Zwischen den Felsen – Die Aare-Schlucht

Der junge Vater mit dem Kinderwagen stutzt nur kurz und schiebt dann den geländegängigen Buggy entschlossen über die Holzbohlen hinunter zu dem fast ebenen Holzsteg, der sich eng an die hoch aufragenden Felsen schmiegt. Der Weg durch die Aare-Schlucht sieht zwar abenteuerlich aus, ist aber leicht begehbar.

Am Eingang verspricht ein „Tatzelwurm” Kindern Begegnungen mit seiner Verwandtschaft. Und wer genau hinschaut, sieht auch hin und wieder kleine grüne Drachen hoch droben in luftiger Höhe oder zwischen dem dunklen Tann. Harmlose Abkömmlinge des Ungeheuers, das der Sage nach in der finsteren Schlucht gehaust haben soll ­ ein „dicker Wurm, mit gestumpften Füssen, mit einem grossen Maul, spitzigen Zähnen und fürchterlich dreinblickenden Augen”.
An einem schönen Tag wie diesem mag man nicht an Ungeheuer glauben. Oben im Sonnenlicht überzieht ein Blütenteppich die Felsen wie buntes Fell, drunten tobt blass-grün die Aare in ihrem schmalen Bett und man kann sich gut vorstellen, was der entfesselte Fluss bei Hochwasser angerichtet hat. Doch diese Stege halten seit 100 Jahren. Sie führen hinein in die Abgründe der Schlucht zwischen den weiß-schwarzen Felsen, die der Fluss gegraben hat.
Auch die Menschen ­ genauer die Schweizer Soldaten ­ haben hier gegraben und den Berg mit Tunneln durchlöchert wie einen Schweizer Käse. Eine Kaverne am gegenüberliegenden Ufer war im letzten Weltkrieg ausgebaut worden „wie ein Palast mit Spül-Klosett und Küche”, erinnert sich ein Zeitgenosse, der selbst noch Wasser vom Dorfbrunnen holen musste. Doch das Schweizer Militär wurde nie angegriffen und das komfortable Refugium nach dem Krieg wieder abgebaut. Geschichten wie diese kann der aufmerksame Wanderer allenthalben in der Schlucht finden, wenn er sich Zeit nimmt zu lesen, was auf den Tafeln steht.
Der hölzerne Steg schlängelt sich durch enge Spalten, entlang an Felswänden, die aussehen, als hätte ein Bildhauer einem Riesen den Faltenwurf gemeißelt. Der Aare-Gletscher hat sich hier hindurch gefräst. Im geheimnisvollen Dunkel der Tunnels rieselt, tröpfelt, plätschert es, draußen rauscht der Schräybach-Wasserfall. Eine Wasser-Symphonie umspült die Wanderer. Der Blickwinkel verengt sich zwischen spitz zulaufenden Felswänden und weitet sich dann wieder in ein grünes Tal mit einer Aare, die so friedlich dahinströmt als wäre gar nichts gewesen.

Die Aare-Schlucht ist etwa 1400 Meter lang und bis zu 180 Meter tief. Der Osteingang liegt an der Straße vom Grimsel- und Sustenpass etwa einen Kilometer vor Innertkirchen. Hier wie auch am Westeingang ist eine Haltestelle der Meiringen-Innertkirchen-Bahn. Ab Eingang West bis zur Mitte der Schlucht ist der Weg mit Rollstuhl befahrbar. Der Osteingang ist bis Mitte Oktober, der Westeingang bis 1. November geöffnet, im September und Oktober von 9 bis 17 Uhr. Die Wanderung dauert rund 40 Minuten. Erwachsene zahlen sieben Franken Eintritt, Kinder die Hälfte: www.aareschlucht.ch

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