Die Sonne scheint von einem meerblauen Himmel, im Grün der Wälder und Wiesen flammt der Ginster, Schafe und Rinder grasen auf den Wiesen, Reben klettern die steilen Weinberge hinauf. Die schmale Straße schlängelt sich mal bergauf, dann wieder bergab. Hin und wieder ein Dorf. Häuser wie verloren in der Landschaft. Hier sieht Galicien aus, als wäre es aus der Zeit gefallen. Oder ist diese autonome, von Pilgerwegen durchzogene Provinz das Paradies, wie unser Guide Tommi Alvarellos Laine – grau melierte Haare, Bart – schwärmt?
Das Ziel der Jakobspilger
Immerhin ist Santiago de Compostela, das Ziel des Jakobswegs, neben Rom und Jerusalem eine der drei heiligen Städte. Schon im neunten Jahrhundert pilgerten die Gläubigen in Scharen zum Grab des heiligen Jakobus – und sie nahmen dabei einiges auf sich. Strenge Kontrollen am Ziel etwa. Wer krank war, musste draußen bleiben – 40 Tage in Quarantäne. Wer zugelassen wurde, musste sich waschen und die Pilgerklamotten verbrennen. Dafür gab’s neue Kleider und später auch die Jakobsmuschel als Zeichen der absolvierten Wallfahrt.
Heute kann man der monumentalen Kathedrale aufs Dach steigen und hinunterschauen auf die sich ausdehnende Stadt bis hinüber zur modernen Ciudad de la Cultura de Galizia von Stararchitekt Peter Eisenmann. Und wenn im Gotteshaus die Messe zelebriert wird, kann man zumindest von oben hineinschauen in den Altarraum und auch auf das prunkvolle Grab des Jakobus.
Die Hüterin der Schlüssel
Fromm waren die Menschen in Galicien. Einsiedler lebten hier in Höhlen und bauten später Kirchen und Klöster. Die Ribeira Sacra, die heiligen Ufer, rühmen sich der größten Klosterdichte in ganz Europa und erzählen von alten Zeiten, als es noch keinen Priestermangel gab. Heute sind viele der kleinen romanischen Kirchen verschlossen, und man braucht eine Hüterin der Schlüssel wie Beatrice Pareira.
Die Frau mit den eisengrauen Haaren und dem herzlichen Lachen ist voller Bewunderung für die mittelalterlichen Sakralbauten in ihrer Obhut. Sie kennt jede einzelne der Steinskulpturen auf den Portalen. Sie kann auch die alten Fresken lesen. Etwa die in der Kirche Santa Maria de Soteventos, auf denen die verlorenen Seelen beim Jüngsten Gericht im weit aufgerissenen Rachen eines Drachen landen.
Die Legende der Santa Compaña
Glaubt man den galizischen Legenden suchen die verlorenen Seelen als Santa Compaña die Menschen bis heute heim. Deshalb sollte man des Nachts besser nicht allein im Wald unterwegs sein, rät Tommi und erzählt, dass die verlorenen Seelen bei Dunkelheit in Gruppen umher irren. Wer einer solchen Gruppe begegne, heißt es, sollte mit einem Ast einen Kreis um sich ziehen und auf keinen Fall einer der Seelen in die Augen schauen. Denn sonst würde er Teil der Compaña, und die arme Seele käme in den Himmel.
Tommi, der promovierte Germanist, wird wohl kaum an solche Schauermärchen glauben. Aber für viele Menschen in den Dörfern sind die Legenden bis heute lebendig. Auch für die Sängerin Monica de Nut – kurze schwarze Haare, dunkle Augen. Die 48-jährige studierte Sopranistin will die traditionelle Musik Galiziens wieder beleben. Ohne Zaudern und mit viel Erfolg mischt sie Jazz mit altem Liedgut und spielt dazu auf dem Harmonium. Zwischendurch stößt sie in ein Horn – ein dumpfer Ton wie von einem Didgeridoo. Ihre Lieder in einem sehr eigenen Stil sollen eine Verbindung mit dem Land herstellen, sagt die Sängerin, die sich auch in ihrer Kleidung an der Tradition orientiert.
Die schwarze Keramik von Gundivós
Auch Elias Gonzales hängt an der Tradition. Im alten Pfarrhaus von Gundivós, das er 2003 gekauft hatte, hat er seine Töpferwerkstatt eingerichtet. 25 Jahre seines Lebens, sagt der jugendlich wirkende Mann mit der dunklen Haartolle, widme er sich schon der Töpferei nach traditionellem Vorbild. Schwarze Keramik ist seine Leidenschaft. Die Unikate aus Ton entstehen auf einer niedrigen Drehbank, zum Brennen verwendet Elias trockenes Holz und Heidekraut, zum Glasieren pulverisiertes Pinienharz. Alles reine Natur und alles aus der näheren Umgebung. Elias ist der einzige und bisher wohl auch der letzte Töpfer, der nach dieser Methode arbeitet. Aber er ist fest überzeugt, dass er einige Jugendliche aus der Umgebung mit seiner Leidenschaft anstecken kann. Sie sollen dabei helfen, diese uralte Töpfertechnik in die Zukunft zu tragen.
Modesto Trigo, der Maler, der vor kurzem in seinen Heimatort zurückgekehrt ist, ist fasziniert von Elias und seiner schwarzen Keramik. Seine Pinsel bewahrt er in einem schwarzen Krug auf, und im Atelier hängt auch ein Porträt des Töpfers. Heute hat der Künstler – rundes Gesicht, Brille – ein paar Hobbymaler im Haus, die unter seiner Anleitung munter drauflos malen. Trigo ist dabei, sein Elternhaus in ein Museum zu verwandeln. Hier will er nicht nur seine eigenen Gemälde zeigen, sondern auch „Zeugnisse der Vergangenheit“ und Werkzeuge „verlorener Berufe“. Mehr als viele andere scheinen die Galizier an ihrer Heimat und deren Geschichte zu hängen.
