Dickicht der Gefühle: Hans Werner Kettenbachs „Das starke Geschlecht“

 Der Herr Anwalt ist noch jung genug, um etwas dazu zu lernen, fürs Leben wie man so schön sagt. Und aus dem Fall des Herbert Klofft, eines despotischen Unternehmers, der an Parkinson leidet und vor allem an Starrköpfigkeit, kann Dr. Alexander Zabel jede Menge lernen. Das hat wohl auch Dr. Hochkeppel, Kloffts Freund und Zabels Chef, geahnt und deshalb den Fall um die fristlose Kündigung seiner unbotmäßigen Ex-Geliebten an den jungen Kollegen delegiert. Soll der sich doch mit dem sturen Bock herumärgern.

Für Zabel beginnt eine Gratwanderung zwischen Recht und Anmaßung, zumal er sich auf unerklärliche Weise zu der nicht mehr ganz taufrischen Cilly Klofft hingezogen fühlt. Zwischen dem jungen Mann und der bald 70-Jährigen entwickelt sich eine erotische Spannung, die den Anwalt in größte Gewissensnöte stürzt. Nicht nur, weil Cilly die Frau seines Mandanten ist, den sie offensichtlich hasst. Auch wegen seiner nichts ahnenden Freundin Frauke.Hans Werner Kettenbach, der als Moralist unter den Krimi-Autoren gilt, führt die Leser in ein schier undurchdringliches Dickicht der Gefühle, in dem sich die Frauen als die stärkeren erweisen.
Während er in einer Art Kammerspiel seelische Abgründe auslotet, gönnt der Autor seinem erregten Anwalt eine erotische Erfahrung jenseits allen Kitsches, wie er im Film „Wolke neun“ den Zuschauer vernebelt. Grausam scharf analysiert der 80-jährige Schriftsteller die Schrecken des Alters, während er den Pas de deux von alt und jung ganz subtil ins Szene setzt.
Am Ende verwirrt Kettenbach seine Leser mit einer Volte, die nicht nur den jungen Anwalt aus dem Konzept bringt. Eine ebenso spannende wie vergnügliche Seelen-Exhibition.

 Hans Werner Kettenbach: Das starke Geschlecht, Diogenes, 448 S., 21,90 Euro

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