Inszenierte Berge in Saalbach-Hinterglemm

Man muss ganz weit nach hinten fahren ins Tal, dahin, wo es zu Ende ist. Wo die Berge dastehen wie ein Riegel aus Fels. Wo nur Pfade hinauf führen oder hinüber über den Sattel, soweit die Füße tragen. Man kann aber auch fliegen und muss dazu nicht einmal Supermann sein. Europas längste Seilrutsche macht’s möglich. Mit 70 Stundenkilometern rasen Mutige in 100 Metern Höhe über den Talschluss.

Wir mögen’s lieber gemütlich und lassen auch den Hochseilpark mit seinen
sportlichen Herausforderungen links liegen. Schauen zu, wie die einen
klettern und balancieren und die anderen am Seil hängen. Unser Ziel ist
ein anderes: Die Golden Gate Brücke der Alpen. Ein Versprechen. 200
Meter lang ist die Hängebrücke und damit die längste Fußgängerbrücke der
Alpen. Gerüst und Pfeiler sind orange gestrichen und erinnern so
tatsächlich ein bisschen ans berühmte Vorbild in San Francisco. Rechts
und links ein meterhoher Zaun, damit niemand in den 40 Meter tiefen
Abgrund fällt. Da drüber zu gehen kann doch nicht so schwer sein. Und
doch. Es schaukelt ein bisschen und beim Blick nach drunten überkommt
mich ein leichter Schwindel. Ich halte mich am Geländer fest und schaue
starr geradeaus, dahin, wo die Hängebrücke zwischen den Bäumen
verschwindet und wo gleich die nächste Attraktion auf uns wartet, der
Baumzipfelweg.
Wir stülpen die grünen Zipfelmützen über die Haare. Die brauchen wir, um
über die Treppen und Türme zu den Wipfeln der Bäume hochsteigen zu
dürfen. Von weitem sehen wir jetzt bestimmt aus wie ein versprengtes
Grüppchen der 7 Zwerge auf der Suche nach Schneewittchen. Das schöne
Kind finden wir zwar auch ganz oben nicht, aber ein Eichhörnchen huscht
durchs Tannengrün, ein Vogel zwitschert und der Wind zupft leicht an den
Ästen. Von hier oben wirken die hohen Bäume ganz anders, weniger
standfest, fast verwundbar. Man möchte sie beschützen vor dem Sturm, der
an den Ästen rüttelt, vor dem Schnee, der im Winter schwer auf den
Baumkronen liegt, vor der Sonne, die im Sommer die Wipfel ausdörrt, vor
den Menschen..
Nicht vor solchen wie Hannes Hasenauer einer ist. Dem 29-jährige Junior
von der Lindingalm am Talschluss, die mit hinter dem Baumzipfelweg
steht, steht die Liebe zur Natur ins Gesicht geschrieben. Deshalb glaube
ich ihm auch, als er sagt, dass die Macher mit dem Baumzipfelweg den
Menschen die Natur wieder nahe bringen wollen. „Die wissen ja oft nicht
einmal, dass die Lärchen im Winter keine Nadeln haben“, wundert er sich.
„Da gibt’s Leit, die kennen an Computer von vorn bis hint‘, aber die
einfachsten Dinge in der Natur checken sie nicht.“ Deshalb sollen so
bald wie möglich auch Info-Tafeln den Weg durch die Bäume begleiten zu
Wild- und Pflanzenarten und mit Verhaltensregeln, damit die Menschen
Tiere und Pflanzen so wenig wie möglich schädigen. „Unsere Natur ist
doch unser Kapital“, sagt der Hannes. Und dass man die Schönheiten der
Natur so vielen Menschen wie möglich zugänglich machen wolle – auch
solchen, die nicht wie er auf den Bergen herumkraxeln können: Senioren,
Behinderten, Familien mit kleinen Kindern. Früher, als er Kind war, da
