Scheinweltern: Shobhaa Dees „Glitzernacht“

Glitzernacht
Autorin: Shobhaa De, Uschi Gnade
Verlag: Dtv
Erschienen: Oktober 2006

Bollywood, Indiens Filmmetropole Bombay – heute Mumbai genannt – ist die Traumfabrik des Subkontinents. Schöne Frauen und tapfere Männer und immer siegt die Liebe. Solche Schmachtfetzen begeistern vor allem diejenigen, die nichts haben außer ihren Träumen. Sie vergöttern die Stars der Filme, solange sie ihnen die richtigen Traumbilder vorgaukeln. Danach droht der Sturz aus dem Olymp der Popularität in die Abgründe der Intrigen.
Die Erfolgsautorin Shobhaa Dee war selbst Model und kennt sich aus in
Scheinwelten. 1988 veröffentlichte die studierte Psychologin
(verheiratet, sechs Kinder) ihren ersten Roman. Seither ist sie freie
Autorin, kein Wunder bei ihrem Lebensmotto „Schreiben ist sogar besser
als Sex“. Am besten ist wohl Schreiben über Sex. Denn Shobhaa Dees
Romane machen mit erotischen Szenen dem Kamasutra Konkurrenz. Auch ihr
neuester, „Glitzernacht“, der hinter die Kulissen Bollywoods führt, wo
Sex das Schmiermittel für Karrieren ist.
Ein hübsches Mädchen, eine ehrgeizige Mutter ohne Skrupel und Männer,
die dem jungen Blut die nötigen Kanäle öffnen. Die Mutter verkuppelt
die Tochter und schaut wohlwollend zu, wie sie sich buchstäblich nach
oben schläft. Aus dem Landei wird eine strahlende Schönheit, der neue
Star am Himmel von Bollywood, Aasha Rani, ein Name wie eine Verheißung.
Doch auch eine Filmgöttin hat Gefühle und Aasha Rani stolpert über ihre
Liebe zum großen Filmhelden und über eine Journalistin, die ihr
Vertrauen missbraucht.
Erst fern von Indien erkennt sie, was die
indische Scheinwelt aus ihr gemacht hat. Sie heiratet einen
Neuseeländer, bekommt eine Tochter – Sasha – und mutiert zur Hausfrau
und Mutter. Nur ihr Mann weiß, dass seine Frau wieder in eine neue
Rolle geschlüpft ist. Als die Familie nach Indien reist, um Sasha der indischen Sippschaft
zu zeigen, ahnt auch Aasha Rani, dass ihre Flucht zu Ende ist.
Zwar
sieht sie den Subkontinent auch mit den Augen ihrer Tochter und ihres
Mannes, den Schmutz, die Armut, die Verwahrlosung und – hinter all den
Müllbergen den Wald von Fernsehantennen. Aber sie weiß auch, sie ist
noch nicht fertig mit Indien – und mit Bollywood, in dem mittlerweile
ihre Schwester Sudha die Hauptrolle spielt. Aasha Rani kann nicht
verhindern, dass ihre Schwester dieselben Fehler macht, die sie einst
gemacht hat, sie kann auch den Anschlag auf Sudha nicht verhindern.
Aber sie ist zurückgekommen, um auf alten Fundamenten Neues aufzubauen.
Die Filmstudios ihres Vaters sollen ihr, der Schwester und der Tochter
ein Leben ohne Armut sichern.
Und allmählich beginnt sie sogar die
Handlungsweise ihrer Eltern zu verstehen: Sie hatten es nicht besser
gewusst. „Auf ihre eigene törichte Art hatten sie versucht, ihre Kinder
zu durchsetzungsfähigen Straßenkämpfern zu erziehen, nämlich zu dem,
was auch sie in ihren Jugendjahren gewesen sein mussten. Aber da sie
inzwischen selbst eine Tochter hatte, wusste Aasha Rani, dass es bei
der Kindererziehung nicht nur um Überlebenstraining ging. Es ging auch
um etwa, was sich Liebe nannte."
Shobha Dee schockiert, weil sie ein Indien jenseits der Märchen zeigt,
das Indien der armen Leute und derjenigen, die es geschafft haben. Ein
Indien der Gegensätze und der Rücksichtslosigkeit, ein Land, in dem
jeder sich selbst der Nächste ist und Skrupellosigkeit zum Erfolg
führt.

Info: Shobhaa De, Glitzernacht, dtv premium, 358 S., 14 €

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