Amerikanische Lebenslügen: Richard Yates‘ „Zeiten des Aufruhrs“

Zeiten des Aufruhrs.
Autor: Richard Yates, Hans Wolf
Verlag: Dtv
Erschienen: Oktober 2004

"Somit war der Weg frei für die ruhige, beherrschte, todernste Debatte, die sie nun einen Kalendertag nach dem anderen führten, eine Debatte, die beider Nerven in leiser Anspannung ließ, was durchaus nicht unangenehm war. Es war fast wie in der Zeit ihrer jungen Liebe.”
April und Frank Wheeler sind ein Mittelstandsehepaar wie aus einem Fünfziger-Jahre-Bilderbuch. Sie haben es geschafft, haben zwei reizende Kinder, ein eigenes Haus in der Vorstadt, nette Freunde, und Frank steht vor einem Karrieresprung. Und doch sind die beiden die Karikatur des amerikanischen Traums, denn in ihrer Selbstüberhöhung als unangepasste Bohemiens inmitten einer kleinbürgerlichen, spießigen Umgebung merken sie nicht, dass sie genau das Leben führen, das sie so abgrundtief verachten. Ein Leben der Lügen und kleinen Seitensprünge, der Selbsttäuschung und -Zerstörung.
Richard Yates‘ hellsichtige Demontage des amerikanischen Traums scheint heute noch so frisch wie vor über 40 Jahren. Sein erbarmungslos präzises Psychogramm einer Ehe, die von Anfang an den Keim des Scheiterns in sich trägt, nimmt Updikes Vorstadthölle mit ihrer Banalität und tödlichen Langeweile vorweg.
Der selbst ernannte, pseudointellektuelle Rebell Frank entpuppt sich als Versager, der weder seine Frau noch seine Kinder und schon gar nicht die Geliebte glücklich machen kann. Und die ebenso launische wie ehrgeizige April kann sich ihr Hausfrauendasein nicht verzeihen. Mit jeder Auseinandersetzung entfernen sich die beiden weiter voneinander, wächst die Bedrohung, weil sie sich, wie Eva Menasse im lesenswerten Nachwort schreibt, so „unheilvoll ergänzen”.
Und Yates, der selbst an einer Ehe scheiterte, zerpflückt minutiös jede Worthülse, seziert nicht vorhandene Gefühle und verlogene Normen. Ein Buch wie ein Spiegel, nicht einmal angestaubt, sondern heute noch so glasklar wie in den 50er Jahren und in seiner Weitsicht ­ Frank bereitet schon den Siegeszug des PC vor ­ sicher einer der interessantesten Romane des 20. Jahrhunderts.
Ein Glück, dass der lang verkannte Autor 14 Jahre nach seinem Tod auch in Deutschland wieder entdeckt werden kann. Übersetzer Hans Wolf hat Yates‘ klare, lakonische Sprache, seinen ätzenden Witz meisterhaft ins Deutsche übertragen. Schade nur, dass der deutsche Titel „Zeiten des Aufruhrs” nichts von dem karikierenden „Revolutionary Road” (auch die Vorort-Adresse der Wheelers) des Originals hat.
Im Nachwort des manesse-Bands kann man viel über den genialen Autor Richard Yates und sein tragisches Scheitern erfahren. Noch mehr Desillusionierung a la Yates bieten die Short Stories, zu deutsch „Elf Arten der Einsamkeit”.

Info: Richard Yates, Zeiten des Aufruhrs, Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Aus dem Amerikanischen von Hans Wolf und mit einem Nachwort von Eva Menasse, 570 S., 22,90 €, Richard Yates, Elf Arten der Einsamkeit, DVA, 19,90 €.

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