografierenden Touristen. Man sieht ihr nicht an, was sie bislang erdulden musste: Bei mehreren Attentaten verlor sie den Kopf, auch ein Arm wurde ihr schon abgesägt und im letzten Jahr sprengten Verrückte die ganze Figur von ihrem Felsen. Doch wie ihr Vorbild hält sie tapfer durch. Andersen hat in seinem 70-jährigen Leben viel geschrieben, Reisebücher, Romane, Theaterstücke. Aber es sind die 156 Märchen, die ihn weltberühmt gemacht haben. Zu seinem 200. Geburtstag wird ganz Dänemark seinen Märchendichter wie einen Nationalhelden feiern. Und weil er durch die Märchen das Kind in uns allen angesprochen hat, haben die Einwohner des kleinen Königreichs ihren Andersen im letzten Jahr zum größten Dänen gewählt. Wie heißt es doch treffend im "Hässlichen Entlein": "Es tut nichts, in einem Entenhof geboren zu sein, wenn man nur in einem Schwanenei gelegen hat." Die Tafel ist festlich gedeckt, Kerzenlicht funkelt im Silberbesteck, bricht sich im Kristall der Gläser und bringt edles Porzellan zum Strahlen. Weihnachtlich glänzt der Christbaum: so ähnlich mag es damals im Brockdorff’schen Palais ausgesehen haben, als Andersen zum ersten Mal ein bürgerliches Weihnachten feiern durfte. Jetzt erinnern die Julebords, die künstlerisch gestalteten Weihnachtstische bei Royal Kopenhagen, der Königlichen Porzellan- und Kristallmanufaktur, an den exzentrischen Poeten und seine wunderbaren Märchen.

Es gibt bisher keine Kommentare.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert