„Alle wissen, dass es eines Tages passieren wird. Es ist natürlich, den Tod unserer Eltern zu erleben. Aber wenn es so weit ist, ist es doch ganz anders als das, worauf man sich vorbereitet hat. Es ist eine leere Trauer, man fühlt sich wie ein verlassenes Kind und ist doch erwachsen. Es ist die Wehmut über eine verlorene Zeit, die Reue darüber, was gesagt und nicht gesagt wurde und die Dankbarkeit über alles, was schön war.“
Es ist ein langer Abschied von der Mutter, die zunehmend in die Zeitvergessenheit von Alzheimer abgleitet. Sie, die immer so auf Stil geachtet, die ihren Alltag akkurat geplant hat, dämmert in Trainingshosen dem Ende entgegen. Wenn die Tochter sie ihm Heim besucht, erkennt sie sie selten, den Ex-Mann noch seltener. Solche Pflicht-Besuche können eine Plage sein, zu schwer lasten die Erinnerungen an bessere Zeiten, zu bitter ist das Verschwinden des Vertrauten, die allmähliche Auflösung der Persönlichkeit. Doch wenn ein Rest des früheren Ichs aufblitzt, kann das Erlebnis für einen Moment glücklich machen.
Auch solche Momente beschreibt Cecilie Enger in ihrem beeindruckenden Buch „Die Geschenke meiner Mutter“, das auch eine Familiengeschichte erzählt – anhand der Geschenkelisten, die sie beim Räumen des Elternhauses gefunden hat. Ihre penible Mutter hat sorgfältig alle Weihnachtsgeschenke für Familie und Freunde notiert, und die Tochter spürt in Gedanken den Weihnachtsfesten nach, dem Duft der Kerzen, dem Rascheln des Geschenkpapiers. Ging es anfangs noch sehr bescheiden zu bei den Weihnachtsgeschenken – zwei Silberlöffel für die Eltern, ein kleiner Regenschirm für die Tochter – wurden sie mit den Jahren größer wie die Sprachlosigkeit zwischen den Eltern.
Dass sie politisch auf zwei entgegengesetzten Seiten standen, bedeutete schließlich auch das schmerzhafte Ende der Ehe. Wie der Vater verschwinden auch andere Menschen von der Geschenkeliste. Die selbstbewusste malende Großmutter, die depressive Großtante, Freunde der Eltern. Längst vergessen. Die Tochter erinnert sich mit Wehmut an die mutige Kämpferin, die ihre Mutter einmal war und sie denkt mit Reue zurück an sinnlose Auseinandersetzungen, an typische Mutter-Tochter-Konflikte. Sie weiß, dass es zu spät ist für vertrauliche Gespräche, dass die Realität der Hoffnung keine Chance lässt. Ein glückliches Ende könnte dieser Geschichte nur die Fantasie bescheren.
Cecilie Engers Roman ist eine schmerzhafte Konfrontation mit der Endlichkeit des Lebens und der Liebe, poetisch, ehrlich und berührend.
Info: Cecilie Enger, Die Geschenke meiner Mutter, DVA, 266 S., 18,99 Euro
13Feb. 2015