Andreas Altmann und das Reisen

Andreas Altmann liebt das Reisen und er lebt davon.  Der gebürtige Altöttinger und Wahl-Pariser ist Reisebuch-Autor und war lange Zeit auch Reisejournalist. Was macht so jemand, wenn eine Pandemie dem Reisen Grenzen setzt, und wie hat sich Reisen in den letzten Jahren verändert? Darüber habe ich mit Andreas Altmann ein Interview geführt.

Corona hat die Reiselust zwei Jahre lang stark ausgebremst. Sind Sie in der Zeit überhaupt gereist? Wenn ja, wie und wohin?
Andreas Altmann: Neben Corona hat ein schwerer Unfall mich ausgebremst. Da viele Betten in den Krankenhäusern für eventuelle Covid-Kranke freigehalten wurden, musste ich zwei (!) Wochen lang betteln gehen, um operiert zu werden. Nachdem man feststellte, dass ich ein verkrüppeltes Bein behalte, wenn nicht umgehend gehandelt wird, wurde ich in den Operationssaal geschoben. Und sobald ich mit Orthese, zwei Krücken und einer Schatulle voller Diclofenac- und Tilidin-Tabletten wieder humpeln konnte, bin ich gereist, ein bisschen in Europa. Im Auto, mit dem Zug. Und zwischendurch schloss ich zwei Bücher ab. Denn ich habe mir längst geschworen, dass ich nicht als ambulanter Tränensack meine Lebenszeit verbringen will, sondern als jemand, der Herausforderungen annimmt.

Nicht überraschend versammelt Ihr neues Buch jetzt Reisereportagen aus früheren Zeiten, als Reisen noch ein Abenteuer war und Sie mittendrin …
Andreas Altmann: Das Buch war seit Langem geplant, da besteht kein Zusammenhang mit der Pandemie. Und ich werde, solange ich schnaufe, reisen und schreiben. Das Wort „Abenteuer“ ist mir übrigens zu pompös. Ich bin auch kein Abenteurer. Ich bin ein rüstiger Herr, der versucht, passabel gescheite Bücher zu veröffentlichen.

Immer mitten drin: Andreas Altmann in Indien

Die nächste Seuche ist der Massentourismus

Hat der rüstige Herr  inzwischen nicht auch das Gefühl, dass sich auch beim Reisen so einiges verändert hat?
Andreas Altmann: Gewiss, ganze Landstriche sind heute off limits, in fester Hand von Terroristen, die gern Tonnen von Lösegeld fordern oder gleich Köpfe abschneiden. Die nächste Seuche – nicht lebensgefährlich, nur lebensbedrohlich für Mutter Erde – ist der Massentourismus. Unser Anspruchsdenken hat weltrekordverdächtige Ausmaße erreicht. Deshalb müssen wir – mit dem Schlachtruf „Wachstum“ der radikal Unverbesserlichen – die Natur totschlagen und ein „Ferienparadies“ neben dem anderen ins Paradies klotzen.

Ich meine nicht nur die politischen Krisen, die Bürgerkriege und Hungersnöte weltweit. Ich denke auch an die sogenannten Influencer, die ja oft eher als Markenbotschafter unterwegs sind als Entdecker. Eine neue Konkurrenz für Reiseautoren?
Andreas Altmann: Ich suche auf YouTube keine Reiseempfehlungen, lese keine Bewertungen auf Tripadvisor. Hartnäckig bin ich davon überzeugt, dass ich für mich entscheiden muss, was ich will und was nicht. Aber ja, für mediokre Schreiber ist selbst die Bildzeitung ein Konkurrent.

Auch die Selbstverwirklicher und Sinnsucherinnen sorgen dafür, dass es kaum mehr weiße Flecken auf der Weltkarte gibt. Bis in die hintersten Winkel scheint die Welt bereist – zu Fuß, mit Rad, mit Segelboot, mit Tuk-Tuk, ja sogar nackt. Wo findet man da noch echte Abenteuer?
Andreas Altmann: Ach, die weißen Flecken haben wir schon länger nicht mehr. Und wenn sie einer findet, dann sollte er Stillschweigen bewahren. Sonst sind sie morgen schon betongrau.

Kein Weg zu weit: Andreas Altmann liebt die Herausforderung.

Viele Länder haben sich auf den Massentourismus eingestellt, sind auf die Devisen angewiesen und riskieren dabei den Verlust ihrer Authentizität. „Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet“, hat Hans Magnus Enzensberger schon Ende der 1950er Jahre festgestellt. Hat er Recht?
Andreas Altmann: Es wäre unendlich beruhigend, wenn nur Touristen zerstören würden. Nein, alle, sogar die Stubenhocker, helfen mit beim Abwracken unserer Lebenswelt.

