Es regnet in Toulouse, ein grauer Himmel wölbt sich über der südfranzösischen Metropole. In der Altstadt wird gebaut. Das Musée des Augustins soll einen ganz neuen Eingangsbereich bekommen, der Kreuzgang wird restauriert ebenso einige der der Ausstellungssäle. Die Wiedereröffnung ist für 2025 vorgesehen. Auch eine neue, dritte, U-Bahnlinie ist in Bau. Die Stadt ist im Auf- und Umbruch. Fußgänger und Radfahrer haben im Zentrum Vorrang. Neues gesellt sich zum Alten.
Der Geschmack des Südens
Die Markthalle Victor Hugo, der Bauch von Toulouse, etwa versteckt sich hinter einem Parkhaus aus den 1960er Jahren. Drinnen freilich laden die opulenten Stände dazu ein, sich wie Gott in Frankreich zu fühlen. Im neuen Viertel La Cartoucherie auf dem Gelände einer Munitionsfabrik aus der Vorkriegszeit hat sich die Gastro- und Freizeithalle „Les Halles de la Cartoucherie“ zu einem neuen Hotspot entwickelt. Marktstände und Straßenküchen sind dicht umlagert.Im Cassoularium feiert Remy Monceret den „Spirit des Cassoulets“. Für den 33-Jährigen mit dem dichten schwarzen Vollbart und den dunklen Augen ist das Cassoulet, ein Eintopf aus weißen Bohnen, Schweinswürsten und Gänseconfit, „der Geschmack des Südens“
Das Blau der Könige
Und die Farbe des Südens? Toulouse gilt als die „Ville en rose“, die rote Stadt, wegen der vielen Backsteinbauten. Doch in diesem Laden ist alles blau. Auch die Inhaberin mag‘s ganz offensichtlich blau. Blau sind ihre Fingernägel, blau ist die Brille und blau der Schal, den sie um den Hals trägt. Annette Hardouin, zierlich, weiße Löckchen, freundliches Lächeln, sieht sich als Botschafterin von Pastel, jener Pflanze, der Toulouse im 14. und 15. Jahrhundert einen sagenhaften Reichtum verdankte. Denn Pastel, zu Deutsch Färberwaid, war die Grundlage für das Blau der Könige.
Immaterielles Kulturerbe
Das ist lange her, und doch fühlt sich die Deutsch-Französin als Botschafterin des Pastel. Schließlich wurde die Technik des Blaufärbens von der Unesco als immaterielles Kulturerbe geadelt. Es war an der Zeit, die alte Tradition wieder zum Leben zu erwecken, findet die studierte Modedesignerin, die lange in Paris gelebt hat und seit 2005 im Atelier von APHY Créations Bleu de Pastel zusammen mit ihrem Mann Yves, Kleidung und Accessoires in blau kreiert und verkauft: dicke Schals und dünne Blusen, Haargummis und Taschen. „Wir haben unsere Kompetenzen zusammengelegt“, sagt Annette Hardouin und lächelt spitzbübisch. Die Eheleute sind Mitglieder der „Ateliers d‘Art de France“ und Botschafter von Toulouse.
Im blauen Dreieck
Und was Pastel angeht, ist Annette so etwas wie ein wandelndes Lexikon. Die Blätter der gelb blühenden Pflanze Pastel, erklärt sie, bildeten eine Rosette „wie Salat“. In ihnen stecke das Blau. Angebaut wurde Pastel zur Hoch-Zeit im „blauen Dreieck“ zwischen Toulouse, Albi und Carcassonne. Die Blätter wurden gepflückt, getrocknet und zu Bällen zusammengepresst, den „cocagnes“. Für zwei Kilo Pigment brauchte man eine Tonne Blätter. 40 000 Tonnen wurden jährlich exportiert. Im „Pays de Cocagne“, dem „Schlaraffenland“ rund um Toulouse, blühte der Handel und machte einige Familien so reich, dass vom blauen Gold die Rede war. Nur Könige und Kardinäle konnten sich das Blau leisten, das auf Gemälden den Mantel der Muttergottes zierte und die ehemals goldene Lilie der französischen Könige.
