Noch bis Ende des Jahres hat die Bundesrepublik den Vorsitz der Alpenkonvention inne. Und vor allem in den Alpen zeigt sich, wie ernst es Politik und Tourismusorganisationen mit der Aussage ist, dass nachhaltiger Tourismus in den Bergen als Antwort auf den Klimawandel „alternativlos“ ist. Gerade erst hat das bayerische Umweltministerium eingeräumt, dass die Modernisierung von Skigebieten die Natur in den Alpen über Jahrzehnte hinweg schädigen könne. Ist Tourismus also doch eher Fluch als Segen für die Natur? Die Touristische Runde München beschäftigte sich im Alpinen Museum des Deutschen Alpenvereins mit dem Spannungsfeld zwischen Tourismus und Naturschutz.
Die Bahn lockt mit Fahrtziel Natur
Ansätze, beides zu versöhnen, gibt es einige, darunter das Fahrtziel Natur der Deutschen Bahn. Bärbel Fuchs, Geschäftsleiterin DB Regio Allgäu Schwaben, lobt die Verbindung zwischen umweltfreundlicher Anreise mit der Bahn und kostenloser Mobilität vor Ort. Beides zeichne die 23 Destinationen – Naturparke, Biosphärenreservate und Naturschutzgebiete – aus, die von der Bahn und ihren Partnern BUND, NABU und Verkehrsclub Deutschland als Fahrtziele Natur beworben werden. Und das nicht nur in Deutschland, sondern mit dem Nationalpark Hohe Tauern Kärnten und dem Schweizerischen Nationalpark auch in den angrenzenden Alpenländern. Im Rahmen von Fahrtziel Natur, betont Fuchs, finanziere die DB auch die „grüne Anreise“ mit Strom aus erneuerbaren Energien – und das ohne Mehrpreis für BahnCard-Inhaber. Wer keine BahnCard besitze, könne mit einem Aufpreis von einem Euro zum Schutz der Umwelt beitragen. Lob zollt sie dem Gästekartenmodell, das die kostenlose Mobilität in Bussen und Bahnen vor Ort gewährleistet – im Raum Ostallgäu/Ammergauer Alpen zum Beispiel mit der KönigsCard. Mit Bad Hindelang Plus fahre man auch mit Bergbahnen kostenlos und könne Attraktionen wie Naturbad und Indoor-Spielplatz bei freiem Eintritt nutzen.
Im Allgäu kommen Naturschutz und Tourismus zusammen
Auch das Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen ist ein Fahrtziel Natur, und mit Sonthofen stellt das Allgäu nicht nur die Alpenstadt des Jahres 2005, sondern auch den Gastgeber der Konferenz für nachhaltigen Tourismus in den Alpen, die unter der deutschen Präsidentschaft der Alpenkonvention ausgerichtet wird. Entsprechend sieht sich das Allgäu als umweltfreundliche Region, wie Simone Zehnpfennig von der Allgäu GmbH betont. Nicht nur vom Tourismus abhängigen Betrieben wie Gastgebern, Bergschulen oder Wanderführern auch Landwirten, Bäckern, Brauern und Metzgern liege ihre Heimat am Herzen. Immer mehr Menschen fühlten sich dafür verantwortlich, den Nachkommen eine möglichst intakte Natur zu hinterlassen. Als Beispiele nennt sie die Regio-Schmecker, die für ihr Brot schon fast vergessenes Getreide verwenden, den Bio-Ring, der sich für die Züchtung des Original Braunviehs und seine Vermarktung einsetzt oder auch das Öko-Modell Bad Hindelang, das den „Schulterschluss zwischen Alpwirtschaft, Berglandwirtschaft, Naturschutz und Tourismus“ geschafft habe und sich mit der Alpwirtschaft als immaterielles Kulturerbe der Unesco bewerbe.
Im grenzüberschreitenden Naturpark Nagelfluhkette arbeite man unter dem Motto „Dein Freiraum. Mein Lebensraum“ mit so unterschiedlichen Partnern wie Jägern, Kletterern, Bauern und Naturschützern zusammen und sorge dafür, dass auch Kinder schon für die Natur sensibilisiert würden. Für all das, so Zehnpfennig, sei die Allgäu GmbH mit der Qualitätsmarke eine Klammer, die Skischulen gleichermaßen vertrete wie Sennereien. Die Initiativen hätten Deutschlandweit Aufmerksamkeit erregt: 2012/13 wurde die Idee und Umsetzung der Marke Allgäu in Tourismusprojekten im Rahmen des Bundeswettbewerbs für Nachhaltige Tourismusregionen ausgezeichnet und im Leitfaden „Nachhaltigkeit im Deutschlandtourismus“ des Deutschen Tourismusverbandes wurde 2016 das Allgäu drei Mal als Best Practice genannt.
