Der Start auf der Schnellstrecke von Berlin nach München im Dezember war etwas holprig. Aber inzwischen scheinen die Probleme weitgehend ausgeräumt. Das wären gute Nachrichten für die Deutsche Bahn, wenn nicht Sturmtief Friederike mit Orkanböen von bis zu160 Stundenkilometern den Fernverkehr wieder zum Stillstand gebracht hätte – gerade drei Monate nach Xavier, der vor allem in Norddeutschland gewütet hat. „Die Jahrhundertstürme kommen inzwischen gefühlt alle drei Monate,“ kommentiert Ernst-Michael Schmidt, Leiter der Kommunikation Bayern der DB bei der Touristischen Runde in der DB-Zentrale in München zum Thema „Die Deutsche Bahn – Probleme und Visionen“.
Eine neue Ära im Fernverkehr
Die Visionen stellt Karlheinz Breitenbach vom Angebotsmanagement in Frankfurt vor – und da spielt das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit, VDE 8, und damit die Schnellstrecke München-Berlin eine zentrale Rolle. „Wir haben ein bisschen lernen müssen,“ entschuldigt Breitenbach die anfänglichen Patzer. Aber inzwischen habe die Nachfrage die Erwartungen „mehr als übertroffen“. Über zehn Jahre habe es gedauert, bis man nach der Eröffnung der Schnellstrecke eine „neue Ära im Fernverkehr“ für die Deutsche Bahn einläuten konnte. 20 Jahre habe man an der Strecke gebaut und zehn Milliarden Euro investiert. Doch mit der Fertigstellung sei die Wettbewerbsfähigkeit auf der Schiene gestärkt worden und die Deutsche Bahn ihrem Ziel, Marktführer unter den Verkehrsträgern zu werden, näher gekommen.
Zehn Jahre Vorlauf und große Herausforderungen
Ziel seien 40 Prozent Marktanteil zwischen München und Berlin, wobei man nicht nur den Airlines Anteile abjagen, sondern auch die Autofahrer überzeugen wolle, in den Zug umzusteigen. Um das zu erreichen, wolle die Bahn die Zeitvorteile auch „in die Fläche tragen“. So gehe es von Bayern aus schneller an die Ostsee, und die Berliner kämen schneller in die Alpen. Aber auch Erfurt, Halle, Leipzig profitierten. Inzwischen habe man ein Drittel der Fahrpläne angepasst – die größte Fahrplanumstellung in der Geschichte der DB. Wie es weitergeht? Breitenbach spricht von zehn Jahren Vorlauf für bestellte Züge. Eine echte Herausforderung in diesen Zeiten, in denen immer neue Visionen geboren werden – von der Elektromobilität bis zum autonomen Fahren.
Mit der Bahn in die Berge
Für Khaled El-Hussein, Marktmanager für Österreich und Italien der Deutschen Bahn, ist das eher Zukunftsmusik. Er beschäftigt sich damit, wie die Bahn möglichst viele Passagiere in die Berge bringen könnte. Auch im Winter. Die Bahn argumentiert mit schnellen Verbindungen, günstigen Sparpreisen ab 19,90 Euro, die schon ein halbes Jahr im voraus buchbar sind, mit grenzüberschreitendem WLAN und einem Entertainment-Portal, das neben Tageszeitungen auch 50 kostenfreie Serien anbietet. Und der Manager ist überzeugt: „Es gibt das Bedürfnis mit der Bahn in die Alpen zu fahren.“ Das schließt er schon aus der Tatsache, dass die Bahn in diesem Winter bereits 21 Prozent mehr Buchungen für Österreich verzeichnet als im Vorjahr. Trotzdem räumt El-Hussein ein, dass die Deutsche Bahn noch eine „Nebenrolle im Winterurlaub“ spiele. Gerade mal acht Prozent Bahnkunden stünden 80 Prozent Autofahrer gegenüber. Aber er ist zuversichtlich, dass sich das schon in den nächsten Jahren ändern wird.
Die junge Generation hat ein anderes Mobilitätsverhalten
„Die Deutsche Bahn profitiert vom veränderten Mobilitätsverhalten der jüngeren Generation, insbesondere in den Metropolen,“ ist er überzeugt. Viele hätten nicht mal mehr einen Führerschein. Leihen statt kaufen sei das Motto – auch im Wintersport. Knapp die Hälfte der Wintergäste leiht sich das sperrige Equipment vor Ort – das Gepäckproblem sei also überbewertet. Eine Umfrage zum zukünftigen Mobilitätsverhalten gibt ihm recht. Danach werden im Jahr 2027 nur mehr 58 Prozent mit dem Auto in die alpinen Winterregionen reisen, und 13 Prozent mit der Bahn. „Bahnreisende erhöhen die Wertschöpfung vor Ort,“ wirbt El-Hussein um die Unterstützung durch Destinationen und den Tourismus. Vorbild dafür ist für ihn die Schweiz, wo die Gäste zur Bahnanreise durch den Tourismus inspiriert würden. Auch das „Bahnland Tirol“ geht diesen Weg konsequent und schult etwa die Gastgeber zum Thema Bahnanreise. Wichtig sei aber vor allem eine optimale Mobilität vor Ort und der sichere Transfer vom Bahnhof zum Reiseziel.
