Der Schlüssel sieht aus wie andere Autoschlüssel auch, das Auto, ein trendiger Fiat 600, fällt höchstens durch sein frühlingshaftes Grün-Weiß auf. Doch damit hat sich’s mit den Gemeinsamkeiten. Denn den „Saft“ holt sich der kleine Flitzer aus der Steckdose, und wenn man den Schlüssel umdreht, startet kein Motor. Dafür surrt es leise und das Auto setzt sich ohne Verzögerung in Bewegung. Bis zu 120 Stundenkilometer schnell kann der Hüpfer werden und selbst am Berg lässt er sich nicht abhängen.
Brav schnurrt er die Passstraße hoch und holt sich auf der Abfahrt beim Bremsen wieder Energie zurück. Rekuperation nennt man das, lernen wir. Wir sind Versuchskaninchen bei dem Projekt „Effiziente Elektromobilität und Tourismus Allgäu“, das von der Hochschule für angewandte Wissenschaft in Kempten betreut und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert wird. Ziel ist, die Bereitschaft der Touristen zu testen, Elektroautos anzumieten und eventuell auch zuhause zu fahren, erklärt Prof. Alfred Bauer in schönstem Hochdeutsch. 90 Prozent der Allgäu-Gäste legen bei ihren Ausflügen unter 50 Kilometer zurück und sind damit auf der sicheren Seite. Auf maximal 150 Kilometer beziffert Bauer die Reichweite eines Elektroautos. Nichts für Kilometerfresser. „Wir haben auch schon Gäste gehabt, die wir abholen mussten, weil sie liegen geblieben sind“, räumt der Macher mit der Intellektuellenbrille ein. Dabei müsse man nicht unbedingt eine der zwölf Strom-Tankstellen im Allgäu anfahren, um aufzutanken. Für zwischendurch reiche auch eine Steckdose: „Wenn ich stehe, lade ich.“
Wir haben mittlerweile das Auto gewechselt, sind umgestiegen in einen blauen Think, der aussieht wie ein Spielzeugauto und eine komplette Kunststoff-Schale hat. Mit der Kiste – „rollendes Dixie-Klo“ sagen die Studenten dazu – fallen wir auf jeden Fall auf. „Ka ma den Karra au kaufa “, fragt eine Frau, die in Bad Hindelang grade aus dem Dorfladen kommt. Neugierig inspiziert sie unser Gefährt. Doch als sie den Preis von 35 000 Euro hört, winkt sie ab. Noch sind die Elektroautos einfach zu teuer.
Trotzdem, die Idee, die Urlaubsregion umweltfreundlich zu entdecken, kommt an – nicht nur bei jungen Leuten. 91 und 86 Jahre alt waren die ältesten Fahrer, erzählt Alfred Bauer von einer Fahrt mit Hindernissen. Sie hätten sich zunächst allerdings darüber beklagt, dass das Auto am Berg nicht richtig „anzieht“. „Wir haben dann die Handbremse gelöst und danach waren auch diese Fahrer zufrieden.“
Zur Alpe Sonnhalde kommt man nicht mit dem E-Mobil. Die muss man sich schon erwandern. Die Elektroautos lassen wir auf dem Parkplatz Buchenegg zurück. Dann wandern wir auf aussichtsreichem Weg ein Stück durch den Naturpark Nagelfluhkette, schauen über frühlingsgrüne Wiesen auf Hochgrat & Co, bewundern einen uralten Ahorn, der wie ein Monument über einer Weide aufragt, und freuen uns an den kuscheligen Ziegen, die genussvoll das frische Gras rupfen. Alpmeister Jakl Köhler, der mit seiner weißen Haarpracht und dem Vollbart eine Idealbesetzung für Heidis Alm-Öhi wäre, steht schon in der Türe. Drinnen in der Hütte ist es warm und gemütlich und während er Bratkartoffeln und gebackenen Geißenkäs‘ auftischt, erzählt der Jakl von sich und dem Allgäu und dass „der Johann“ (Lafer) von ihm gelernt hätte, wie man Bratkartoffeln macht.
Von falscher Bescheidenheit hält der Alpwirt nichts. Seit 30 Jahren ist der studierte Chemiker Senn auf der Alpe, und er kann sich nichts Schöneres vorstellen. Die Gäste scheinen da seiner Meinung zu sein:
„Trinkt er vom Jakl seiner Milch
Wird zum Mann jeder Knilch“
hat ein Fan gereimt. Der Jakl lacht herzhaft und sagt, dass da schon was Wahres dran ist. Schließlich enthalte die Milch seiner Kühe, die hoch oben auf der Alp grasen, die wichtigen Omega-3-Fettsäuren, die Herz und Kreislauf schützen.
Auch der 65-jährige selbst bleibt gesund mit Milch – und mit der Alpe, deren Überleben ihm am Herzen liegt. Als die Besitzerin starb und die Erben verkaufen wollten, gründete der überzeugte Allgäuer kurzerhand den Verein zum Erhalt der Allgäuer Kulturlandschaft. Statt Zinsen gibt’s für die Fördermitglieder, 120 an der Zahl, Käse. Wer 5000 Euro einzahlt, erhält jährlich sechs Kilo echten Bergkäse – ein Leben lang. So kam der Verein zu ausreichend Geld. Er kaufte die Alpe und Jakl Köhler pachtete sie. Im Sommer grasen hier oben nicht nur Ziegen und Kühe, auch Hühner und Schweine fühlen sich pudelwohl und im Garten summen die Bienen. Eine Idylle. „We ma was will goat´s au “, grinst der Jakl zufrieden.
Das müssen wir uns immer wieder einreden, als wir mit E-Bikes den steilen Weg zu einer anderen Alpe erklimmen, der schön gelegenen Alpe Beichelstein. Bei 20 Prozent Steigung heißt es ordentlich strampeln. Von wegen einfach aussitzen. Der Motor unterstützt nur diejenigen, die auch kräftig in die Pedale treten. Wem das zu anstrengend ist, der muss absteigen, schieben – und feststellen, dass so ein E-Bike ganz schön schwer ist. Droben angekommen treffen wir auf zwei zähe Mountainbiker, die unsere Räder abschätzig mustern. „Ziemlich unfair“, kommentiert der eine und schwingt sich in den Sattel, um bergab zu sausen. Auch wir sind im Nu wieder im Tal, obwohl wir den Hilfsmotor auf Sparflamme geschaltet haben.
Auf den meist ebenen Wegen rund um Hopfen zeigen unsere E-Bikes dann, was sie können. Locker 50 Stundenkilometer erreichen wir, wenn wir uns im Sattel nicht ausruhen. Und das selbst bei Gegenwind. Das spart Kraft und lässt viel Zeit zum Schauen: Der Löwenzahn blüht honiggelb, braune Allgäuer Kühe grasen in den frühlingsgrünen Wiesen, eine rot getigerte Katze schleicht um ein Mauseloch, vor uns streut die Sonne Silber auf den Hopfensee. Wir sind eins mit uns und der (Um)Welt. So schön kann Radfahren sein.