Die CIPRA kritisiert die einseitige Förderung von Seilbahnen
Nicht nur positiv beurteilt Stefan Witty, Geschäftsführer der CIPRA Deutschland – die Internationale Alpenkonvention setzt sich seit 1952 für eine nachhaltige Entwicklung in den Alpen ein – das Allgäu. Kritisch sieht er vor allem die Ausbaupläne am Riedberger Horn, die er als eklatanten Verstoß gegen den Alpenplan wertet, der sich seit 40 Jahren bewährt und sensible Zonen vor einer Übererschließung bewahrt habe. Das Riedberger Horn, das jetzt im Zentrum der Pläne für eine Skischaukel stehe, sei Quellengebiet fürs Birkhuhn und damit wichtig für den gesamten Alpenraum. Witty fordert ein Umdenken der Bayerischen Staatsregierung. Statt Förderprogramme für Seilbahnen und Beschneiungsanlagen (Beispiel Sudelfeld) aufzulegen, sollte naturnaher Tourismus gefördert werden. Die geltenden Seilbahnförderrichtlinien sollten entsprechend geändert werden. In Balderschwang zum Beispiel die Pflege der Loipen, für die es bisher keine Fördergelder gäbe. Die Diskussion um das Riedberger Horn sieht Witty in der Sackgasse: „Schön wäre es, hier auf Reset gehen zu können“, sagt er.
Das Kräuterdorf Irschen geht mit gutem Beispiel voran
Dass ein „sehr kleines Bergdorf in Kärnten“ sich erfolgreich im Tourismus behaupten kann, hat das „Kräuterdorf Irschen“ bewiesen. Eckart Mandler, der nicht nur die Idee zum Kräuterdorf hatte, sondern auch die „Wanderhotels“ begründete, eine naturfreundliche Hotelkooperation, der inzwischen quer über den Alpenbogen 68 Hotels angehören, ist überzeugt davon, dass sich Umweltkonzepte in den Betrieben und den Dörfern auszahlen. Nachhaltigkeit liege im Trend ebenso wie Wandern, und ein Tourismus, der sich mehr auf regionale Potenziale besinne, werde dem gerecht. Beim Wandern, ist Mandler sicher, könne man Verständnis für Schutzmaßnahmen wecken. Vor allem dann, wenn Wandern als Entschleunigung begriffen werde, als Begegnung mit der Kulturlandschaft. Da sei auch die Landwirtschaft gefordert – als Teil des Naturschutzes. Der Kärntner Tourismusexperte lobt Initiativen wie den Anbau alten Korns fürs Brot oder eben die Pflege und Nutzung von Kräutern, mit denen Irschen ganz ohne Golfplatz und Badesee Karriere gemacht habe: „Davon können die Einheimischen leben und der Gast nimmt ein Stück Landschaft mit nach hause.“
Auch FTI setzt vermehrt auf intakte Natur
Irschen ist kein Ziel des Reiseveranstalters FTI, Kärnten aber schon ebenso wie das Allgäu. Martin Katz, bei den Münchner zuständig für die „erdgebundenen Ziele“ weist darauf hin, dass Deutschland immer noch das beliebteste Reiseziel der Deutschen ist und bei allen großen Veranstaltern unter den TOP 5 der Reiseziele rangiere. Auch er sieht Naturschutz und Umweltfreundlichkeit als Basis für einen erfolgreichen Tourismus. Touristische Destinationen wie Dubai investierten Milliarden, um „Natur“ zu erzeugen. Deutschland und seine Nachbarn müssten ihr Kapital Natur mehr in den Vordergrund rücken, fordert Katz und räumt zugleich ein, dass die Veranstalter da zu wenig täten. Das „emotionale Produkt“ Reise werde zu stark auf den Preis reduziert. „Davon müssen wir weg und unser Kunden bei den Träumen abholen“. Zu diesen Träumen gehöre auch eine intakte Natur. Schon bei den nächsten Programmen werden man bei FTI darauf achten, Inhalte wie regionale Küche oder Wanderwege besser zu kommunizieren, verspricht Katz. Und er fügt hinzu: „Wir müssen da noch viel mehr tun.“
Für den Alpenverein ist die Natur im Gebirge die Basis
Das findet auch Rudi Erlacher, Vizepräsident beim Deutschen Alpenverein, der seit 2005 anerkannter Naturschutzverband ist. „Das verpflichtet auch“, sagt Erlacher und weist darauf hin, das immer mehr Berghütten nachhaltig bewirtschaftet würden. Allerdings lebe der Alpenverein, dessen Mitglieder Bergsportler seien, mitten im Spannungsfeld zwischen Naturschutz und Naturnutzung. Wobei Erlacher davon überzeugt ist, dass der Bergsportler das, was er liebt, also die Berge, schützt – im Extremfall auch vor sich selbst. Auch deshalb habe der DAV 1969 den Alpenplan mit initiiert. Dass der DAV Summit Club mit seinem Angebot nicht ganz den umweltfreundlichen Kriterien entspreche, räumt Erlacher ein. „Wir leben im Verband ganz intensiv diese Disparitäten.“ Klar sein müsse aber: „Die Natur im Gebirge ist unsere Basis.“
Weil auch der Tourismus die Natur braucht, würde sich CIPRA-Geschäftsführer Stefan Witty grundsätzlich einen Schulterschluss wünschen und mehr Dialog. Die Politik sollte natur- und umweltfreundliche Maßnahmen fördern statt den Naturverbrauch mit Steuergeldern zu finanzieren. In dem Zusammenhang kritisiert er den neuen Bundesverkehrswegeplan, der mehr Straßenausbau vorsieht statt größere Investitionen in einen gut funktionierenden Nahverkehr.
Infos im Internet:
www.fahrtziel-natur.de
www.allgaeu.de
www.cipra.org
www.kraeuterdorf.at
www.wanderhotels.com
www.fti.de
www.alpenverein.de
Oktober 28, 2016
Da ich aus einem sehr touristischen Ort komme, weiß ich dass man alles mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten kann.