Abenteuer Acceptance Flight A350

„WAAAS, du willst da mitfliegen?“ Mein Mann schaut mich konsterniert an. Ich habe ihm vom „Acceptance Flight“ in Toulouse erzählt. Mit ein paar Kollegen, die Lufthansa eingeladen hat, will ich den Abnahmeflug für den neuen Airbus A350 mitmachen. „Das wird sicher spannend,“ wiegle ich ab, „und ist bestimmt ganz ungefährlich.“
Trotzdem, ein leichtes Grummeln macht sich schon bemerkbar, als ich in den Zug zum Münchner Flughafen steige. „Pass auf dich auf,“ gibt mir Claus mit auf den Weg – und das Seaband, das mir geholfen hat, stürmische Zeiten auf hoher See zu überstehen.
Der Flug nach Toulouse ist verspätet, wir kommen erst an, als es schon dunkel ist. Schade, ich mag Toulouse und hätte gern mehr von der Stadt gesehen. So reicht es nur zu einem schönen Essen in der Brasserie du Capoul. Am nächsten Morgen müssen wir ja schon wieder früh aus den Federn, um zu Airbus zu fahren. Beim Frühstück sinkt mir erstmal der Mut. Das Seaband packe ich vorsichtshalber in die Tasche, Superpep ebenfalls. Man kann ja nie wissen!

Wie eine Stadt in der Stadt

Airbus in Toulouse, das ist wie eine Stadt in der Stadt, überall stehen die großen Vögel rum, manche schon lackiert in den Farben der Airlines, andere als Prototypen. Wir dürfen ins „Allerheiligste“, nicht ohne genau überprüft zu werden und ein Badge umgehängt zu bekommen. Beim Sicherheitsbriefing treffen wir erstmals unsere Piloten, und Flottenreferent Thomas Wagner, der sechs Abnahmeflüge hinter sich hat, beruhigt die nervösen Passagiere: Die Manöver beim Acceptance Flight seien „gemäßigt“ die „homogene Crew“ verbinde gegenseitiges Vertrauen.

Das Pilotenquartett weckt Vertrauen

Da sind sie, in deren Hände wir uns in den nächsten zwei Stunden begeben, und sie wirken ganz entspannt: Matthias Queck, bei Airbus Flugtestingenieur und Pilot mit 41-jähriger Flugerfahrung. Der Augsburger Thomas Wilhelm, seit viereinhalb Jahren  Flugversuchspilot bei Airbus und Projektpilot für den A 330 neo. Andreas Jasper, Lufthansa-Kapitän mit 33-jähriger Flugerfahrung, stellvertretender Flottenchef und seit 2016 beim A 350 mit dabei. Und der Jüngste in der Runde, Andres Eder aus Nördlingen, seit zwölf Jahren bei der Lufthansa, Senior First Officer und Ausbildungspilot. Bei dieser Crew kann eigentlich nichts schief gehen!
Wir arbeiten das Flugprofil Schritt für Schritt durch – von TOGA, dem „Start mit maximaler Startleistung“ bis zu APU Start, dem „Start des Hilfstriebwerks  in Dienstgipfelhöhe“ und Low Speed Handling, bei dem das Flugzeug so langsam wie möglich fliegt, um die Flugsteuerung im Langsamflug zu überprüfen. Eine Trockenübung sozusagen – und für mich „Böhmische Dörfer“. Ich bin offensichtlich blass geworden, denn Queck beschwichtigt: „Das ist ein ganz ruhiges Manöver, nichts, wovor man sich fürchten müsste.“ Naja. Jetzt kann ich ohnehin nicht mehr zurück. Ich schiebe mir einen Superpep in den Mund, ziehe die Warnweste an, und folge dem Trüppchen zum bereit stehenden A350 mit dem schönen Namen „Mannheim“.

