Wenn es regnet in Musandam

Es regnet höchstens einmal im Jahr in Musandam – und das ist heute. Die Halbinsel im Nordosten des Oman, die vom Sultanat durch die Vereinigten Emirate getrennt ist und die wegen der tief in die Felswände eingeschnittenen Meeresarme als das Norwegen des Mittleren Ostens gilt, leidet seit Jahren unter extremer Trockenheit. Doch an diesem Tag hängt der Himmel voller schwarzer Wolken, Regen prasselt auf die ausgetrocknete Landschaft, Wasserfälle stürzen von den Felsen, die Wadis schwellen an, im Nu sind die Straßen unter Wasser.
Am Flughafen steht erst einmal alles still. Der Flug nach Muskat könnte verspätet sein, heißt es am Schalter. Oder ganz ausfallen. Und er fällt aus. Was jetzt? Mit dem Auto nach Dubai und von dort per Flug nach Muskat? Wer zahlt den Transfer? Es dauert, bis Agentur und Flughafenangestellte ausdiskutiert haben. Umsonst. Die Straße nach Dubai ist gesperrt. Nichts geht mehr. Oder doch? 30 Bengali stehen mit ihrem Gepäck ratlos vor der Tür und warten stoisch auf bessere Zeiten. Was sie machen? Sie wackeln mit den Köpfen: „Wait and see“. Ein guter Rat. Aber nichts für uns.
Neuer Vorschlag: Mit der Fähre nach Shinaz (fünf Stunden) und von da in drei Stunden mit dem Auto nach Muskat. Acht Stunden statt eineinhalb. Ein Hotelzimmer in Khasab bekommen wir nicht mehr,und die Flüge für den nächsten Tag sind ausgebucht. Also Gepäck holen, Flug annullieren und mit dem Auto zur Fähre. Die Überfahrt kostet 26 Euro pro Person inklusive 4,40 Euro „Expresszuschlag“, zahlbar sofort an der Kasse. Auch hier sind wir nicht die einzigen, aber (fast) die einzigen Touristen – bis auf ein älteres französisches Paar, das anscheinend ein ähnliches Programm absolviert wie wir, obwohl die korpulente Frau am Stock geht. Sonst: Inder, Pakistani, Bengali mit Riesenkisten und – Säcken. Lauter Männer. Sie transportieren Mehl und Malerfarben, Bettdecken, Yamswurzeln, Karotten, alte Reifen, zerbeulte Werkzeugkisten, ein neues Dreirad und jede Menge Klamotten. Nicht alles geht unbeanstandet durch die Sicherheitskontrolle. Ein armer Kerl muss seinen ganzen Koffer auspacken, und der Flughafenangestellte nimmt Anstoß an einem Päckchen in Plastikfolie. Was da wohl drin ist? Schließlich packt der junge Mann alles wieder ein und stellt sich in die Reihe der Wartenden vor dem Schalter.
Großes Palaver. Wackelnde Köpfe. Irgend etwas klappt nicht am zweiten Schalter. Die Angestellten stecken die Köpfe zusammen. Die Schlange wechselt von einem Schalter zum anderen und wieder zurück. Irgendwann sind wir dran. Prüfende Blicke auf Pässe und Tickets, endlich halten wir unsere Boarding Cards in den Händen und können einsteigen.
Omani in blütenweißen Dischdaschas haben es sich in der Business Class ganz vorne bequem gemacht. Das Fußvolk vorwiegend vom indischen Subkontinent – und vier Touristen – nehmen in der Holzklasse Platz. Über den Bildschirm flimmern Terminator- Szenen, in denen selbstbewusste Frauen viel Bein zeigen und noch einiges mehr. Davor sitzen vier tief verschleierte Frauen und zeigen – gar nichts. Der Regen peitscht gegen die Fensterscheiben, das Meer schäumt, das Schiff schwankt wie ein Betrunkener.
Und plötzlich ist alles vorbei – wie ein Spuk. Die Sonne strahlt von einem blitzblanken Himmel und taucht die kahlen Berge Musandams in ein goldenes Licht. Sanft wiegen unschuldig blaue Meereswogen die Fähre. Jetzt muss sie nur noch ablegen.

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