Dieser Ausflug war spannend wie ein Krimi vom Anfang bis zum Ende. Kein Wunder, folgte die Touristische Runde im August doch den Spuren des derzeit wohl berühmtesten Allgäuer Kommissars. Kluftingers Fälle gaben das Thema vor bei der kleinen Tour zwischen Alatsee und Altusried.
Die richtige Spürnase ließen einige Teilnehmer schon bei der Anfahrt vermissen, u.a auch die Sprecherin der Runde. Statt auf dem Parkplatz am Alatsee landeten sie im Umland von Füssen. Geduldig wartete Füssens Tourismuschef Stefan Fredlmeier mit Führerin Erih Gössler auf die Nachzügler, ehe die Wagenkolonne zum Alatsee aufbrach. Zur Begrüßung gab’s die erste Überraschung – knackige bayerische Brezen zur Stärkung. Fredlmeier, seit einem Jahr in Füssen, lud die Teilnehmer ein, die Augen offen zu halten. Füssen sei mehr als Neuschwanstein, sagte er und dass er sich „privilegiert“ fühle, hier zu leben trotz des „Wetters mit Charakter“. Das zeigt sich beim Rundenausflug von seiner launischen Seite, mal grau, dann wieder blau.
Zur „Seegrundführung“ hatte Erih Gössler die Ideen beigesteuert. Doch
bevor sie an die Ausarbeitung gehen konnte, musste sie das Buch des
Allgäuer Autorenduos Volker Klüpfel und Michael Kobr erst mal lesen. Das
Rätsel um einen toten Taucher am geheimnisumwitterten Alatsee ist so
recht nach dem Geschmack der Kluftinger-Fans wie der Amazon-Kritiker
vermerkt: „Bajuwarisches Mythengewaber, heimatlich wohliges
Kässpätzle-Feeling, ein grantelnder Kriminaler, -, das Autorenduo
Klüpfel und Kobr scheint auf eine Goldader gestoßen zu sein, wie die
Leserzuschriften beweisen. Ob im Nahkampf mit dem Fotohandy, seinem
krudem Englisch („…your sunbrill, Miss!“), oder dem größten
anzunehmenden Ungemach in Gestalt einer neuen Assistentin an seiner
Seite -, gemächlich tapsend wie Braunbär Bruno treibt Kluftinger seine
Allgäuer Ermittlungen um den toten Taucher vom Alatsee voran. Gestalten
die sich anfänglich noch unerwartet zäh, so führen bald alle Hinweise
auf den Grund des Alpengewässers und seines blutroten Geheimnisses.“
Die Ausflügler tauchten mit Wonne ein in die schaurig-schönen Rätsel
rund um das Gewässer und ließen sich von Erih Gösslers Darstellungs- und
Vortragskunst verzaubern. Der Alatsee, der mit einem fast strahlenden
Türkis dem Grau der Wolken trotzte, birgt bis heute viele Geheimnisse:
Blutrote Wolkennebel in der Tiefe, die Tauchern buchstäblich den Atem
rauben, eisige Kälte, teuflischer Schwefelgestank – kein Wunder, dass
die Altvorderen den See mieden wie das Tor zur Hölle. Erst zum Ende des
19. Jahrhundert wurde diese entlegene Landschaft mit dem Saum von
schroffen Bergspitzen von Sommerfrischlern mit Botanisiertrommeln und
Schmetterlingsnetzen erobert. Im Dritten Reich wurde der See zur
Sperrzone. Wernher von Braun war hier und die Gerüchteküche kochte.
Angeblich wurde im See die letzte Wunderwaffe getestet. Womöglich liegt
auch tief unter den tödlichen Purpurwolken ein Schatz, den die Nazis vor
den Alliierten versteckt hatten. Jedenfalls sperrten die Amerikaner
nach dem Krieg den See noch weitere neun Jahre ab. Was genau sie
suchten, weiß man, so Erih Gössler, bis heute nicht. Vielleicht
Nazi-Gold, vielleicht auch Hinweise auf eine Wunderwaffe. „Da unten
wurde schon alles vermutet“, erzählt die Führerin mit den schwarzen
Haaren und den scharf geschnittenen Gesichtszügen, „nur das
Bernsteinzimmer nicht.“ Die mysteriösen Vorgänge um den See haben
jedenfalls den Journalist Volker Klüpfel und den Lehrer Michael Kobr zu
ihrem dritten Krimi inspiriert – und Erih Gössler zu ganz besonderen
Führungen rund um den See.
