„Ich hatte einfach diese depressiven Ermittler satt“: Viveca Sten im Gespräch

Sie hat als Juristin gearbeitet und ist Mutter von drei fast erwachsenen Kindern. Das erklärt, warum Schwedens neue Krimi-Königin Viveca Sten so gut organisiert ist. Auch dass sie gründlich recherchiert, liegt wohl an ihrem beruflichen Hintergrund, und es macht ihre Krimis so glaubwürdig. Der realistische Hintergrund ist sicher mit dafür verantwortlich, dass sich das zierliche Persönchen im Land der Krimi-Schwergewichte durchgesetzt hat und mittlerweile zu den meist gelesenen Autorinnen zählt. Lilo Solcher sprach mit Viveca Sten auf ihrer Lieblingsinsel Sandham, da wo auch die meisten ihrer Krimis spielen. 

Wie kamen Sie eigentlich zum Krimi-Schreiben? 
Viveca Sten. Das ist eine lange Geschichte. Ich habe ja schon länger Bücher geschrieben, Fachbücher. Aber das wurde mir allmählich langweilig, war keine Herausforderung mehr. Und dann sind wir eines Tages am Strand von Sandham entlang gegangen und ich hatte plötzlich einen Toten vor meinem geistigen Auge. Ich sah genau, wie er da lag. Das habe ich meinem Mann erzählt und er hat mich ermuntert, es doch einmal mit einem Krimi zu versuchen.
Und?
Viveca Sten: Ich habe dieses Bild genommen und das erste und letzte Kapitel von „Tödlicher Mittsommer“ geschrieben. Eineinhalb Jahre lang habe ich an dem Buch gearbeitet. Dann habe ich es an drei Verlage geschickt. Als ich die Nachricht bekam, dass das Buch angenommen worden war, glaubte mein Mann zuerst an einen Scherz. Doch dann kam der Vertrag, und wir haben erst einmal eine Flasche Champagner aufgemacht.
Sie haben in Schweden bereits fünf Bücher herausgebracht, einen Bestseller nach dem anderen. Was ist denn das Geheimnis Ihres Erfolgs?
Viveca Sten: Ich glaube, dass Thomas Andreasson (der Ermittler) ein echter Sympathieträger ist, ein gut aussehender Mann in den besten Jahren. Ein netter Kerl, den man gerne kennen lernen würde. Tatsächlich haben mich einige Fans schon nach seiner Telefonnummer gefragt. Dabei ist Thomas doch nur ein Produkt meiner Fantasie. Ich hatte einfach diese alten depressiven Kommissare satt, die immer schlecht gelaunt sind und zu viel trinken. 
Wie Wallander?
Viveca Sten: Ja, Thomas hat eben auch ein Privatleben, eine Frau und Nora, seine Freundin aus Kindertagen. Damit will ich zeigen, dass es zwischen Männern und Frauen auch Freundschaft geben kann. Und Nora steuert die feminine Perspektive bei. 
Sie sind erst seit eineinhalb Jahren auch hauptberuflich Autorin. Vorher waren Sie Juristin bei der Post. Hat Ihnen Ihr Beruf beim Schreiben geholfen?
Viveca StenV: Auf jeden Fall, ich bin sehr gut organisiert und strukturiert. Was mich interessiert ist vor allem, was den Mörder antreibt. Zum Motiv suche ich mir ein Schlüsselwort, das charakteristisch ist für den Fall. Zwischen Schüsselwort und Motiv navigiere ich. So eine Struktur ist ungemein hilfreich. In diesem Rahmen kann ich dann meiner Fantasie freien Lauf lassen. 
Viele Autoren berichten ja, dass nicht sie die Charaktere formen. Die entwickelten sich ganz eigenständig. Wie ist das bei Ihnen?
Viveca Sten: Das stimmt. Die Charaktere leben ihr Leben. Sie machen nicht immer, was ich will. Bei meinem aktuellen Buch (dem sechsten, das im Sommer auf Schwedisch erscheint), wusste ich lange nicht einmal, wer der Mörder ist. Trotzdem: Ich muss logisch finden, was der Mörder macht. Kein Mensch ist eine Insel.
Apropos Insel. Sie haben mit Ihren Krimis Sandham auf die literarische Landkarte gebracht. Fast alle Krimis spielen bisher auf der Insel. Soll das so bleiben?
Viveca Sten: Sandham ist einfach mein Lieblingsplatz, seit Kindertagen. Ich bin sehr zufrieden, wenn ich hier bin. Aber in meinen Krimis muss ich manchmal auch auf andere Schauplätze ausweichen. Ich kann ja nicht alle Menschen hier töten. 
Mörderische Schärennächte, das Buch, das aktuell in Deutschland herauskommt, handelt von einem Trupp Elitesoldaten, die unter einem fast sadistischen Drill gelitten haben. Wie kamen Sie auf die Idee?
Viveca Sten: Von Sandham aus hat man die Nachbarinsel Korsö im Blick. Das war lange militärisches Sperrgebiet, 1976/77 gerieten die Küstenjäger von der Insel wegen skandalöser Vorgänge auch in die Schlagzeilen. Die Idee hinter dem Drill war doch, junge Männer zu brechen, um sie dann wieder aufzubauen – als Helden. Was aber passiert, wenn sie nicht wieder aufgebaut werden können? Das interessierte mich schon als Mutter von zwei Söhnen. Ich habe dann mit vielen ehemaligen und aktiven Soldaten gesprochen. Und ich habe mir – mit einer Sondergenehmigung – auch die Insel angeschaut, die man bis heute nicht betreten darf. Ich wollte genau wissen, wo Thomas sich auf Korsö bewegt. Schließlich müssen die Fakten stimmen. 
Da erlauben Sie sich keine literarischen Freiheiten?
Viveca Sten: Nein, da bin ich sehr eigen. Um die Realität so ehrlich wie möglich schildern zu können, habe ich inzwischen ein großes Netzwerk von Fachleuten – Polizisten, Anwälte, Feuerwehr, Banker… 
Drei Ihrer Bücher sind inzwischen verfilmt worden. Die Filme sollen auch im deutschen Fernsehen zu sehen sein. Sind Sie zufrieden mit der Umsetzung?

Viveca Sten: Ein Film bildet natürlich nicht das Buch ab, aber ich habe die Filmcrew beraten und denke, die Filme erfassen den Geist der Bücher gut. Auf jeden Fall hat es Spaß gemacht, mit den Schauspielern über die Insel zu ziehen und zu beobachten, wie die Filme entstanden. Unglaublich. Dabei hat alles in meiner Fantasie angefangen. 

Info: Viveca Stens neuester Krimi, Thomas Andreassons vierter Fall

"Mörderische Schärennächte" erscheint am 18. April bei Kiepenheuer & Witsch 

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