„Städtereise oder Bergurlaub? In der Schweiz muss sich niemand für das eine oder das andere entscheiden. Dank des Angebots ‚Mountain Daytrips‘ können Gäste die Berge genießen, ohne auf den Komfort der Stadt zu verzichten. Am Morgen frühstücken mit Blick auf den See, am Mittag auf dem Berggipfel den Blick in die Weite schweifen lassen und am Abend durch die Altstadt schlendern – mit ‚Mountain Daytrips‘ wird in der Schweiz die Stadt zur Talstation.“ So wirbt Schweiz Tourismus um Gäste auch in Corona-Zeiten. Ich war zwar nicht auf einem Tagestrip unterwegs, aber doch zwischen Stadt und Berg: Luzern und Engelberg. Und die Gegensätze, die mich auf dieser Reise erwarteten, waren extrem.
Spätsommer in Luzern
Zuerst Luzern, ein wunderschönes Städtchen wie aus dem Bilderbuch. Das kennt man ja alles schon, sollte man meinen: Die hölzerne Kapellbrücke über die Reuss, den Vierwaldstättersee, eingerahmt von grünen Gipfeln, die Altstadt mit den bunt bemalten Zunfthäusern, die Seepromenade und das Ausrufezeichen moderner Architektur ebenda – Jean Nouvels Meisterstreich KKL, das ambitionierte Kunst und Kulturzentrum.
Aber natürlich kennt man, kenne ich, nicht alles in dieser Stadt. Schließlich gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Und selbst das Alte ist noch nicht bis in den letzten Winkel erforscht. Immerhin bin ich das erste Mal entlang der Museggmauer, der Stadtmauer, unterwegs gewesen und habe vom Zytturm hinunter geschaut aufs Städtli. Vom 2. November bis 30. März machen die Mauer und die Türme übrigens Winterpause. Dann könnte auch hier Schnee liegen.
Wintereinbruch in Engelberg
In Engelberg ist es schon soweit. Dabei ist das Dorf unter dem Titlis gerade mal 40 Minuten Bahnfahrt von Luzern entfernt. Und doch lande ich hier im Winter. Nebelfetzen hängen um die Gipfel wie zerfledderte Vorhänge, die sich nur selten für ein romantisches Bergpanorama öffnen. Die ersten Skifahrer und Snowboarder sind schon auf dem Titlis, jenem Berg, der in Indien bekannter ist als das Matterhorn und dessentwegen in normalen Zeiten Inder zuhauf nach Engelberg pilgern. Heute sind keine Inder da, wir sind allein mit Wintersportlern im Winterwunderland. Der frische Schnee knirscht unter meinen Wanderstiefeln. 35 Minuten haben die Bergbahnen bis hinauf zum Gletscher gebraucht, wo nicht nur die Gletschergrotte zu besichtigen ist, sondern auch die höchste Hängebrücke Europas, der Cliff Walk.
Nichts zu sehen hier außer Weiß, kein Abgrund, kein Gipfel. Marketingleiter Urs Egli lässt sich vom Einheitsweiß die gute Laune nicht verderben und zählt bei einer wärmenden Tasse Kaffee noch ein paar mehr Superlative des Berges auf: Eines der Top 10 Skigebiete der Welt ist der Titlis – mit einer der längsten Talabfahrten. Und die Rotair, die uns nach ganz oben gebracht hat, ist zwar schon wieder ein Nachbau, war aber die weltweit erste drehbare Gondel. In nicht allzu ferner Zukunft soll mit der neuen Bergstation, von den Architekten Herzog und de Meuron als eine Art Bergkristall konzipiert, auch ein umweltfreundliches Architekturwunder den Titlis schmücken.
Seen-Lust in Luzern
Zurück nach Luzern und auf den Vierwaldstättersee, wo sich die Sonne golden auf den blauen Wellen bricht. Am liebsten würde ich hineinspringen in den See. Aber vielleicht ist das Wasser doch schon zu kalt. Und so eine Schifffahrt ist ja auch was Schönes. Vor allem in netter Begleitung. Die liebenswürdige Verkaufsleiterin der Schifffahrtsgesellschaft kann bei einem feinen Essen an Bord auch auf ein paar Superlative verweisen: Auf den Bürgenstock, wo nächstes Jahr das Weltwirtschaftsforum tagen wird, fährt „der größte außenstehende Lift Europas“, auf den Pilates die steilste Zahnradbahn, und die MS Diamond wird das erste Hybridschiff der Schweiz sein.
Die Berge stehen im Licht, der See glitzert, und Sabine Föhn lächelt. Auch wenn in diesem Sommer 50 Prozent weniger Gäste auf dem Vierwaldstättersee unterwegs waren, schaut sie optimistisch in die Zukunft. 2021 wird das ältestes Dampfschiff auf dem Vierwaldstättersee, die „Uri“, 120 Jahre alt. Das Unternehmen hat Tradition. Sogar die Queen fuhr schon auf einem der Schiffe, nachdem man für sie eigens eine Toilette eingebaut hatte, die ihre Majestät dann aber nicht benutzte, wie Sabine verrät.