Nicht ohne Sicherheitsweste…

Wir werden einen Schnellstart hinlegen

Platz ist reichlich in der Maschine, die in der Lufthansa-Ausführung 293 Passagiere befördern kann: 48 in der Business, 21 in der – noch nicht eingebauten – Premium Economy und 224 in der Economy. Außer uns sind noch Tester von Airbus und Lufthansa mit an Bord. Sie werden die Kabinenausstattung unter die Lupe nehmen, die Türen überprüfen, die Toiletten, die Gepäckfächer, die Bordküche. Doch zum Start sitzen wir alle gemeinsam in der Business Class. Wir werden über Marseille fliegen, den Mont Ventoux sehen, die Küstenlinie des Mittelmeers, die Pyrenäen. Wie schön, dass ich einen Fensterplatz habe – wie die anderen Kollegen auch.
Ich weiß, dass wir mit vollem Schub starten, also schneller abheben als normal. 190 Tonnen Abfluggewicht hat die Maschine heute nur, 268 Tonnen wären das Maximum. Weil wir aber so wenige Passagiere sind, werden 54 Tonnen zusätzliches Kerosin die fehlenden Passagiere „simulieren“.
Jetzt rollt der A350 ganz gemächlich zur Startbahn. Die Spannung steigt. Toulouse werde gleich auf der linken Seite zu sehen sein, verkündet Kapitän Andreas Jasper. Glück gehabt: Da sitze ich gerade richtig. Und dann geht‘s los, die „Mannheim“ hebt ab, unter uns Toulouse – leider vernebelt. Auf der rechten Seite glitzern die Pyrenäengipfel. Pech gehabt! Jetzt sitze ich doch auf der falschen Seite.

Der Fotoapparat ist plötzlich ein Fliegengewicht

Dann beginnen die Manöver mit ersten Flugsteuerkontrollen. Sitzen bleiben. Es geht steil nach oben, und das Flugzeug dreht die Nase nach unten. Für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl, ich würde in meinem Sitz abheben. Der Fotoapparat ist ein Fliegengewicht. Dann neigt sich der A350 67 Grad nach links, kurz darauf nach rechts. Das geht so schnell, dass ich gar keine Möglichkeit habe, mich schlecht zu fühlen. Leider habe ich in der Aufregung auch verpasst zu fotografieren. Ein bisschen aus dem Gleichgewicht fühle ich mich hinterher schon.

Im Cockpit wird gemeinsam getestet.

Aber jetzt dürfen wir rumlaufen. Das ganze Flugzeug scheint unterwegs zu sein. Die Airbus- und Lufthansa-Mitarbeiter schwärmen aus, um Türen, Klappen, Sitze und das Inflight Entertainment zu überprüfen. Matthias Queck widmet sich den Geräuschen. Der 55-Jährige ist da extrem sensibel. „In anderen Flugzeugen trage ich immer eine Wollmütze,“ gesteht er. Aber hier sei alles gut. Ein Glück.

 

Die Tester nehmen jedes Detail unter die Lupe

Bei der Überprüfung ist jedes Detail wichtig – auch in der Optik. Alles soll perfekt sein, denn der Kunde bekommt „ein nagelneues Fluggerät“, das fehlerfrei sein sollte. Eine klitzekleine Ausbuchtung an der Deko-Folie kann dazu führen, dass die ganze Wandfolie ausgetauscht wird. Das kann einen Tag Verzögerung bedeuten – und Mehrkosten. Für Queck keine Frage. „Da darf man nicht aufs Geld schauen.“
Auch die Nespresso-Kaffeemaschine wird unter die Lupe genommen. Olaf Stern, Mitglied des Abnahmeteams, braut einen Becher schwarzen Kaffees. Weil ich grade in der Nähe bin, drückt er ihn mir in die Hand. Schmeckt auch ohne Milch. Die Kollegen schauen neidisch. Unter uns zieht die Küste vorbei, kaum zu spüren, dass das Flugzeug die höchste Flughöhe erreicht hat. Hier werden nochmal alle Systeme überprüft – auch der Druckabfall in der Kabine wird simuliert. Aber heute fallen nicht automatisch Sauerstoffmasken aus dem Fach über uns, nur die Klappen öffnen sich einen Spalt. Auch das ist nur ein Test, selbst wenn die Stimme in der Ansage immer dinglicher klingt.

Niedriggeschwindigkeit und Durchstartmanöver

Inzwischen bin ich schon ganz entspannt. Anders als das Pilotenquartett im Cockpit. Für die Männer beginnt noch einmal eine Menge Arbeit bei Low Speed. Der Kapitän drosselt die Geschwindigkeit bis auf 110 Knoten, rund 200 Stundenkilometer – eine echte Kraftanstrengung. In der Kabine fühlt es sich an, als sei das Flugzeug zum Stillstand gekommen, die Pyrenäen sind zum Greifen nah.

