Seine Statue steht nicht mehr und doch ist Enver Hoxha in Tirana allgegenwärtig. Der Diktator, der Albanien zum ersten atheistischen Staat der Welt machte und sein Land mit Bunkern überzog, der foltern und töten ließ, spukt noch immer in den Köpfen seiner ehemaligen Untertanen.
Vor 33 Jahren ist Hoxha gestorben – an Herzversagen und nicht durch ein Attentat, wie der paranoide Tyrann immer befürchtet hat. Fünf Jahre später ging auch sein Regime unter. Die Bilanz: Zehntausend Tote und noch mehr schwer Traumatisierte, die das Steinzeit-Regime nur knapp überlebt haben. Wie kann das Land, mittlerweile offizieller Beitrittskandidat der EU, mit dieser Geschichte umgehen?
Vom Virus der Rebellion
Artur Karami, der in Düsseldorf studiert hat und in Tirana albanischen Pflegekräften Deutsch beibringt, ist skeptisch. Solange die Regierung nicht alle Akten des gefürchteten Geheimdiensts Sigurimi öffne, werde den Opfern keine Gerechtigkeit widerfahren. Artur war zwölf, als das Regime stürzte. Er weiß, dass er diesen Tag nie vergessen wird, „solange ich lebe“. Im Stadion der Stadt wurde Fußball gespielt, Parolen gegen die Partei wurden laut, und Spezialeinheiten wollten mit scharfer Munition den Aufstand unterdrücken. Ein 21-Jähriger wurde erschossen. Bis heute hat Artur das Bild vor Augen, wie der Tote von vier Männern nach hause getragen wurde. Doch der Virus der Rebellion hatte da auch schon andere Städte erfasst.
Die Hölle im Bunker
Im Nationalhistorischen Museum erinnern Bilder, Zeitungsausschnitte und eine Zelle an die Hoxha-Zeit.
Doch noch viel beeindruckender ist die Ausstellung im Bunker, Bunk Art2. Da, wo sich die Regierung mit ihren Familien im Fall eines Angriffs in Sicherheit bringen wollte, kann man heute nachlesen, was sie verbrochen hat. Teilweise unmenschliche Details von Folterungen, die jungen Gesichter der Opfer, die Liste der Vergehen, auf die Todesstrafe stand, die Karte mit den Internierungslagern machen fassungslos. Wären da nicht Anekdoten wie die von der Wanze im Besen einer Putzfrau und der Film über das Ende der Diktatur und den Sturz der Hoxha-Statue, so ein Besuch wäre kaum zu ertragen.
Dass sich vor der Paranoia des Diktators nicht nur Geistliche und Oppositionelle fürchten mussten, beschreibt Albaniens Literaturnobelpreisträger Ismail Kadare in seinem Roman „Der Nachfolger“, in dem er die Eliminierung des langjährigen Weggefährten und Stellvertreter Hoxhas thematisiert. Er war nicht der einzige, dem das Amt das Leben kostete: Von den 31 Mitgliedern des Zentralkomitees wurden acht ermordet.
Die Kinder der alten Eliten
Davon wissen die Jugendlichen, die sich auf dem gigantischen Skanderbeg Platz oder auf dem Mutter Teresa-Platz treffen, um zu reden, zu trinken und den Abend zu genießen, kaum etwas. In der Schule wird die Hoxha-Zeit nur kurz gestreift, von den Opfern ist kaum die Rede. Und an den Schalthebeln der Macht sitzen auch heute wieder die alten Eliten, vertreten durch ihre Kinder. Sie haben Geld und Einfluss. Und natürlich liegt ihnen wenig an einer Aufarbeitung der Vergangenheit, in die ihre Väter verwickelt waren. „Sollen sich die Täter, die an der Macht sind, selber ins Gefängnis stecken?“ fragte eine Dozentin sarkastisch in einem Interview.
Hoffnung auf die EU
Dario ist gerade mal 24, ihn interessiert die Gegenwart. Der blonde Student mit den blauen Augen geht gerne feiern. Albanien, sagt er, sei „work in progress“, viel sei schon getan aber noch mehr sei zu tun. Das Land müsse den Anschluss an Europa finden. Da liege die Zukunft. Doch heute an diesem autofreien Sonntag wird erst einmal gefeiert – auch mit Folklore.
Bauen an der Moderne
Zumindest nach außen hin hat die Hauptstadt mit der Geschichte gebrochen, hat die Statuen von Lenin und Stalin hinter dem Theater entsorgt, hat neue Kirchen und Moscheen errichten und alte restaurieren lassen.