So manches hat auch sie erst durch den Krimi entdeckt, wie die kleine
Hütte am See, aus der Kluftinger bei seinen Ermittlungen Rauch
aufsteigen sah. Die Gruppe lauscht mit angehaltenem Atem, wenn die
Führerin aus dem Krimi liest und auch wenn sie nebenbei aus Füssens
sagenhafter Geschichte erzählt. Zum Abschied verwandelt sich Erih
Gössler vor aller Augen noch in eine veritable Hexe, die mit schriller
Stimme vom Fluch der drei Schwestern erzählt, die junge Männer in den
Toteissee locken und vom heulenden Schlüsselmönch, der in den Wäldern
ringsum umgeht. An dieser Führerin ist eine Schauspielerin verloren
gegangen. Zumindest könnte sie wunderbar bei den Freilichtspielen in
Altusried mitspielen, die das kleine Allgäuer Dorf berühmt gemacht
haben. Aber davon später.
Nach der gruseligen See-Tour klart der Himmel auf ganz so als wäre das
Wetter Teil dieser Inszenierung. In der aussichtsreichen Käserei Lipp
ist der Tisch schon mit einer üppigen Käsebrotzeit gedeckt, bei der alle
herzhaft zugreifen. Die meisten kaufen dann auch noch Käse für zuhause.
Und einige wollen sich gar nicht trennen vom Anblick der grünen
Allgäuer Grasberge, der Kühe und Ziegen. Doch das dichte Programm lässt
wenig Zeit fürs müßige Schauen. Schließlich wartet Klüpfel Senior, der
uns höchstpersönlich durch Kluftingers Heimatort führen will.
Und nicht nur die Sprecherin beschleicht beim Anblick des grauhaarigen
Allgäuers mit dem prächtigen Schnauzer, den Haferlschuhen und der
Krachledernen das Gefühl, das Vorbild für den Kluftinger vor sich zu
haben. Jedenfalls sind Vater Klüpfel und der Kommissar inzwischen intime
Freunde so wie das ganze Dorf sich in den Krimis wieder zu finden
scheint. Das „Kreuzkruzifix“, das der grantelnde Ermittler gerne
ausstößt, nimmt man dem Senior ebenso ab wie das Schnauben wie ein
Walross. Die schauspielerischen Fähigkeiten hat er schon seit 1952
entwickelt, als er das erste Mal auf der Freilichtbühne dabei war. „Als
Altusrieder macht man da einfach mit“, sagt Peter Klüpfel und man glaubt
es ihm aufs Wort. Das ganze Dorf spielt offensichtlich nicht nur auf
der Freilichtbühne mit, sondern auch bei seinen Führungen auf
Kluftinger-Spuren. Denn kaum stehen wir vor dem „Kluftinger-Haus“ schaut
„Erika“, Kluftingers bessere Hälfte“, vom Balkon und hält ein
Schwätzchen mit unserem Führer. Auf dem Friedhof, wo der Kommissar im
Krimi „Milchgeld“ einen Verdächtigen verfolgte, treffen wir zwar nicht
auf einen Täter aber auf eine zweite Gruppe, die wie wir dem Charme des
kauzigen Allgäuers erlegen ist. Vater Klüpfel hat hier auch schon mal
den Kluftinger gemimt und musste dabei „20 mal über den Friedhof
kreisen, danach hab‘ ich alles nur noch verschwommen gesehen.“ So
geht’s, wenn man einen berühmten Sohn hat. Mit uns hat er’s leichter. Da
wird er nicht herum dirigiert für ein besonderes Foto, sondern darf uns
einfach zeigen, was er für wichtig hält – das Blasius-Deckengemälde in
der Rokoko-Kirche, die alte Schule, wo heute der Gesang- und Musikverein
residiert und in der Kluftinger mit seiner „Scheiß-Trommel“ kaum durch
die Tür kommt, die toskanisch inspirierte „Langhammer-Villa“ im Viertel
der „Neigschmeckten“, wo der echte Peter Klüpfel als Kind noch die Kühe
hütete.