Die Paläste der Pastel-Händler
In Toulouse entstanden Hôtels particuliers, prunkvolle, von Türmen gekrönte Herrenhäuser. Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, kann einige der Renaissance-Paläste der Pastel-Händler entdecken, etwa das prächtige Hôtel d‘Assézat, das heute die Fondation Bemberg beherbergt, eine private Kunstsammlung. Auch die Akademie des Jeux Floraux, die sich seit nunmehr 700 Jahren der Poesie verschrieben hat , residiert seit einigen Jahren hier. Unter den Gewinnern des traditionellen Lyrik-Wettbewerbs war übrigens auch Victor Hugo, der ein Gedicht in der Langue d‘Oc, der okzitanischen Sprache, eingereicht hatte.
Die Folge von Indigo
Aber zurück zu Annette und der Geschichte des Pastel. Mit dem großen Reichtum im „goldenen Dreieck“ Südfrankreichs war es vorbei, als Indigo in Mode kam, mit dem sich günstiger blaufärben ließ. Pastel geriet in Vergessenheit, bis es unter Napoleon dank eines findigen Chemikers eine kurze Renaissance erfuhr – für die blauen Uniformen der Soldaten. Die erneute Wiederentdeckung des Pastels haben laut Annette der Belgier Henri Lambert und seine Frau Denise eingeleitet. Sie gründeten in den 1990er Jahren in einer alten Gerberei die Firma Bleu de Lectoure und entwickelten neue Färbe-Verfahren. Die Grundlagen dafür hatten sie in einem Schreiben von Napoleons Chemiker gefunden. So kam eines zum anderen.
Annette und das blaue Wunder
Annette lernte von Denise das Färben. Heute färben Yves und Annette selbst. Bei Workshops können Interessierte buchstäblich ein blaues Wunder erleben. Denn wenn ein Stoff in den Färbebottich getaucht und wieder herausgenommen wird, ist er zunächst gelb. Erst beim Kontakt mit Sauerstoff wird er blau. Ein Wunder der Okzidation.
Wellness mit Pastel
Doch Pastel kann noch mehr als blaue Farbe. Auch die Samen der Pflanze sind wertvoll. Unter der lateinischen Bezeichnung „Isatis Tinctoria“ war sie schon in der Antike als Heilpflanze bekannt. Die Samen sind reich an Omega 3,6 und 9 – eine gute Ausgangslage für Kosmetik: Die Marke Graine de Pastel, gegründet von der Apothekerin Carole Garcia, liegt voll im Trend der Naturkosmetik. Bei der Entwicklung der Öle, Cremes und Pasten ist ein Dermatologe beteiligt. Das Pastel für die Kosmetik kommt von eigenen Feldern im Gers, sodass keine langen Transportwege nötig sind.
Was vor 20 Jahren als Nischenprodukt begann, ist heute eine erfolgreiche Kosmetik-Linie auch mit Anti-Aging-Proteinen aus Pastel. Die vier wichtigsten Formeln für ihre Kosmetik hat sich Carole Garcia patentieren lassen. Sicher ist sicher. Wer viel Zeit hat, kann die verschönernde Wirkung des Pastel im Spa La Cour des Consuls par la Graine de Patel testen- bei einem Wellnessprogramm. Ob so ein Besuch allerdings reicht, um den makellosen Teint zu erreichen, mit dem die Tochter eines Pastelhändlers im 16. Jahrhundert den König bezaubert haben soll?
Bambi und die Giganten
Audrey Boissé, dunkle Haare, graublaue Augen, sieht aus, als käme sie geradewegs aus dem Schönheitssalon. „Bambi“ nennen die Kolleginnen und Kollegen die bildhübsche Maschinistin. In der „Halle de la Machine“ erweckt sie Maschinenträume zum Leben, lässt Feuer musizieren und einen Bären Männchen machen. Doch um die Stars der Halle in Bewegung zu setzen ist Bambi zu klein. 15 Menschen sind nötig, um die Riesenspinne mit ihren acht Beinen zum Tanzen zu bringen, sagt Audrey. 38 Tonnen wiegt das „Riesenbaby“ mit dem Namen „the princess“, Spinnen-Schwester Ariane ist ähnlich gigantisch. Die „Prinzessin“ hat schon Reiseerfahrung, war in Liverpool und in Japan. Zu den Spinnen gesellt sich vor der Halle ein 14 Meter hoher Minotaurus, der auf der ehemaligen zwei Kilometer langen Landebahn von Montaudran seine Runden dreht. Fantastisch, wenn „Astérion“ die riesigen Augen öffnet oder durch die Nüstern Wasserfontänen bläst.