Und das, obwohl in früheren Zeiten, als die Not groß war, Tausende ihre Heimat verlassen haben – in Richtung Südamerika. Aber das Heimweh, die morriña, bringe die meisten zurück, sagt Tommi – und sei es nur auf den Friedhof.
Die Nekropole von San Vitor
Es ist ein sonnenbeschienener Weg, der aus dem Dorf mit dem plätschernden Brunnen hinaufführt zur mittelalterlichen Nekropolis von San Vitor. Vögel zwitschern, am Wegrand blüht es himmelblau und sonnengelb. Wer, oben angekommen, auf den großen Felsblock klettert, kann hinunterschauen auf große und kleine längliche Gruben, in denen das Wasser steht. Das Gräberfeld ist umzäunt, damit niemand auf die Idee kommt, hier Probe zu liegen. Leise raschelt der Wind in den Büschen. Es ist fast unheimlich still. Da könnte einem glatt die sagenhafte Santa Compaña in den Sinn kommen. Ins Straucheln jedenfalls sollte man auf dem schmalen Pfad nicht geraten, es geht steil nach unten.
Unheimlich ist auch so manches der verlassenen Klöster wie das ehemalige Zisterzienserkloster Santa Maria de Montederramo. Die Kirche mit der Renaissance-Fassade und dem gigantischen Barockaltar, dem ältesten in ganz Spanien, ist eiskalt. Bei der – obligatorischen – Führung kann man auch das teilweise noch original erhaltene Chorgestühl bewundern. Die Schnitzereien zeigen Szenen aus dem alten und dem neuen Testament. Auf einem der Sitze ist noch der Name des letzten Mönchs zu lesen, der 1812 das Kloster verließ. 30 Jahre beherbergte es im 20. Jahrhundert eine Schule, bis sie mangels Kindern geschlossen wurde. Einer der beiden Kreuzgänge wurde zeitweise als Pferdestall missbraucht. Heute gurren Tauben auf dem Dach, der Boden ist weiß von ihren Exkrementen. Und doch ist die Kirche seit 1951 Unesco Weltkulturerbe. Vielleicht deshalb kam man Anfang des 20. Jahrhunderts in Vigo auf die Idee, die Kirche Stein für Stein ab- und in Vigo wieder aufzubauen.
Das Vorhaben, das ein bisschen an den Umzug der Tempel von Abu Simbel erinnert, wurde aber als zu teuer wieder verworfen. Es gibt erfolgreichere Arten der Wiederbelebung wie das Kloster Santo Estevo de Ribas de Sil.
Die Geschichte dieses imposanten Klosterkomplexes mit einer barocken Fassade reicht bis ins zehnte Jahrhundert zurück. Eines der schönsten Zeugnisse aus alter Zeit ist ein Granitaufsatz in Giebelform, auf dem Christus mit den Aposteln dargestellt ist. Eindruck machen auch die perfekt restaurierten Kreuzgänge, die romanische, gotische und historisierende Elemente aufweisen.
Das Kloster als Parador
Man sieht und staunt. Denn dies ist kein Kloster mehr, sondern ein Parador, ein Hotel im Eigentum des spanischen Staats. Die sorgsam bewahrte historische Substanz harmonisiert mit dem schlichten modernen Design – und die Aussicht über die Kastanienwälder auf den Rio de Sil ist spektakulär.
Natürlich gibt es in diesem Land der Legenden auch hier eine Geschichte, die Tommi gern erzählt: Neun Bischöfe residierten nach einander im Klosterkomplex, jeder von ihnen trug einen eigenen Ring, dem segenbringende Wirkung zugeschrieben wurde. Deshalb kamen im Mittelalter Scharen von Pilgern nach Santo Estevo. Die Bischöfe sind längst verstorben, die Ringe ihrer Macht gingen verloren. Doch vor einiger Zeit wurden bei Restaurierungsarbeiten vier Ringe wieder entdeckt. Die Entdeckung könnte dazu führen, dass Santo Estevo in Zukunft nicht nur Reisende anlockt, sondern auch Gläubige.
Kurz informiert
Anreisen. Lufthansa bietet Direktflüge nach Santiago de Compostela. Wer sich auf den Weg durch die Ribeira Sacra machen will, nimmt am besten einen Mietwagen.
Übernachten. Die Gegend ist auf Tourismus eingestellt. In Santiago de Compostela ist die Auswahl an Hotels groß. Direkt neben der Kathedrale liegt das traditionsreiche Hostal de los Reyes Catolicos, ehemals Pilgerherberge, heute ein nobler (und teurer) Parador, DZ ab 450 Euro: https://paradores.es/es/parador-de-santiago-de-compostela
Schön zentral und ebenfalls nahe der Kathedrale ist das kleine Hotel Casa de la Troya, Rúa de Arcibechería, DZ ab 189 Euro: www.carrishoteles.com/en/carris-casa-de-la-troya-hotel
Mitten in der Ribeira Sacra kann man sich im Parador Santo Estevo de Ribas de Sil in legendäre Zeiten zurückträumen. DZ ab 230 Euro: https://paradores.es/de/parador-de-santo-estevo
Unterwegs. Wer sich auf die Spuren der alten Kirchen und Klöster in der Ribeira Sacra begeben will, findet die Informationen dazu unter https://turismo.ribeirasacra.org
Hinweis: Die Recherche wurde unterstützt vom Spanischen Fremdenverkehrsbüro