Berglust in Engelberg
In Engelberg war die Queen nicht, obwohl der Ort, wie der immer charmante Marketingleiter André Wolfensberger erzählt, früher einmal in der Welt bekannter gewesen ist als St. Moritz. Heute ist der Klosterort das nur mehr bei den Indern. Die fehlen jetzt natürlich – und das Hotel Terrace strahlt ganz vergeblich sein hoffnungsvolles Neongrün in die Nacht. Dafür waren im Sommer ganz viele Landsleute aus der französischen und der italienischen Schweiz im schönen Bergtal, erzählt Bergbahnchef Thomas Küng auf dem Brunni, der sich als Familienberg vermarktet mit dem – schon wieder ein Superlative – größten Kinderland der Zentralschweiz. Und als klimafreundlich. Mit den vier Klettersteigen in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden ist die Gegend allerdings auch bei Outdoor-Fans beliebt. „Die Leute wollen auf den Berg“, hat der blonde Bergbahnchef erfahren.
In der Bergstation, wo man in hohen, hellen Räumen bodenständig essen kann, gibt‘s Doppelzimmer und Matratzenlager, die unter Corona-Bedingungen belegt werden. „Das ganze Paket funktioniert auch in Corona Zeiten“, sagt Küng und: „Wir haben von der Pandemie profitiert“.
Museumsfreuden in Luzern
In Luzern kann man das nicht so sehen. Auch im großartigen Museum Rosengart fehlen die Touristen. Angela Rosengart, die Museumsgründerin, ist immer öfter allein mit den Bildern, die ihr Vater und sie gesammelt haben und die sie in dieses Museum eingebracht hat. Die elegante Grande Dame mit dem grauen Haarknoten und den wachen Augen erinnert sich im Gespräch gern an die Zeit, als Picasso sie gezeichnet hat.
Auf dem roten Rollkragenpullover trägt sie heute die Kette, die auch auf einem der Bilder zu sehen ist. „Ich bin reingewachsen in die diese Kunst“, sagt sie und erinnert sich an eine Klee-Ausstellung 1945, von der sie völlig begeistert war. „Da war ich 13.“ Die Begeisterung begleitet sie bis heute. 200 Lieblingsbilder habe sie, antwortet sie auf die Frage nach ihrem Favoriten. Kunst studiert hat sie nie, ihre Universität waren die Museen. Auch selbst malen wollte sie nicht. „Ich bin der Typ, der genießt.“ Eine andere Stadt als Luzern kam für ihr Museum nicht infrage. „Da waren viele, die wollten, aber ich wollte nicht.“ Deshalb war sie überglücklich, als 1996 die Nationalbank ihre Filiale in Luzern schloss. Die Räumlichkeiten waren geradezu ideal. Also ging sie zum Direktor und frage: „Wie kauft man ein Haus ohne Geld?“ Die Kantonalbank gab ihr „Hypotheken bis unters Dach“. Jetzt gehören das Gebäude und die Sammlung der Stiftung, die sie gegründet hat. Für Luzern ein Glücksfall.
Klostergeschichte in Engelberg
Engelberg gäbe es nicht ohne das Kloster, das vor 900 Jahren gegründet wurde. Und natürlich ist es auch „das einzige Kloster in der Schweiz, in dem 900 Jahre lang ununterbrochen Mönche“ lebten. Heute sind es 20 Mönche zwischen 30 und 93 Jahren. Und weil die Benediktiner für ihre Gastfreundschaft berühmt sind, gibt es hier noch 17 Gästezimmer. Vor 152 Jahren war auch Königin Victoria hier – als „Countess of Kent“, berichtet Beat Christen, der die Kommunikation des Klosters verantwortet und die auf nächstes Jahr verschobenen Jubiläumsfeierlichkeiten koordiniert. Für die Gründung des Klosters sollen der Legende nach Engel gesorgt haben – daher der Name Engelberg. Als 1120 die ersten Mönche kamen, gab es im Tal nur ein paar Hütten. Doch die fleißigen – und geschäftstüchtigen – Benediktiner sorgten schnell für eine blühende Wirtschaft, wobei auch der Käsehandel eine Rolle spielte. 1247 hatte Abt Frowein schon eine Schreibschule gegründet. Die Stiftsschule mit Internat besteht bis heute. Auch Schülerinnen machen hier Abitur. Damit die Bauern ihr Geld besser zusammenhielten, eröffneten die Mönche auch eine Bank.
Ausdruck des Reichtums des Klosters ist die Kirche mit der – Achtung Superlativ! – größten Orgel der Schweiz. Auf der kleinen Chororgel nahe des Hauptaltars spielte übrigens Felix Mendelssohn Bartholdy 1731 bei einem Schweiz-Besuch.
Süße Versuchung in Luzern
Schokolade gehört zur Schweiz wie die Berge. Auch in Luzern haben sich einige Chocolatiers niedergelassen. Bei Max Chocolatier darf ich meine eigene Schokolade kreieren – mit dunkler Schokolade, Mandeln und getrockneten Himbeeren. Der Gründer dieser kleinen, feinen Schokoladenmanufaktur Patrick König kommt eigentlich aus der Uhrenbranche. Dabei ist er viel in der Welt herumgekommen und hat sich von kleinen Handwerksbetrieben inspirieren lassen.