Die Pryrenäen sind zum Greifen nah

Mir fallen die Ohren zu und ich spüre eine ganz leichte Vibration. Da ertönt auch schon der Befehl „Please be seated“. Der Kapitän simuliert ein Durchstart-Manöver. Ein bisschen grummelt es im Magen, der Druck auf die Ohren nimmt zu. Aber alles im grünen Bereich.

Der Autopilot hält unbeirrt Kurs

Im Cockpit wird weiter getestet, Kabinendruck, Hydraulikausfall… Die Instrumente springen auf Rot. „Wir machen alles falsch, und der Autopilot muss alles richtig machen,“ erklärt Queck den Sinn des Manövers. Und der Autopilot macht, was man von ihm erwartet. Er hält die Maschine auf Kurs, so dass die Piloten die Fehlermeldungen in Ruhe abarbeiten können. Schon sehr komfortabel, denke ich, obwohl ich mich nach dem Abschalten der gesamten Hydraulik im Cockpit nicht mehr ganz so wohl fühle. Aber Airbus-Pilot Thomas Wilhelm bleibt cool: „Das Flugzeug fliegt völlig normal, selbst wenn wir hier den äußerst unwahrscheinlichen Ausfall des gesamten Hydrauliksystems simulieren.“ Die Crew, das weiß ich inzwischen, führt das Flugzeug an die zugelassenen Flugbetriebsgrenzen, in einen Grenzbereich, an den Linienflieger nicht kommen.
Mittendrin in den Schlussmanövern hat ein Airbus-Mitarbeiter die Nachricht empfangen, dass Emirates 36 A 380 geordert hat. Das spricht sich rum wie ein Lauffeuer. Die Airbus-Leute atmen hörbar auf. Der Auftrag sichert Arbeitsplätze bis ins nächste Jahrzehnt.

Positives Fazit nach der weichen Landung

Und dann ist dieser aufregende Flug schon fast wieder vorbei. „Das war‘s schon,“ verkündet Kapitän Jasper fast unterkühlt. Nach der Rückkehr im Wolkenmeer zaubert er  eine meisterhafte Landung hin. Fein!

Ende einer (aufregenden) Dienstreise.

Und das Fazit des Annahme-Fluges? „Alles perfekt,“ sagt Kapitän Jasper. „Wir haben schon am Vortag das Cockpit auf Herz und Nieren geprüft.“ Für Andreas Eder ist der A350 „mit seinem komfortablen Arbeitsplatz“ das schönste Flugzeug, mit dem er bisher geflogen ist. Auch Airbus-Testpilot Wilhelm ist voll des Lobes über das „ausgereifte Fluggerät“. Und Matthias Queck ergänzt: „Wir fliegen die Maschine auch mit Samthandschuhen.“
30 Tonnen weniger Kerosin als seine Vorgänger wird der A350 zum Beispiel  auf der Strecke München-Hongkong verbrauchen, eine Ersparnis von 25 Prozent – dank aerodynamischen Flügeldesigns und weil er ein „Leichtgewicht“ ist: 70 Prozent des Flugzeugs bestehen aus hochmodernen Materialien wie Titan, Carbon und Aluminiumlegierungen. Solche Teile werden übrigens auch in Augsburg bei Premium Aerotec hergestellt.

München bekommt die ersten A350-900

Wie es weitergeht? In einer Woche ist die Vertragsunterschrift geplant. Wenn die deutsche Zulassung in Braunschweig klar ist, kommt die „Mannheim“ nach München. Hier wird die Premium Eco eingebaut. Danach muss der Flieger nochmal abgenommen werden – und dann kann‘s endlich losgehen. Lufthansa hat 25 Flugzeuge vom Typ Airbus A350-900 bestellt. München erhält die ersten 15 Flieger zum Listenpreis von rund 310 Millionen Dollar pro Flugzeug. Erste Ziele sind derzeit Delhi, Boston, Mumbai, Hongkong, Peking und Tokio. Im März kommt Singapur dazu. Da will ich wieder mit von der Partie sein.
Jetzt kann ich ja mit gutem Gefühl, in den A350  einsteigen, weil ich weiß, dass alles getan wurde, um dieses Flugzeug so sicher wie möglich zu machen.

Ein Kommentare
  • Thomas Wilhelm
    Januar 21, 2018

    Gut recherchiert, schöne geschrieben! Hoffe Sie hatten Spaß und unseren kleinen Ausflug genossen. Herzliche Grüße aus Toulouse. T. Wilhelm

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