Das unsägliche Monument, das Enver Hoxhas Ruhm in die Nachwelt tragen sollte, die von seiner Tochter konzipierte Pyramide, von Kindern als Rutschbahn und von Jugendlichem zum Klettern genutzt, soll als Jugendzentrum überdauern. Auch sonst hat sich die Stadt herausgeputzt. Der ehemalige Bürgermeister und heutige Ministerpräsident Edi Rama ließ die grauen Fassaden bunt anstreichen, der Skanderbeg-Platz wurde autofrei, ein Boulevard entstand. Und noch immer wird viel gebaut – und diskutiert. Das Nationaltheater aus den Anfangszeiten des letzten Jahrhunderts ist gerade besetzt. Künstler demonstrieren gegen den geplanten Abriss.
Manchmal wirkt es so, als wolle Tirana sich radikal von seiner Geschichte lösen, auch durch neue Architektur. Edi Rama sah das als Bürgermeister so: „Heute bildet der Platz und der vom ihm ausgehende Boulevard das Herz der Stadt. Umrahmt von den Gebäuden aus der italienisch-faschistischen Periode und dem Kulturpalast, der das Symbol unserer Liebesgeschichte mit der Sowjetunion ist. Unweit davon befindet sich das Hotel Tirana, das Symbol unserer politischen Liebesgeschichte mit China, dann das Nationalmuseum, ein Symbol unseres Narzissmus und unserer Selbstisolation. Und dann sind da noch die leeren Flächen, die von den gestürzten Denkmälern zurückgelassen wurden und uns an die Leere erinnern, in der wir nach wie vor in einem Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Zukunft gefangen sind. In diese Leere versuchen wir nun den Platz der Zukunft zu bauen.“
Die Tiraner haben den Platz angenommen, zum Flanieren, Feiern und Spielen. Und sie haben das früher hermetisch abgeriegelte Blloku Viertel zur Partymeile gemacht. Hier, wo auch die protzige Villa Enver Hoxhas zu finden ist, reihen sich hippe Kneipen und coole Läden aneinander.
Partymeile im Blokku Viertel
In der kurzen Pjeter Bodani Straße drängen sich die teuren Edelkarossen. Während aus den Boxen „I can’t get no satisfaction“ von den Rolling Stones wummert, findet auf der Straße ein Schaufahren der Luxuslimousinen, in denen meist junge Männer sitzen, und ein Schaulaufen der hübschen Mädchen statt. Die Röcke sind kurz, die Löcher in den Jeans groß und die Hosen sitzen knapp. Hier wird gefeiert als gäbe es kein Morgen – und kein Gestern.
Doch unweit der Partymeile am Bücherstand am Kanal, in den der Fluss Lana gezwängt ist, liegen die Bücher Enver Hoxhas zum Verkauf.
Kurz informiert
Anreisen. Der Mutter-Teresa-Flughafen von Tirana wird von verschiedenen deutschen Flughäfen und Fluglinien direkt oder über den Heimatflughafen angeflogen. Auch ab Memmingen starten Direktflüge in die albanische Hauptstadt. Von da ist es nicht weit in die Innenstadt. Flüge ab 33 Euro.
Übernachten. Inzwischen gibt es mehrere teure Hotels, darunter das auffallende Plaza und das Rogner Hotel. Das älteste Luxushotel ist das Tirana International, DZ mit Frühstück ab 80 Euro: http://www.tiranainternationalhotel.com
Essen & Trinken. Die Preise sind mit den unseren kaum vergleichbar, aber die Albaner verdienen auch wenig. Im Blokku Viertel gibt es eine große Auswahl an Kneipen. Jung und trendy ist das Coko in der Pjeter Bogdani: http://coko.al/ Traditionelle Küche verspricht das Era Blokku in der Ismail Qemali: https://era.al/sq/
Auch rund um den großen Basar gibt es jede Menge Restaurants und Einkehrmöglichkeiten, auch eine Hausbrauerei.
Bezahlen. Die albanische Währung heißt Lek. Ein Euro entspricht 1,21 Lek (Stand Ende September 2019)
Anschauen. Die Eintrittsgelder sind ungewohnt niedrig. Fürs Nationalhistorische Museum mit großer archäologischer Sammlung und Rückblick auf die Hoxha-Zeit zahlt man 100 Lek. Der Eintritt zum Bunker 200 Lek.
Veranstalter. Albanien wird als Reiseland immer beliebter. Viele Veranstalter wie Studiosus oder Dertour bieten Rundreisen durchs Land. Eine Städtereise nach Tirana gibt es u.a. bei expedia.de. Hotels in der albanischen Hauptstadt lassen sich ebenfalls über Reiseveranstalter buchen z.B. über FTI.
Die Reise wurde von Studiosus unterstützt.