Auch bei Max Chocolatier geht es vor allem um Handarbeit – und um ganz besondere Rezepturen. Benannt ist das kleinste und jüngste Schoko-Atelier nach Königs Sohn Max, erzählt Chocolatière Florence. Der Junge mit Trisonomie 21 verkörpere die Marke: „fleißig, ehrgeizig, ehrlich“ – und unwiderstehlich gut. 4000 Pralinen in den wunderbarsten Geschmacksrichtungen produziert Max Chocolatier in der Woche. „Pralinen sind unser Herzstück“, sagt Florence. Wen wundert‘s bei der Geschmacksexplosion jeder einzelnen.
Die Käsemeister von Engelberg
Was Luzern die Schokolade ist Engelberg der Käse. Käsermeister Florentin Spichtig hat seinen Arbeitsplatz in luftiger Höhe auf der Fürenalp. Hinauf bringt mich ein Bähnli wie aus dem Bergbahn-Museum. Von der Bergstation geht‘s dann bergab zur Alpkäserei Surenen, wo der jungenhafte Käser im Sommer in der frisch sanierten Käserei aus den rund 180 000 Litern Milch der Genossenschaftsbauern Alpkäse, den Weichkäse „Mutschli“, Alpbutter, Joghurt und Rahm herstellt. 1986 wurde die Genossenschaft von den vier Älplerfamilien gegründet, später wurden eine Käserei und ein eigenes Wasserkraftwerk gebaut. 2670 Laibe Bergkäse hat Florentin in diesem Sommer produziert, zusammen mit einem Pärchen aus Freiburg, das die 80-Stunden-Woche in der Käserei nicht scheute.
„Es ist schon harte Arbeit hier heroben“, sagt der 35-Jährige und dass er seine Kinder und seine Frau Florentin im Sommer vermisse. Sie kommen nur am Wochenende und in den Ferien auf die Alp. Jetzt muss er sich erst wieder an den Alltag im Tal gewöhnen. Auch in der Schaukäserei des Klosters wird Florentins Käse verkauft. Aber Käsermeister Walter Grob, der sich bei den Swiss Cheese Awards schon einige Auszeichnungen geholt hat, setzt vor allem auf die englische Spezialität Cheddar, zu der er in Kanada inspiriert wurde. Inzwischen gilt der junge Käser aus dem Toggenburg als Cheddar-Pionier in der Schweiz.
Stadt oder Berg?
Wenn ich mir heute überlege, wohin ich wieder reisen würde, dann fällt mir die Wahl schwer. Nächstes Jahr feiert die Rigi-Bahn 150. Geburtstag. Da wäre ich gern dabei. Und in Engelberg wird das 900-Jahre-Jubiläum des Klosters nachgeholt. Grund genug, vielleicht auch die Gastfreundschaft des Klosters in Anspruch zu nehmen. Die Menschen waren überall ausgesprochen freundlich – auch die Schweden in Engelberg. Ja, in dem Klosterdorf hat sich eine kleine schwedische Gemeinde zusammengefunden.
„Engelberg ist das Paradies“, sagt Oscar Wetterblad von der Roastery, der trendigen Kaffeerösterei. Während er sich beim Freeriden austobt, sitzt Sabine von der Schifffahrtsgesellschaft Vierwaldstättersee am liebsten im Seebistro und schaut hinaus aufs Wasser, das mit seinem Blau dem Himmel Konkurrenz macht.
Stadt oder Berg? Am besten beides!
Kurz informiert
Anreisen. Am besten mit der Bahn. Die Verbindungen in der Schweiz sind sehr gut, der Zug nach Engelberg braucht knappe 40 Minuten. Die Bahnhöfe sind mittendrin.
Übernachten. In Luzern ist das Ameron Hotel Flora günstig zum Bahnhof und zur Altstadt gelegen und bietet eine angenehme Atmosphäre und diskreten Service. DZ pro Nacht ab 118 Euro, Garage 26 Franken: https://ameronhotels.com/de/luzern-hotel-flora
In Engelberg verbindet das Hotel „Bellevue Terminus“ den Charme der Belle Époque mit ausgefallenem Design. DZ mit Frühstück ab 111 Euro: bellevue-terminus.ch
Informieren. Schweiz Tourismus, Tel. 00800 100 200 30 (kostenlos), E-Mail: info@myswitzerland.com, www.MySwitzerland.com, www.luzern.com/de/, www.engelberg.ch
Corona. Maskenpflicht gilt aktuell an in allen öffentlichen Räumen also auch in Geschäften, Restaurants und Museen. Auch an Bahnhöfen, Flughäfen und Haltestellen müssen Schweizer künftig Mund und Nase bedecken ebenso in Zügen und auf Schiffen.
Für Fragen rund um das Coronavirus in der Schweiz hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine Telefon-Hotline unter 0041 58-4630000 geschaltet.
Die Reise wurde unterstützt von Schweiz Tourismus, Tourismus Luzern und Engelberg-Titlis Tourismus.