Zwischen Heroisierung und Banalisierung: Die Problematik von Gedenktourismus

In Flandern können Besucher an einer „Erbgutwanderung“ teilnehmen und so die Geschichte der auf dem größten deutschen Militärfriedhof in Lommel begrabenen Soldaten aus beiden Weltkriegen erfahren. Im französischen Nord-Pas-de-Calais entstand da ein Gedenkring, wo 600 000 Soldaten aus unterschiedlichsten Nationen gefallen sind. Im Trentino kann man auf einem Friedenspfad über die Dolomiten wandern, in Südtirol alte Befestigungen aus dem 1. Weltkrieg besichtigen und im österreichischen Schloss Schallaburg die Ausstellung „Jubel & Elend- Leben mit dem Großen Krieg 1914 -1918 besuchen. In Berlin geht es in der Ausstellung „Netze des Krieges. Kommunikation 14/18“ um das Spektrum der Kommunikationsmittel, die das Gesicht der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts maßgeblich mitgeprägt haben. Selbst die Tour de France „huldigt“ in diesem Jahr den Gefallen den des 1. Weltkriegs. Die Rennstrecke führt über die Schlachtfelder Nordfrankreichs und Flanderns.
Auch Veranstalter haben sich des Jubiläums angenommen und bieten Reisen zu Soldatenfriedhöfen, Ausstellungen und Denkmälern. Wie sinnvoll ist das alles? Brauchen wir einen „Gedenktourismus“, um uns die Gräuel des Krieges in Erinnerung zu rufen und die Bedeutung des Friedens zu erkennen, fragte die Touristische Runde München.
Auch eine tragische Begebenheit, glaubt Andreas Tschurtschenthaler, Leiter der Unternehmenskommunikation von Südtirol Marketing, könne ein touristischer Anlass sein. Faktisch sei es schon so, dass Menschen auf den Spuren des Krieges in den Bergen unterwegs seien – auch wenn nur die wenigsten den Ersten Weltkrieg zum Anlass nähmen, in die Berge zu gehen. So sei die Gebirgsjägerrunde, auf italienischer Seite „Grande Guerra“ genannt, nach der Sella Ronda die populärste Ski-Tour in den Dolomiten. Eine konzertierte Aktion zum Kriegsausbruch gäbe es in Südtirol allerdings noch nicht, erklärt Tschurtschenthaler. Man bereite sich vielmehr auf das Jahr 1919 vor – „mit Bauchweh“ -, denn das sei ein Jahr, in dem Entscheidungen gefallen sind, die Südtirol bis heute nicht verarbeitet habe. Lobend erwähnt Tschurtschenthaler Sexten, wo man im Museum einen guten Einblick gewinne und auf Weltkriegsspuren wandern könne. Auf eine eher kuriose Idee ist man in Alta Badia gekommen. Hier wird Weltkriegskost serviert – wohl ein Versuch, „Geschichte kulinarisch aufzubereiten“.
Und nicht der einzige eher skurrile Ansatz zur Aufarbeitung des 1. Weltkriegs. Aktionen wie „Weltkriegsschnitzel“, Handgranaten-Attrappen oder Hobby-Panzerfahrten sieht Peter Fritz vom Ausstellungszentrum Schloss Schallaburg kritisch. Ihm ist es wichtig, einen Rahmen für eine Erinnerungskultur zu schaffen – wie es in der Ausstellung auf Schloss Schallaburg geschehen sei. Hier würde eine „Gesamterzählung“ realisiert, die auch die lange unterschätzte globale Perspektive des 1. Weltkriegs berücksichtige. Auch mit dem Mythos, dass die Schüsse von Sarajewo am 28. Juni 1914 den Krieg herbeigeführt hätten, räume die Ausstellung auf und stelle sich dem Thema „Wie kommt es vom Attentat zum Krieg?“. Fritz ist überzeugt davon, dass es „diese eine große Geschichte nicht gibt“, vielmehr hätten viele kleine zur Eskalation beigetragen. Und in der Gesellschaft habe es Jubel und Elend bis zum bitteren Ende gegeben. Die Ausstellung versuche die Frage zu beantworten, wie eine Gesellschaft in den Krieg kippe und zeige, dass eine solche Eskalation zu jeder Zeit möglich sei. Die Besucher würden mit Einzelschicksalen konfrontiert und könnten im Konfliktlabor etwas über das eigene Konfliktverhalten erfahren. Und die meisten seien überrascht über die globalen Bezüge, die bis hin nach Australien und Neuseeland reichten, und betroffen über die menschlichen Schicksale.