Ob der Kluftinger Züge von ihm trägt? Klüpfel Senior lacht „Ja klar, das
isch doch ganz natürlich“ – und ist auch ein bisschen stolz. „I glaub‘,
dass das den Erfolg ausmacht, dass man sich wieder erkennt. Des sind
alles normale Leit in den Krimis.“ Der Nahkampf mit dem Foto-Handy ist
ebenso authentisch wie viele andere Szenen, die Klufti im Kampf mit den
Tücken der Technik zeigen. Dafür stand Papa Klüpfel Pate. „Wenn i was
Neu‘s krieg“, gesteht er, „sagt der Volker immer, aber mit dem Auspacken
wartsch, bis i da bin.“ Die Szene kann er dann bald darauf im nächsten
Krimi nachlesen.
15 Kluftinger-Touren im Jahr macht Papa Klüpfel und wenn der Andrang zu
groß wird, hilft Tochter Martina aus wie heute. Seit zwei Jahren ist er
Rentner und widmet sich vor allem seinen Ehrenämtern wie dem Vorsitz des
Sportverbands oder eben der Freilichtbühne. Natürlich kennt er die
Hintergründe der Krimis (fast) so gut wie die Autoren selbst. Die
Tatsache etwa, dass der Tatort in "Milchgeld" nicht das Milchwerk
Altusried war. „Das trauten die sich damals net“ und dass die beiden
nach dem Erfolg des Buches vom Altusrieder Milchwerk zu einer Lesung
eingeladen wurden. Die Verantwortlichen haben wohl damals schon geahnt,
was ganz Altusried heute weiß: Ein Kluftinger-Tatort ist die beste
Werbung. Heute ist das Allgäuer Milchwerk übrigens in französischen
Händen. Wir erfahren auch, dass früher einmal, als Kluftinger und
Klüpfel Senior Kinder waren, drei Polizisten im Polizeipräsidium
stationiert waren und bis heute noch Gefängniszellen im Keller des
Hauses erhalten sind, das längst privatisiert ist. „I weiß‘ net, warum
wir damals drei Polizisten hatten“, wundert sich unser Guide, „Wir sind
doch heut‘ viel krimineller als damals.“ Sonst hätte der Klufti ja nix
zu tun…
In der Freilichtbühne Altusried, wo alle drei bis vier Jahre während
Festspiele Hunderte von Altusriedern auf der Bühne stehen – natürlich
auch der Kluftinger-, erfahren wir von Kulturamtsleiter Adrian Rambouje
alles über den architektonischen Stolz des Orts. Für die imposante
Holz-Konstruktion mit dem geschwungenen Dach, die an die Münchner
Olympiabauten erinnert, wurden 200 Kubikmeter Holz verbaut. Unter dem
Tribünendach mit 3165 Quadratmeter Fläche sind 2500 Zuschauer geschützt,
während die Darsteller auf der großflächigen Naturbühne schon mal im
Regen stehen können. Trotzdem wurde, so Rambouje mit sichtbarem Stolz,
noch nie eine Veranstaltung abgesagt. Seit der Fertigstellung des 13
Millionen teuren Bauwerks, bei dem auch die Altusrieder fleißig Hand
anlegten, gingen knapp 300 Veranstaltungen über die Bühne. Neben den
klassischen Festspielen, die traditionell um Helden wie Andreas Hofer
oder Wilhelm Tell kreisen, gibt es inzwischen auch Märchen- und
Musical-Inszenierungen häufig mit bekannten Sängern und Schauspielern.
„Es ist so a bissel wie Bayreuth. Man kommt im Sommer zusammen wie eine
Familie“, schwärmt der Kulturamtsleiter.
So vergeht die Zeit und beinahe hätten wir den Auftritt der
Hauptpersonen verpasst, die uns zuvor eine nette, kleine selbstironische
Botschaft per Video übermittelt hatten. Im Cafe der Freilichtbühne
sitzen sie dann leibhaftig vor uns – die beiden Kluftinger-Väter Volker
Klüpfel und Michael Kobr. Für ein längeres Gespräch aber reicht die Zeit
nicht mehr. Die viel gefragten Autoren müssen noch zur Lesung nach
Illerbeuren. Und nach Kaffee und Kuchen trennen sich auch die Wege der
Ausflügler.
Info: www.kommissar-kluftinger.de, www.freilichtbuehner-altusried.de, www.stadt-fuessen.de, www.allgaeu.info