Seit Jahrzehnten gehörten Urlaub und Reisen zusammen wie siamesische Zwillinge. Doch das könnte sich in den nächsten Jahren ändern, prophezeiten zumindest Experten beim Ammerländer Gespräch vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung. „Reisen als letzte Gelegenheit? Sehnsüchte in Zeiten der Dauerkrise“ lautete das Thema, bei dem es auch um die Probleme der Reisebranche in einem von Kriegen und Krisen geprägten Umfeld ging.
Dass sich das Produkt Reise wandeln muss, davon gehen inzwischen viele Experten aus. Die Frage ist nur wie und wann. Und dazu gab es beim Ammerländer Gespräch einigen Diskussionsstoff.
Vermeiden, Verdammen, verzichten
Kurzfristig könnte sich das Buchungsverhalten angesichts einer Massierung von Krisen verändern – in Richtung Verzicht: Denn das Leben, das wir kennen, ist zu billig. Dass wir uns eine massenhaft wegkonsumierte Welt auf die Dauer nicht leisten können, war Konsens in der Runde. Mittelfristig könnten klimaschädliche Produkte deshalb verdammt werden, könnte Fliegen „bald pfui sein“. Vor allem junge Leute haben laut eigenen Aussagen vermehrt ein schlechtes Gewissen. Deshalb stünden die Airlines „im Prinzip mit dem Rücken zur Wand“.
Langfristig geht es wohl um Vermeidung klimaschädlicher Mobilität, wobei ein Großteil der Branche die Konfrontation mit den jetzt schon sichtbaren Entwicklungen des Klimawandels offenbar scheut. Klar wurde, dass sich der Tourismus verändern muss.
Eine andere Form des Reisens
Wie so ein veränderter Tourismus aussehen könnte, darüber waren sich die Experten beim Ammerländer Gespräch allerdings uneins. Dem einen Veranstalter fehlt „schlicht die Fantasie, wie Reisen in Zukunft aussehen könnte“. Ein anderer wandte ein, dass vor allem bei den Älteren der Wunsch nach Reisen ungebrochen sei. Viele würden „die letzte Gelegenheit“ ergreifen, auch in dieser Zeit noch eine Urlaubsreise zu verwirklichen. „So funktionieren wir Menschen“. Ein dritter sorgt sich, dass sich der Tourismus ohne Flugreisen auf Naherholungsgebiete konzentrieren könnte – mit entsprechenden Folgen wie Overtourismus und Landschaftszerstörung.
Ganz so krass werden die Veränderungen dann wohl doch nicht sein, wurde schnell klar: „Flieger werden weiter fliegen“, das sei auch notwendig. Aber eine Regulierung sei eben bitter nötig. Wir lebten schon jetzt über unsere Verhältnisse.
Reisen als Belohnung
Das sieht der Chef des spanischen Fremdenverkehrsamtes Alvaro Blanco Volmer ganz ähnlich. Seiner Meinung nach wird es aber schwer, den Massentourismus einzudämmen ohne das Wachstum zu gefährden. Auch bei der Lenkung von Touristenströmen sieht Volmer Probleme. Tourismus sei die „Industrie des Selbstwertgefühls“, Urlaub etwas, das man sich verdient habe. Allerdings sei die Art, wie Tourismus derzeit produziert werde, schädlich. „Im Moment scheint leider alles wie gehabt“, argumentierte der Fremdenverkehrsamtschef und sprach von einer Gratwanderung.
Ein neuer Tourismusplan unter dem Motto „Alles nur nicht wie gehabt“ solle in Spanien für mehr Wertschätzung des Reisens sorgen. Es gäbe schon viele kleine Schritte wie das Verbot „neuer Unterkunftsplätze auf den Balearen“, aber eine grundsätzliche Änderung sei wohl unter anderem nur mit Auflagen erreichbar. „Der Kunde allein wird es nicht richten.“
Immer noch sähen viele Menschen Reisen als Belohnung im Sinn von „Das haben wir uns verdient“, berichteten die Veranstalter beim Ammerländer Gespräch. Und trotz des Klimawandels wollten die Menschen darauf nicht verzichten. Im Gegenteil, viele wollten einfach reisen „jetzt sofort und möglichst noch bevor das Geld nichts mehr wert ist, bevor der letzte Eisbär verschwunden ist.“
Die Verantwortung der Veranstalter
„Es darf nicht dem einzelnen überlassen werden“, stellte Petra Thomas, Geschäftsführerin Forum anders Reisen, klar und verwies auf die magere Bilanz von atmosfair, wo Reisende ihren beim Fliegen entstandenen CO2-Verbrauch kompensieren können. Trotz der niedrigen Preise kompensierten gerade einmal vier Prozent der Flugreisenden. Thomas würde die Kompensation am liebsten so einfach machen wie die Kurtaxe am Strand. Langfristig gehe es allerdings auch darum, den Flugverkehr zu reduzieren und Mobilität zu verändern.
Manfred Häupl von Hauser Exkursionen sieht da auch die Veranstalter in der Pflicht. Sie hätten es in der Hand, das Reisen zu verändern. So werbe Hauser Exkursionen mit dem Slogan „Reise weniger, dafür aber mit…“ und biete auch keine Fernreise unter 14 Tagen an. Er selbst sei angetreten, „weil ich mit meinen Reisen die Welt verbessern wollte“.
Kreativität gefragt
Dass es im Tourismus auch darum geht, den Horizont zu erweitern, betonten bei diesem Ammerländer Gespräch alle Touristiker ebenso wie die Verantwortung für den Erhalt von Arbeitsplätzen in den oft auf die Devisen angewiesenen Reise-Destinationen. In der Richtung müssten die Veranstalter – und da vor allem auch die großen Player – kreativ werden. Denn Tourismus sei ein „verzichtbares Produkt“. Überleben könne die Branche nur, wenn das Reisen für den einzelnen wieder wertvoll würde.