Moderner Vampirismus: Talk Talk von T.C. Boyle

Talk Talk
Autor: T. C. Boyle, Dirk van Gunsteren
Verlag: Hanser
Erschienen: August 2006

Diese Vampire fahren nicht auf Blut ab, auch wenn sie ihre Opfer buchstäblich aussaugen. Über PINs, Passwörter und andere Zugangscodes kommen sie an die Konten ihrer Opfer, die sie skrupellos abräumen, indem sie sich hinter der neuen Identität verstecken. In den USA ist dieser Identitätsdiebstahl schon jetzt ein einträgliches Geschäft – mit schlimmen Folgen für die Opfer. Der amerikanische Bestseller-Autor T.C. Boyle hat das Problem zum Thema seines neuen Romans, eines spannungsgeladenen Thrillers, gemacht. Sie ist schön, jung, erfolgreich und – taub. Das macht Dr. Dana Halter
zu einem geradezu idealen Opfer. Denn als sie nach einem Bagatellunfall
in die gnadenlosen Mühlen der amerikanischen Justiz gerät, die ihr
vielfachen Scheckbetrug vorwirft, stößt die junge Frau im wahrsten Sinn
des Worts auf taube Ohren. All ihr Reden (trotz ihrer Taubheit ist Dana
nicht stumm) hilft nichts, weniger noch als das ganze Talk Talk, die
Gebärdensprache. Auch wenn Dana nach einem traumatisierenden Aufenthalt
in der Untersuchungshaft als unschuldig entlassen werden muss, liegt
ihr Leben in Trümmern. Sie hat ihren Job verloren und steht vor einem
Schuldenberg. Ihr größter Feind heißt Dr. Dana Halter. Nur, wer
verbirgt sich dahinter? Dana ist entschlossen, sich ihre Identität
zurückzuholen und ihr Freund Bridger, ein Vielredner, hilft ihr dabei.
Die Jagd beginnt und damit ein spannendes Road-Movie quer durch die
Staaten, das Boyle reichlich Gelegenheit für Seitenhiebe auf den
amerikanischen Way of Life gibt.
Danas Gegenspieler William Peck Wilson profitiert von dieser
Lebensweise und er hat sich ihre Inhalte zueigen gemacht. Karriere und
Konsum halten den schönen Schein aufrecht, Peck holt sich beides bei
seinen Opfern. Und dazu noch Natalia, einen Russenimport der teuren
Art. Mit diesem Schurken im Gewand eines Gourmets hat T.C. Boyle eine
Art modernem Hochstapler geschaffen, skrupellos, aber nicht gänzlich
unsympathisch. Einen Mann, der das eigene Scheitern in
gesellschaftliche Akzeptanz umzuwandeln wusste und der immer wieder für
Überraschungen gut ist.
Spannung ist also garantiert. Und mehr als das: Ganz nebenbei gelingt es Boyle auch, das
Spannungsfeld auszuloten, das sich zwischen der Welt der Stille, in der
Dana lebt, und dem sinnentleerten Lärmen unserer Welt auftut. Identität
und Kommunikation sind die großen Themen dieses höchst aktuellen
Romans.
Gleichzeitig mit dem Buch kam auch das Hörbuch auf den Markt mit Jan
Josef Liefers als „Vorleser“. Doch damit ist die Rolle des
Schauspielers nur unzureichend beschrieben. Liefers schlüpft in die
unterschiedlichen Rollen fast wie Peck in die Identität seiner Opfer.
Mehr noch, er macht Stimmungen und Situationen hörbar, ganz so als
wüsste er genau, was der Autor uns sagen wollte. Nicht einmal Boyle
hätte Boyle besser interpretieren können. 288 Minuten gehen in solcher
Gesellschaft leider viel zu schnell vorbei.

Info: T.C. Boyle, Talk Talk, Hanser, 21,50 €
T.C. Boyle, Talk Talk, gelesen von Jan Josef Liefers, der Hörverlag, 4 CD, 24,95 €

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