habe es das alles nicht gebraucht. „Wir hatten schöne Berge und schöne
Wanderwege, das hat g‘langt. Aber heute braucht’s mehr.“ Man müsse halt
mit der Zeit gehen.
Damit spricht er Edith Danzer vom Tourismusverband aus dem Herzen. „Die
Menschen von heute sehen die Natur nicht mehr, sie riechen sie nicht“,
sagt sie. Schon deshalb findet sie den Baumzipfelweg gut: „Plötzlich
riecht man die Bäume, weil man ihnen nahe kommt.“ Man müsse die Natur
„erlebbar“ machen, ist sie überzeugt. Nur so könne man die Generation
Playstation
vom Computer weglocken.
„Du musst a bisserl an Erlebnispark machen, die Berge inszenieren“, sagt
auch Hannes Dschulnigg. Der 63-jährige Hotelier ist fest entschlossen,
dafür zu sorgen, dass Saalbach-Hinterglemm, das im Winter einen
eindrucksvollen Skizirkus hat, auch im Sommer attraktiv ist. Dschulnigg
ist einer Geschäftsführer der Bergbahn Saalbach, bis heute ein
Privatunternehmen und in den Händen von Saalbacher Familien, alles
Nachkommen ehemaliger Pioniere. Die hatten aus dem einst armseligen
Bergdorf mit viel Unternehmergeist eine florierende Tourismusgemeinde
gemacht – die zweitgrößte nach Wien. Die Dschulniggs waren von Anfang an
dabei. Der Ururgroßvater baute das erste Elektrizitätswerk um die
Jahrhundertwende, noch ehe die ersten Skifahrer, drei
oberösterreichische Beamte über den Spielberg kamen und den Wintersport
ins Glemmtal brachten. Der Großvater spielte 1947 eine der Hauptrollen
in dem Film „Skidorf Saalbach“. Aus gutem Grund: Hatte er doch nach dem
Krieg zusammen mit vier wackeren Saalbachern dafür gesorgt, dass hier
der erste Lift gebaut wurde – aus Teilen einer stillgelegten
Materialseilbahn. Mit 1800 Metern war es damals der längste Schlepplift
Österreichs.
Heute erschließen 56 Seilbahnen 220 Pistenkilometer. Vier sind auch im
Sommer in Betrieb, um Wanderer und Bergsteiger „kräfteschonend dem
Himmel ein Stück näher zu bringen“, wie Edith Danzer schwärmt. „Wir
investieren auch in den Sommer“, erklärt Hannes Dschulnigg. Spielplätze
und Radwege würden ausgebaut. Und natürlich Wanderwege: 450 Kilometer.
Doch Natur allein genügt nicht, darin sind sich der 63-jährige Hotelier
Dschulnigg und der 29-jährige Almwirt Hasenauer einig. Vor allem bei
Kindern konkurriert man mit PC & Co, mit Videospielen und
3D-Animation. Und so werden die Berge kräftig in Szene gesetzt: Beim
Teufelswasser nahe der Lindingalm tanzen Teufel und Geister über
Felsenpools und zwischen Staubecken. Auf Montelino’s Erlebnisweg an der
Bergstation der Kohlmaisbahn ist ein kleiner Clown zugange, der sein
Lächeln verloren hat. Mithilfe der Kinder kann er es wieder finden und
seine Freunde haben derweil auf Riesenrutschen, beim Kasperltheater und
in der Zirkusarena jede Menge Spaß. Um das Erlebnis Holz geht es auf dem
Erlebnis-Spielplatz Schnitza’s Holzpark, wo Groß und Klein sich beim
Baumscheibenpuzzle oder beim Holzkugelfangen austoben können, während
ihnen riesige Holztiere dabei zuschauen. Wer mag, kann sich in einem
wöchentlichen Schnitz-Workshop auch sein eigenes Stück Natur zurecht
schnitzen. Bei Edith Danzer war es ein Vogelhaus.

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