Es muss die Lebensqualität in diesem Stückchen Griechenland sein, die den Unterschied macht, die Menschen bleiben und andere kommen lässt. Menschen wir Spiros Mikronis, den 36-jährigen Griechen, der in North Carolina aufgewachsen ist, auf Lefkas seine Jugendjahre verbracht hat und als erfolgreicher Manager zurück gekommen ist. Menschen auch wie Helmut Karcher Picard, den 66-jährigen Deutschen, der sich in Lefkas zu Hause fühlt.
Die Insel, die über einen Damm und eine Schwenkbrücke mit dem griechischen Epirus verbunden ist, ist gerade mal 15 Kilometer breit und 35 Kilometer lang. Grün ist sie zu dieser Zeit, weiß ist der Sand an den breiten Stränden, weiß sind die Kalkklippen am Kap Dukato und von tintenblau bis smaragdgrün changiert das Meer. Am rauen Kap von Lefkas sah Homer den Eingang zur Unterwelt, und von den Klippen sollen sich unglücklich verliebte Mädchen ins Meer gestürzt haben. Der Sage nach tat dies auch die berühmte Lyrikerin Sappho – aus unerwiderter Liebe zum Jüngling Phaon. Heute steht da, wo einst ein Apollotempel stand, ein Leuchtturm – und niemand mehr stürzt sich aus Liebeskummer in die Meereswogen, höchstens aus Lust.
Denn so schön wie hier an der Südspitze der kleinen Insel ist das Meer selten in der ionischen Inselwelt. Blaugrün, türkis, lindgrün, opalfarben. Ein Fest fürs Auge. Der nahe Katsiki Strand ist deshalb auch längst kein Geheimtipp mehr. Sonnenanbeter und Schwimmer kommen in Scharen – nicht einmal die 75 Stufen der Treppe, die von der Klippe hinunter zum Strand führt, können sie aufhalten. Andere landen einfach mit dem Badeschiff an. Vor so viel Zuneigung kapituliert die Wasserqualität, zumal die Infrastruktur zu wünschen übrig lässt.
Doch niemand muss gerade hier ins Wasser. Lefkas hat noch viele Strände, in kleinen und großen Buchten, sichelförmig die einen, fjordartig die anderen und alle einladend mit glasklarem Wasser. Da, wo die – kostenpflichtigen – Schirme aufgespannt sind, sieht man jetzt, dass noch viel Platz ist. Auch hier sind die Touristen ausgeblieben – wie in ganz Griechenland. Die Finanzkrise hat sie verschreckt – auch so manche Schlagzeile in deutschen Blättern und manche Nachricht im Fernsehen. Bis zu 30 Prozent weniger Buchungen verzeichneten die großen Veranstalter zum Saisonauftakt. Für Helmut, den Wanderführer aus Deutschland, brach das Geschäft gleich ganz weg. Statt vier Touren pro Woche bisher keine einzige.
Der braungebrannte Ex-Versicherungsmanager, Ex-Feinkosthändler, Lebenskünstler und Maler versteht die Welt nicht mehr. Lefkas ist schön wie immer, die Menschen sind freundlich wie immer und die Preise niedrig wie selten zuvor. „Für mich ist Lefkas meine Heimat“, erklärt Helmut kategorisch. Als er vor 22 Jahren zum ersten Mal auf die Insel kam, war es Liebe auf den ersten Blick. Der Kauf eines Hauses war dann eine Sache von zehn Minuten – und bis heute hat der 66-jährige, der sich gerne als Lebenskünstler sieht, sie nicht bereut. Seit zehn Jahren lebt er ständig auf der Insel, seit acht Jahren führt er Touristen auf den schönsten Wanderwegen über die Berge von Lefkas, dahin, wo sich violette Thymianpolster unter uralten Olivenbäumen breit machen und der wilde Salbei duftet, wo der Blick weit übers Meer und die ionische Inselwelt schweift bis hin nach Zakynthos, das im Meer liegt wie ein schlafender Drache. „Ich war schon immer ein Geher“, sagt Helmut. Und dass es für ihn die größte Freiheit ist, „wenn ich da oben bin und alles unter mir habe“.
Vor dem Kafeineon von Theodoros in Poros hängen ein paar alte Männer rum, der Gemischtwarenladen im Inneren ist leer. Auch die griechischen Urlauber bleiben aus. „Die haben kein Geld“, weiß der Wahl-Lefkadier Helmut, der hier alles und jeden zu kennen scheint. Auch den Münchner Architekten, der sich hier sein Traumhaus gebaut hat und der mit seinem Silberhaar wirkt wie Helmuts Zwilling. Nicht nur die Deutschen haben Lefkas als Hideaway entdeckt. Auf einem Hügel thront die Villa einer englischen Familie und weiter unten haben sich gleich mehrere Russen angesiedelt. Sie alle scheinen die Leichtigkeit des Seins zu schätzen, die auf dieser Insel herrscht -und die sogar die Krise vergessen lässt.
Auch Spiros würde den ganzen Schlamassel gerne vergessen. Doch als Tourismusmanager ist er ständig mit Griechenlands Problemen und deren Auswirkungen auf die Touristen konfrontiert. Der smarte 36-Jährige mit dem jungenhaften Lächeln weiß, wie wichtig Tourismus für die Insel ist, auf der er nach Studien- und Berufsjahren in London und Athen mit seiner Familie sein Auskommen gefunden hat. „Wir sind immer noch ein touristisches Baby“, sagt Spiros und lacht. Gerade mal seit 20 Jahren gibt es Tourismus auf Lefkas. Ein Massenziel wie Kreta werde die Insel auch nie werden, ist der Grieche überzeugt. „Dafür sind wir zu klein – glücklicherweise.“ Wer all inclusive wolle und Remmidemmi, der sei auf Lefkas an der falschen Adresse: „Dies hier ist Griechenland!“
Die viel gerühmte Gastfreundschaft und die Verbindung von üppig grüner Natur mit weiten Sandstränden – das mache den Charme der Insel aus. Auch dass sie weit genug weg ist von Athen und den politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen dort. Spiros macht kein Hehl aus seiner Verachtung für die Politiker, die dem Land die Krise eingebrockt hätten. „Bislang hatten wir zwei Parteien, die sich in der Regierung abwechselten“, erläutert er wild gestikulierend, „Immer, wenn die eine Partei an der Regierung war, machte die andere die Augen zu und wartete, bis sie an der Reihe war.“ Jetzt hofft er auf die neue Regierung Samaras, in der noch eine dritte Partei mitreden wird und darauf, dass nicht wieder „Politiker mit schmutzigen Händen“ die Macht an sich reißen.
„Unglücklicherweise ist Griechenland ein kleines Land, das nutzlose Politiker hat“, stöhnt der Tourismusmanager und hofft auf emanzipierte Touristen, die das zu schätzen wissen, was das Land – und vor allem die Insel Lefkas – zu bieten hat und was er selbst so schätzt: Kleine weltabgeschiedene Dörfer, wo die Zeit keine Rolle zu spielen scheint. Lebhafte Städtchen mit originellen Geschäften und einladenden Restaurants. Berge, die nach Sommer duften und Strände, an denen noch viel Platz ist. Dazu alte Kirchen und Klöster und eine Geschichte, die weit zurück reicht bis zu Alexander dem Großen. Lebensqualität hat Spiros auf seiner Insel gefunden und – anders als im trubeligen Athen – auch „Seelenfrieden“. Wanderführer Helmut sieht das ähnlich und er ist überzeugt: „Wer einmal auf Lefkas war, kommt immer wieder.“