Schon auf der Fraueninsel lockerte die Wolkendecke auf und enthüllte, was 1828 hier die Künstler „en plein air“, hinaus in die freie Natur gezogen hatte: Ein Farbenspiel zwischen dem Karibikgrün des Chiemsees, dem von Wolkenweiß gesprenkelten Himmelsblau und dem satten Wiesengrün. Dazwischen Häuser wie gemalt mit blühenden Gärten. Wer wollte da nicht schwelgen? Führer Konrad Hollerieth hatte viel zu erzählen über die frühe Gründung des Klosters und die selige Irmengard, Tochter Ludwigs des Heiligen, die 857 Äbtissin des Frauenklosters wurde und deren sterbliche Überreste nach einigen Irrungen und Wirrungen seit 2003 endlich vollständig unter dem Altar ruhen. So lange waren Gebeine und der in Seeon als Reliquie verehrte Schädel getrennt gewesen. Auch über die Folgen der Säkularisierung, die 41 Familien arbeitslos gemacht hatte, berichtete der Führer, über Fischer, Töpfer und Touristen. Und natürlich über die Chiemseemaler, für die Frauenchiemsee zur Keimzelle der Freilichtmalerei wurde – nicht zuletzt wegen der hübschen Töchter des Inselwirts.
Weißblau war der Himmel bei der Überfahrt nach Herrenchiemsee, wo uns weniger König Ludwigs Schloss interessierte als vielmehr die Gemäldegalerie im Chorherrenstift. Doch natürlich wusste Konrad Hollerieth auch hier Hintergründiges. Dass der Münchner Alois Fleckinger, der nach der Säkularisierung die Insel gekauft hatte, die Türme und den Chor des Doms abbrechen ließ und im ehemaligen Langhaus eine Brauerei einrichtete. Dass der später geadelte Großkaufmann die Altäre verkaufte, Grabtafeln und Sarkophage im See versenkte und dass es der Kini war, der 1873 die Insel vor dem Ausverkauf rettete, indem er sie für 350 000 Gulden kaufte. Viel später (1948) tagte im Alten Schloss der Verfassungskonvent zur Vorbereitung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Auch das erfahren wir, nachdem wir uns in der Ausstellung über die Chiemseemaler schon mal auf den Farbenrausch des „Farbenfürsten“ Julius Exter eingestimmt hatten, der neben dem „Malerfürst“ Franz von Stuck als einer der bedeutendsten bayerischen Maler der Prinzregentenzeit galt.
1892 war Exter Mitbegründer der Münchner Secession, entwickelte einen expressiven, farbsatten Stil und galt als Vorkämpfer der modernen Malerei. In seinem Werk findet sich in der Chiemsee in allen Schattierungen wie auch wir ihn erlebt haben, mit strahlenden Farben und nebelverhangen. Exter holte sich seine Inspiration aus der Natur, in der er lebte – und aus dem Garten, den er so farbensatt anlegte wie er malte. Das würden wir später sehen. Doch zuvor war Stärkung angesagt, in der Schlosswirtschaft. Für den Mittagsschmaus hatten einige Renken ihr Leben lassen müssen…
Das Exter-Haus in Übersee-Feldwies, wo der Maler auch eine Malschule gegründet hatte, empfing uns am Nachmittag mit einem Blütenmeer. Monika Kretzmer-Diepold, die Hüterin des Hauses, hat ihn so angelegt, dass man das Gefühl hat, in Exters Gartenbilder zu treten. „Dieser Garten ist der Versuch einer Rekonstruktion“, sagte die resolute 66-Jährige. „Exter wollte Farben sehen, Motive zum Malen.“ Die hätte er heute wieder in Fülle. Allein 1400 Kübelpflanzen hat die Frau mit dem grünen Daumen ums Haus gestellt, blutrote Geranien und rosarote Fuchsien, pastellfarbene Hortensien, zartweise Clematis. 14 000 Besucher kommen Jahr für Jahr in diese Farb-Oase, mehr würde Kretzmer-Diepold auch nicht wollen. „Ich möchte die Leute ja persönlich führen. Sie sollen das Gefühl haben, beim Künstler zu Besuch zu sein.“
Im Künstler-Atelier im ehemaligen Heuboden des uralten Bauernhauses gehen Innen und Außen ineinander über, werden Kunst und Natur eins. Die Bilder hängen dicht an dicht wie es zu Exters Zeiten üblich war und überwältigen mit ihrer Farbigkeit. „Ein ganz großer Mann“ sei der Maler gewesen, erklärte Kretzmer-Diepold, die auch als Journalistin arbeitet. Allerdings wohl kein einfacher Mensch. „In meinen Augen hat er sich seine Depressionen von der Seele gemalt.“ Als Exter 1939 starb war er bitterarm. Bis 1975 bewohnte die Familie das Haus. Fünf Jahre nach dem Tod der Tochter Judith wurde das Museum eingeweiht und für Monika Kretzmer-Diepold ein Traum wahr. Seit 34 Jahren ist sie nun die Hüterin des Exter-Hauses und bewohnt „ein Denkmal“, das sie sorgsam bewahrt.
Zum krönenden Abschluss wartete noch ein ganz anderer Künstler auf uns: Wilhelm Leibl, der in und um Bad Aibling seine Motive gefunden hat. Weniger in der Natur als in den einfachen Menschen, die er gerne porträtierte. Im Heimatmuseum des Kurstädtchens zeigte uns Kreisheimatpfleger Hans-Michael Stratbücker das Leibl-Kabinett des dem Realismus verpflichteten Mannes, der sich gern als „Maler-Herkules“ titulieren ließ. Eine Reihe von Radierungen als Dauerleihgabe und die Original-Leiblstube, die lange Zeit in Leibls Geburtsort Köln im Wallraff-Richards-Museum ausgestellt war und von dort nach Bad Aibling zurückgegeben wurde. Kritisch sieht Stratbücker die Vereinnahmung Leibls durch die Nazis als Blut-und-Boden-Maler. Der passionierte Jäger und Pfeifenraucher sei eher „zu wenig vaterländisch“ gesinnt gewesen, meint der Kreisheimatpfleger.
Im Lindners Hotel hatte der Maler, der mit seinem Freund und Kollegen Johann Sperl zusammen lebte, einen Stammplatz. Die betagte Seniorchefin des Hotels kann sich noch daran erinnern, dass ihr Vater kein Leibl-Bild aufhängen wollte, weil der Maler so „zwider“ war und dem Hund mehr Aufmerksamkeit schenkte als dem Personal. Heute freilich ist das Hotel stolz auf diesen „Leibl-Stammtisch“, über dem eine Reproduktion der „Drei Frauen in der Kirche hängt“.
Im malerischen Schlosskeller fand dann unser Ausflug bei einem feinen Menü einen schmackhaften Abschluss.