Geniale Maschinenträume
Audrey erzählt von den Maschinen als wären es ihre Kinder. Zu dem Beruf als „huge machine operator“, als Maschinistin für die großen Maschinen, kam die 33-Jährige wie fast alle der 100 Beschäftigten über Umwege. Sie arbeitete in der Landwirtschaft und am Theater, war auch Lehrerin. Der Direktor dagegen, verrät Audrey, habe nie eine Schule besucht. „Learning by doing“ sei die Devise, lernen durch Handeln. Es scheint, als seien hier alle eine eingeschworene Gemeinschaft, die den Maschinenträumen des Schöpfers Francois Delarozière Flügel verleiht. Er sei von Leonardo da Vinci inspiriert, hat der geniale Maschinenbauer gesagt, aber auch von Gustave Eiffel, von Antonio Gaudi und dem Surrealismus. Die Ergebnisse seiner Schöpferfantasien und der seiner Mitarbeitenden – kann man in der „Halle de la Machine“ entdecken: 100 mechanische Objekte, Skizzen, Modelle und verrückte Musikinstrumente. Hier könnte man locker ganze Tage verträumen, vielleicht auch an einem Essen teilnehmen, das – natürlich – mittels Maschinen serviert wird.
Toulouse und die Geschichte
Wer‘s doch lieber historisch mag, der kann trotz der Baustelle des Augustinermuseums eintauchen in die alte Geschichte der „ville en rose“. Zum Beispiel bei der romanischen Basilika Saint Sernin, die über dem Grab des heiligen Saturnius errichtet wurde. Der Legende nach war er der erste Bischof von Toulouse und starb als Märtyrer, weil er sich nicht an der Opferung eines Stiers beteiligen wollte. Saint Sernin ist nicht nur die größte erhaltene romanische Kirche Frankreichs, die Basilika besitzt auch eine der bedeutendsten Orgeln der Welt.
Die Stadt der Musik
Musik ist wichtig in Toulouse, das 2023 von der Unesco zur Stadt der Musik gekürt wurde. Im Jakobinerkonvenvent finden etwa im September Klavierkonzerte statt. Die hohe Hallenkirche mit den schlanken Säulen in Form von Palmen wirkt fast einschüchternd. Nach der Revolution wurde sie als Kaserne zweckentfremdet. 200 von Napoleons Soldaten waren hier untergebracht. Womöglich trugen sie Uniformen in Pastelblau.
Kurz informiert
Anreisen. Lufthansa fliegt ab Frankfurt und München direkt nach Toulouse, ebenso Air France/KLM. Preise je nach Saison ab 66 Euro.
Wohnen. Super gelegen ist das Ibis Styles Toulouse Centre Capitole. 2Rue Du Taur, 31000 Toulouse, DZ ab 170 Euro: https://all.accor.com/hotel/9912/index.fr.shtml
Ebenfalls im Zentrum befindet sich das Citiz Hotel, Allee Jean Jaurès, 31 000 Toulouse, DZ ab 105 Euro: https://citizhotel.com
Pastel. AHJPY, Rue des Lois, 31000 Toulouse,
Der Blaufärbe-Workshop bei Annette Hardouin kostet 45 Euro: https://www.ahpy.eu/
Graine de Pastel, 4 Pl. Saint Etienne, 31000 Toulouse, https://grainedepastel.com
Genießen. Markthalle Victor Hugo, place Victor Hugo, 31000 Toulouse
Halles de la Cartoucherie,10 Place de la Charte des Libertés Communales, 31300 Toulouse, https://hallescartoucherie.fr
Restaurant La Gourmandine, 17 place de Victor Hugo, 31000 Toulouse, feine regionale Küche mit optimaler Weinbegleitung lagourmandinecotemarche.fr
Le Père Léon, 2 Pl. Etienne Esquirol, 31000 Toulouse, üppige französische Küche für Genießer: www.pere-leon.com/
Im gleichnamigen Hotel übernachtet man ab 105 Euro im DZ.
Halle de la machine. 3 Avenue de ‚L‘Airodorme de Montaudran, 31400 Toulouse, Eintritt ab 11 Euro, www.halledelamachine.fr/en/1203-2/
Tipp: Vom 25. bis 27. Dezember werden Astérion, la princesse und Ariane in den Straßen von Toulouse unterwegs sein.
Informieren. Office des Tourisme, E-Mail: info@touloueseatout.com, www.toulouse-tourisme.com
Der pass tourisme ab 20 Euro verspricht zahlreiche Ermäßigungen und Freifahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr. Gültig ist er für drei Tage: www.toulouse-tourisme.de/pass-tourisme
Hinweis. Die Recherche wurde unterstützt vom Office de Tourisme Toulouse