Im Wind der Veränderung: Yunnan in Südchina

Yünnan Landschaft

Herr Hu lächelt und Frau Cheng plappert. Unsere Guides wollen uns die Schönheiten der autonomen Provinz Xishuanbanna zeigen ­ auf Deutsch und Englisch. Herr Hu („Sagen Sie einfach Rudi zu mir”) hat in Peking Deutsch studiert und garniert seinen Wortschatz mit vielen Ja’s. Frau Cheng („Mein Lehrer nannte mich Diana”) wollte eigentlich Englischlehrerin werden, hat aber dann ihr Faible für Touristen-Führungen entdeckt. Die Provinz im Süden Yunnans ist noch ein Geheimtipp für Ausländer.Die Chinesen sind schon da in diesem tropischen Paradies der Volksrepublik, das seiner vielen Minderheiten wegen auch als Genpool gilt. Zu den zwölf ursprünglichen Minderheiten gesellen sich mittlerweile die Han-Chinesen, die tatkräftig am Aufbau des Fortschritts arbeiten: Schulen, Straßen, Hospitäler bis in entlegene Bergdörfer. Die neue Autobahn von Bangkok nach Kunming, der Hauptstadt von Yunnan, schlägt Schneisen in die hier noch ursprüngliche Natur. Auch unsere beiden Führer sind Han. Doch die Mehrheit unter der für China lächerlichen eine Million Einwohner von Xishuanbanna stellen die Dai, die in ihren Dörfern trotz allen Fortschritts noch an ihren alten Traditionen festhalten.
Xishuanbannas Hauptstadt Jinghong, mit 80 000 Einwohnern eine Kleinstadt im Reich der Mitte, hat sich für die Touristen herausgeputzt: „Lasst uns danach streben, Jinghong zur Hauptstadt des Öko-Tourismus zu machen,” fordert ein Banner. Doch vor allem ist Jinghong eine Art Shoppingcenter: Ein Jadeladen, ein Teeladen, ein Jadeladen, ein Teeladen, ein Jadeladen. Aber dann: ein Tempel als Disco, Jeans- und Schuhläden, ein Friseur mit Englisch-Kenntnissen, ein Puma-Shop, Anzüge, Kleider, Schuhe, ein Juwelier. In der Seitenstraße drei Betten, auf denen massiert wird, ein Schuhputzer, bettelnde Dai-Kinder, ein Konsumtempel, ein Handyladen. Überall Massen von Chinesen ­ im Kaufrausch. Nur in der Straße vor den Jade- und Teeläden herrscht gähnende Leere, ein paar Verkäufer spielen Karten, andere machen ein Nickerchen. Kaum jemand spricht englisch, auch nicht in den Läden. Kreditkarten kennt man hier nicht und selbst das Wort Dollar ist den meisten unbekannt.
Auf dem Nachtmarkt sind die Chinesen unter sich. Hier breiten die Bauern vom Umland stolz aus, was die Städter gerne essen: Entenzungen am Spieß, getrocknete Frösche, Fischblasen, Schweineschwänze und natürlich Geflügel in allen Varianten, lebend, halbtot, am Spieß, in der Suppe. Herr Hu lächelt, als er sieht, dass wir blass werden. „Sie wissen doch, wir Chinesen essen alles, was vier Beine hat, mit Ausnahme von Tischen und Stühlen.”
Von dieser Weisheit können wir uns auch auf dem Markt in Ganlaba überzeugen, auf dem sich scheinbar ganz Xishuanbanna drängt. In Körben drängen sich ganze Hühner familien und obenauf sitzt der Hahn und kräht. Überbordende Farbenpracht herrscht an den Gemüseständen, dazwischen stillen junge Mütter ihre Babys. In den Seitenstraßen haben sich die Metzger breit gemacht, mitten unter totem Geflügel, Schweinehälften und Rinderzungen liegt ein Hundekopf. Im Schatten sitzen ein paar Männer und spielen Majong.
Xishuanbanna ist ein chinesisches Ferienparadies. Und die Chinesen lieben es laut. Im Regenwald, über dessen Wipfel die Kabinen einer Seilbahn gleiten, wird zwar überall zum pfleglichen Umgang mit der Natur ermahnt. „Dieses kleine Gras lebt und bittet Sie, mit ihren Füßen Barmherzigkeit zu zeigen,” heißt es etwa in holprigem Englisch. Dabei plärrt chinesischer Pop aus den Lautsprechern an den Masten der Seilbahn und übertönt jedes Vogelgezwitscher. Kinder kreischen vor Vergnügen, wenn sie in Lianenschaukeln in die Lüfte fliegen, Spaziergänger rufen einander über große Distanzen zu und lachen laut über das Echo. Wie sollte sich bei dem Lärm auch nur einer der 250 Wildelefanten zeigen, die von den einst „Millionen von Elefanten” übrig geblieben sind.
Herr Hu und Frau Cheng sind begeistert von den zahmen Elefanten, die im Naturpark ihre Kunststückchen vorführen. Hunderte von Chinesen teilen diese Begeisterung. Doch die noch freien Dickhäuter werden sich hüten, in die Fänge der Menschen zu geraten und sich vor großer Kulisse zum Narren zu machen.
Frau Cheng mag es, wenn alles perfekt funktioniert, schließlich wollte sie ja mal Lehrerin werden. Am liebsten ist es ihr, wenn alles nach Plan läuft, selbst die Pflanzen machen da keine Ausnahme. Den Strauch der tanzenden Blätter besingt sie ausführlich, bis sich wirklich ein paar Blätter leise im Wind drehen. Und verschlossene Türen gibt es für unsere Führerin nicht. In den Dörfern der Minderheiten führt sie uns gnadenlos in verdreckte Küchen und armselige Schlafräume.
Herr Hu erzählt derweil von den „Minheiten”, für die die Ein-Kind-Politik des Politbüros im fernen Peking nicht gilt. Bis zu drei Kinder dürfen sie haben. Er selbst ist 38, hat eine zweijährige Tochter und ist nicht ganz einverstanden mit den Auswirkungen einer kurzsichtigen Geburtenkontrolle, die vorwiegend auf Kosten der weiblichen Nachkommen geht. „Bald wird China zu wenig Mädchen haben,” sorgt er sich und spricht von den „verwöhnten Prinzen”, denen die Eltern keinen Wunsch abschlagen. Bei den Minderheiten ist das noch anders. Kinder sind Teil dieser dörflichen Welt und werden meist den Großmüttern überlassen.
Frau Cheng öffnet die Tür zum Haus eines frisch verheirateten Jinuo-Pärchens. Die Minderheit mit tibetischen Ursprüngen wurde erst 1979 als bislang letzte Ethnie anerkannt. „Kinder des Onkels” nennen sie sich, weil sie glauben, dass sie von einem Geschwisterpaar abstammen, das in der Sonnentrommel eine Art Sintflut überlebt hat. Die Sonnentrommel ist bis heute größtes Heiligtum jedes Jinuo-Dorfes, auch wenn die Jungen sich immer weiter von den Traditionen entfernen. Stolz zeigt die junge Frau die jüngsten Errungenschaften zwischen den Bretterwänden: eine Art Sideboard, auf dem der Fernseher den Platz des Ahnenaltars einnimmt. Der junge Ehemann fühlt sich sichtlich unwohl unter den neugierigen Blicken der Fremden. Draußen knattert ein Moped vorbei. Die jungen Jinuo sind in der Gegenwart angekommen. Jeans und T-Shirts ersetzen die bestickten Jacken und Hosen. Nur die Alten tragen noch Tracht. Der Wind der Veränderung hat Xishuanbanna erreicht.

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