Vom Winde verweht…
Doch was nützt all das, wenn die Bahnreisenden nicht an ihr Ziel kommen? Wenn sie wegen der Stürme oder wegen Streiks im Nirgendwo stranden? Reiserechtler Prof. Dr. Ernst Führich weist darauf hin, dass seit einer wegweisenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Jahre 2013 die Entlastung bei Höherer Gewalt bei der Bahn – anders als bei den Airlines oder Reiseveranstaltern – keine Rolle spielt. Noch, denn in Brüssel werde seit September an einer Reform der Fahrgastrechteverordnung Nr. 1371/2007 gearbeitet, die bei Höherer Gewalt die Haftung wesentlich einschränkt. Für Führich nur eine logische Konsequenz aus der bisherigen „Wettbewerbsverzerrung bei den unterschiedlichen Verkehrsträgern Flug, Bus, Bahn und Schiff“. Noch allerdings gilt, dass die Bahn bei Verspätungen über 60 Minuten 25 Prozent des Fahrpreises erstatten muss, über 120 Minuten die Hälfte. Sollte der Kunde sein Reiseziel nicht erreichen, stehen ihm nach der Eisenbahnverkehrsordnung im Regionalverkehr 80 Euro für eine Hotelübernachtung oder ein Taxi zu, im Fernverkehr gibt es diese Grenze nicht. Hier ist die Rede von einer „angemessenen Unterkunft“, wobei die Bahn die „Anbietpflicht“ habe, das heißt, der Reisende dürfe nicht selbst handeln.
Entscheidend ist die Verspätung bei der Ankunft
In der Frage der Reisekettenhaftung bei mehren Bahnunternehmen einer einheitlichen Fahrkarte, hafte das Unternehmen, das das Ticket ausgestellt hat und mit dem Fahrgast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, berichtet Führich. Das Servicecenter Fahrgastrechte in Frankfurt a.M. der Deutschen Bahn würde für alle beteiligten Bahnen tätig, Ansprechpartner sei aber immer die Eisenbahn, die das Ticket ausgestellt hat. Entscheidend für die Fahrpreiserstattung sei jedoch immer die „Ankunftsverspätung am Zielort des Fahrscheins“. Sollte es da zu Problemen im Beschwerdeverfahren kommen, verweist Führich auf die seit 2016 erfolgreiche verkehrsübergreifende Schlichtungsstelle SÖP in Berlin, die für den Fahrgast kostenfrei schlichtet.
40 000 Züge sind täglich auf den Schienen unterwegs
Nach diesem juristischen Exkurs fordert Pressesprecher Schmidt „faire Marktbedingungen“ ein und verweist auf die „Fürsorgepflicht“ bei Stürmen. Schließlich transportiere der Personenverkehr der Bahn am Tag mehr Passagiere als die Lufthansa im Monat. „Zwölf Millionen Menschen fahren täglich mit uns.“ Jeden Tag seien 40 000 Züge im deutschen Schienennetz unterwegs, ein kompliziertes und störungsanfälliges Netzwerk. „Ab fünf Minuten Verspätung kann die Reisekette reißen,“ gibt Schmidt zu bedenken. Bei größeren Verspätungen werde von der DB Netz AG in Sekundenschnelle für ganze Bahnknoten ein neuer Fahrplan berechnet. Trotz all dieser Komplexität versuche die Bahn, alle Reisenden so früh wie möglich zu informieren. Beim Sturmtief Friederike etwa habe man bereits einen Tag vorher vor Zugausfällen und Verspätungen gewarnt. Vor Informationspannen aber sei man nie gefeit.
Weichen für die Zukunft gestellt
Khaled El-Hussein beklagt, dass das Bahnpersonal die Wut der Passagiere oft ungefiltert zu spüren bekommt – ob am Schalter oder im Zug. „Die Hemmschwelle sinkt dabei immer mehr.“ Das sei eine ungute Entwicklung. Doch, auch wenn die Bahn „niemals in der Lage sein wird, jedes Kundenbedürfnis zu befriedigen“ (El-Hussein) sind die Bahnmanager optimistisch. Gerade auch mit der Schnellstrecke habe man die Weichen für die Zukunft gestellt – und da spiele die Schiene eine wesentliche Rolle.
Infos im Internet
Schnellstrecke: www.bahn.de/micro/view/schnellfahrstrecke/index.shtml
Bahnland Tirol: www.tirol.at/mobilitaet
Die Bahn in Bayern: bahnland-bayern.de/files/media/bahnland-bayern/service/streckennetz/beg_streckennetz.pdf
Fahrgastrechte: www.bahn.de/p/view/service/auskunft/fahrgastrechte/entschaedigung.shtml
Schlichtungsstelle: soep-online.de/