Dass der 1. Weltkrieg bis heute fortwirkt, ist für Ulrich Rosenbaum, Gebietsleiter für Frankreich bei Studiosus, keine Frage. So seien weder die deutsch-französische Freundschaft noch die EU ohne diese Urkatastrophe denkbar. Selbst das Frauenwahlrecht sei in der Folge dieses Krieges 1919 durchgesetzt worden. Dennoch ist „Gedenktourismus“ für ihn kein Thema für eine eigenständige Studienreise. Auch wegen der Gefahren, die er in einer solchen Art von Tourismus erkennt: Gedenkstätten, Soldatenfriedhöfe und Befestigungen führten zu einer „Reduktion auf das Militärische“ und zu einer Heroisierung der Soldaten. Schlimm findet er auch die Banalisierung der Ereignisse bei der Vermarktung des Gedenkjahrs, die er in der Routenführung der Tour de France erkennt, die aus Gründen der Tourismuswerbung mitten durch die Schlachtfelder führt. „Das muss ich nicht haben.“
Grundsätzlich verweist der Studiosus-Mann Reisen auf den Spuren des 1. Weltkriegs in die Kategorie „Geschichtstourismus“, weil die persönliche Biographie für die Reisenden kaum noch eine Rolle spiele. Dr. Julia Walleczek-Fritz denkt eher an den Überbegriff „Kulturtourismus“, und sie plädiert dafür, auch Wanderern und Freizeitsportlern in den Bergen gut aufbereitete Informationen an die Hand zu geben, die Bewusstsein schaffen könnten für den historischen Boden, auf dem sie sich bewegten. Immerhin seien die Berge gerade durch den 1. Weltkrieg massiv verändert worden, und die Konfrontation mit dieser kriegsversehrten Natur habe eine andere Dimension als „trockene Lektüre“.
Peter Fritz warnt dagegen vor einer Heroisierung der Alpenfront, wie es Luis Trenker in seinen Filmen gemacht habe. Die Ausstellung in Schloss Schallaburg versuche im Gegensatz dazu, das Kriegsgeschehen „auf die menschliche Dimension herunter zu brechen“, auch indem sie zwischen den Schlachtfeldern ein Schützengraben-WC zeige. Auch so etwas rege die Menschen zum Nachdenken an, schaffe Bezüge zum Alltag. „In Zeiten von google und wikipedia“ könne man sich nicht mit Vitrinen begnügen, „die Exponate müssen etwas erzählen“.
Dass die Schallaburg ein „urlaubsnahes Freizeiterlebnis“ verspreche, passe zwar nicht so recht zu dieser Gedenkausstellung, räumt Fritz ein, aber „die Besucher müssen diese Konfrontation aushalten“. Der Meinung ist auch Ulrich Rosenbaum, der davor warnt, die Urlauber zu unterschätzen. Die Auseinandersetzung mit dem 1. Weltkrieg und seinen Folgen, die in diesem Jahr im großen Rahmen publizistisch begleitet werde, wecke ein neues Bewusstsein für die Geschichte und für die gesellschaftlichen Umwälzungen infolge des 1. Weltkriegs. Zumindest in Europa sehe man den Krieg heute nicht mehr als Möglichkeit einer politischen Auseinandersetzung. Auch deshalb, folgert Peter Fritz, sei Gedenken wichtig. Noch besser aber sei die Zusammenarbeit zwischen ehemaligen Feinden wie beim Wegebau in den Karnischen Alpen oder in den Dolomiten. Und an der Front über die Felsgrate würde die Unmenschlichkeit dieses Weltkriegs überdeutlich.
Am Ende waren sich alle einig, dass „Gedenktourismus“ eine Wanderung auf schmalem Grat ist, die auf der einen Seite in Heroisierung der militärischen Leistungen und Nationalismus abzugleiten droht und auf der anderen Seite in Banalisierung und Kommerzialisierung. Bis dahin, dass Flandern als Partnerregion auf dem World Travel Market Plastiktüten mit dem Aufdruck Flandern Fields als Werbematerial verteilte.

Infos: Die Ausstellung „Jubel & Elend – Leben mit dem Großen Krieg 1914 – 1918“ auf Schloss Schallaburg ist noch bis 9. November zu sehen. Der Eintritt kostet 10 Euro. Kontakt: Schallaburg Betriebsgesellschaft, A-3382 Schallaburg 1, Tel. 0043/2754 6317-0, E-Mail: office@schallaburg.at, www.schallaburg.at Südtirol Marketing, Pfarrplatz 11, I-39100 Bozen, Tel. 0039/0471/999 888, E-Mail: smg.communication@suedtirol.info, http://www.smg.bz.it/ In Bozen zeigt derzeit das Archäologiemuseum in der Sonderausstellung Frozen Stories Gletscherfunde aus den Alpen, darunter auch Hinterlassenschaften aus dem 1. Weltkrieg in den Bergen: http://www.iceman.it/de/FROZEN_STORIES_Sonderausstellung Die Ausstellung „Netze des Krieges. Kommunikation 14/18“ im Museum für Kommunikation in Berlin ist noch bis 17. August zu sehen: http://www.mfk-berlin.de/netze-des-krieges/

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