Und dann kommt der Klimawandel hinzu. Heute fliegt man eher mit schlechtem Gewissen, weil man sich um den ökologischen Fußabdruck sorgt. Macht da das Reisen, wie Sie es gewohnt sind, überhaupt noch Spaß?  
Andreas Altmann: „Spaß“ interessiert mich nicht, lieber Innigkeit, Aufregung, das ungemein sinnliche Vergnügen, etwas Neues zu erfahren. Okay, schlechtes Gewissen, doch ich kann nicht von früh bis spät mit der Büßerkutte unterwegs sein.

Die Sprache als Minenfeld

Sie gelten als unerschrockener Reporter, der sich selbst nicht schont – andere aber auch nicht. Das wird in dieser hochsensibilisierten Gesellschaft immer schwieriger.
Andreas Altmann: Wie wahr. Sprache als Minenfeld. Jedes Wort ein Speer in die Brust der Zartlinge. Hinter jedem Komma lauert Ungemach, mitten in jedem Absatz steht ein beleidigtes Würstchen, und prompt am Ende jedes Textes bricht ein Shitstorm los: Millionen Würstchen proben den Aufstand, träumen vom Terror der moralinsauren Rechthaberei, ach, sind „betroffen“, nein, „getroffen“, fühlen sich „gedemütigt“, ja „geschmäht“, ja, aufs Scheußlichste „verunglimpft“. Es soll mich nicht kümmern, mich fasziniert die Wirklichkeit, und die findet nicht in „safe spaces“ statt, sondern draußen, da, wo es laut und schroff zugeht.

Keine Angst vor der Wirklichkeit: Andreas Altmann mag es rau

Da gerät man dann aber leicht in Verdacht, Rassist zu sein, wenn man Menschen auf nationale Besonderheiten reduziert. Oder ein Womanizer, wenn man Frauen als Objekt der Begierde beschreibt. Wie gehen Sie damit um?
Andreas Altmann: Menschen auf nationale Besonderheiten reduzieren? Solche Reportagen schreibe ich nicht. Eher Zeilen, in denen ich nicht dümmlich und von vorn bis hinten „geil und super“ trompete, vielmehr auch, wenn möglich, geistreich, Kritik übe. Ich bin weder für die himmelblaue Tourismusbranche noch für die rastlosen Empörer unterwegs, sondern für Leserinnen und Leser, die wissen wollen.
Und Frauen als Objekte der Begierde beschreiben? Ich kenne viele Frauen, die darunter leiden, kein Objekt der Begierde mehr zu sein. Männer habe ich ebenfalls über den Niedergang ihrer Attraktivität klagen hören. Das ist der ungute Lauf der Dinge. So ist nur zu hoffen, dass Frauen und Männer – beide! – sich lange als Objekt ihrer Begierde betrachten, andernfalls sehe ich schwarz für die Zukunft erotischer Unternehmungen. Zudem, die Diskussion über physischen Glanz und „innere Werte“ trieft vor Scheinheiligkeit.

Wie meinen Sie das? Immerhin wird diese Diskussion heute auch in den Feuilletons geführt.
Andreas Altmann: Es gibt Frauen, die sind sagenhaft sexy. Und sonst nichts. Und dann gibt es Frauen, die sind sexy und klug. Und dann haben wir noch Frauen, die sind sexy und klug und verfügen über eine beneidenswerte Herzensbildung. Wobei klug und herzenswarm sein vollkommen reicht, um zum Weltfrieden beizutragen. Bei uns Männern geht es ähnlich zu, nur so schön wie die andere Hälfte der Menschheit sind wir nicht. Und überhaupt: Wo kommen wir hin, wenn Frau und Mann sich begehrliche Blicke zuwerfen und dabei gleichzeitig von moralisch Hochgerüsteten – Alleinstellungsmerkmal: erigierter Zeigefinger – umzingelt werden? Wie heißt es so trefflich? „Könnte man aus Heuchelei Energie gewinnen, dann wäre das fossile Zeitalter zu Ende.“ ps: Dass so manche Männer Nachhilfeunterricht bräuchten, was den Umgang mit Frauen betrifft, auch das hat sich herumgesprochen.

Gut so! Und wenn Sie auf Ihre lange Reise-Erfahrung zurückblicken, was würden Sie heute anders machen?
Andreas Altmann: Noch neugieriger, noch penetranter sein.

Die Zukunft im Blick: Andreas Altmann hofft auf Begegnungen

Angesichts all der Probleme, vor der unsere Welt heute steht, was sind Ihre Pläne? Gibt es noch Sehnsuchtsorte für Sie?
Andreas Altmann: Bei einer solchen Frage verstecke ich mich hinter meinem stadtbekannten Kollegen, dem Herrn Goethe. Der meinte, man solle den Mund halten, wenn es um ungelegte Eier geht. Statt reden lieber tun. Und die Sehnsuchtsorte? Aber ja: Überall dort, wo mir Frauen und Männer begegnen, die mein Leben reicher machen. Und ich, hopefully, das ihre.
Info:  Alle Fotos wurden von Andreas Altmann zur Verfügung gestellt.  Mehr zu dem Autor unter www.andreas-altmann.com 

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