Verjüngungskur in Budapest

Blick nach Buda

Monika ist verärgert. „Dieser Verkehr,“ stöhnt die Fremdenführerin, „macht jede Fahrt zur Geduldsprobe.“ Über 200 Straßen sind derzeit gesperrt in Budapest und der Verkehr wälzt sich auf den übrigen Straßen wie ein zäher Lavastrom. Doch auch solche Behinderungen gehören zur Verjüngungskur, der sich die ungarische Hauptstadt unterzieht. Budapest hat Übung in Sachen Verwandlung. Vor 100 Jahren war es schon einmal so. Nur Chicago hat sich damals eben so rasch entwickelt wie die Doppelstadt an der Donau. Die schönen Gebäude im üppigen ungarischen Sezessionsstil erinnern noch an diese Zeit. Und jetzt will Budapest wieder Zeichen setzen und rüstet sich für eine europäische Zukunft
Monika freut sich darauf. Die 32-jährige Donauschwäbin ist ein Kind
ihrer Zeit, aufgewachsen auf dem Land zur Zeit des
„Gulaschkommunismus“, sieht sie Europa als Chance wie die meisten
Studenten in Budapest. Die neue Universität auf der Budaer Seite der
Donau, wo 1992 eigentlich die Weltausstellung geplant war, hat
inzwischen ein attraktives Gegenüber bekommen. Wo vor 100 Jahren Mühlen
und Schlachthäuser standen und wo sich nach der Wende eine triste
Industriebrache ausbreitete, wächst derzeit Budapests Vorzeigeviertel
aus dem Boden, die Milleniumsstadt. Das neue Nationaltheater direkt an
der Lagymanyos-Brücke erhitzt bis heute die Gemüter. Maria Siklos hat
den Bau mit viel Mut zur Theatralik in Szene gesetzt. Symbolisch öffnet
sich ein steinerner Vorhang, hinter dem die Besucher von bekannten
ungarischen Schauspielern in ihren berühmtesten Rollen empfangen
werden. In einem künstlichen See liegt die (nachgebaute) Fassade des
1956 gesprengten Nationaltheaters, während der Neubau wie ein Schiff
darüber aufragt.
Nicht minder spektakulär ist der Palast der Künste hinter dem
Nationalmuseum. Einen „Meilenstein für die ungarische Kultur“ nennt
Monika den gigantischen Bau, der Museum, Festivaltheater und
Konzertsaal beherbergt, alles mit neuester Technologie, versteht sich.
Ein Heim für traditionelle und experimentelle Musik, soll er sein, für
Oper, Tanz, Jazz und Pop-Musik aber auch für Malerei. Den Part spielt
das Ludwigmuseum. Der Schokoladenkönig hat dafür drei seiner Picassos
gespendet sowie Bilder der russischen Klassik und der amerikanischen
Moderne. Auch Markus Lüpertz ist mit zwei Werken vertreten. Hoch
gerühmt ist schon jetzt die Akustik des riesigen Konzertsaals. Hinter
farbigen Gipstüren sorgen 48 Klangkammern für Sekundenlangen Nachklang,
von der Decke senkt sich nach Bedarf ein akustischer Schirm und die
imposante Orgel, die in Zusammenarbeit mit einer Stuttgarter Firma
installiert und erst vor kurzem eingeweiht wurde, erinnert an eine
gotische Kirche. Vom 25. bis 28. Juni werden internationale
Spitzen-Organisten die 7200 Pfeifen zum Klingen bringen.
Die 31 Milliarden Forint ( vier Millionen Euro?) Baukosten hat der
Bau-Tycoon Sandor Demjan vorfinanziert, die Stadt muss die Gelder
binnen 30 Jahren zurückzahlen. „PPP-Konstruktion“ nennt sich diese Art
von Geldbeschaffung, verrät Monika, „public private partnership“. Sie
lacht. „Wir Ungarn geben auch das aus, was wir nicht haben,“ sagt sie.
Und im Tricken und Täuschen zum eigenen Vorteil, da seien die Ungarn
Weltmeister. „Ein typischer Ungar ist der, der hinter dir in der
Drehtür reingeht und vor dir wieder rauskommt,“ zitiert sie ein
Sprichwort.
Noch wirkt die Umgebung mit Brachland und ein paar alten Häusern eher
trist. Doch schon bald soll das Areal zwischen Petöfi und Lagymanyos
Brücke zum Zentrum mitteleuropäischer Kultur werden mit Hotels,
Kongreßzentrum, Bürogebäuden, Ausstellungshalle und hochwertigen
Wohnungen, alles in einer Parklandschaft mit Wasserspielen und
Skulpturen. Schon jetzt verzaubern Licht- und Klangspiele allnächtlich
die beiden Kunsttempel. Vom Schiffsrestaurant A38 aus, einem beliebten
Treffpunkt der Budapester, kann man beim Abendessen das Schauspiel
verfolgen.
Monika kennt sich in der Szene aus, sie hat Freunde, die in der
Nachwendezeit reich geworden sind, und andere, die sich mit dem
Existenzminimum begnügen müssen. Aber auch die lieben es, schick
auszugehen. „Ein Ungar zeigt immer zweimal soviel wie er hat“,
skizziert Monika die Leidenschaft ihrer Landsleute für den schönen
Schein. Besonders schön leuchtet er gerade im Cafe New York, das nach
jahrelangem Umbau im Mai wieder eröffnet hat – und jetzt in Gold und
Stuck, pastellfarbenen Deckengemälden und verspiegelter Pracht
schwelgt. Das Haus, vor gut 100 Jahren für eine Versicherung konzipiert
und bald zum Kaffeehaus umgebaut, war einst Treffpunkt der Dichter, die
hier oft die Nacht zum Tage machten. Heute würden sie sich das New York
wohl kaum mehr leisten können. Die Preise sind satt. Die neuen Besitzer
von der luxuriösen Boscolo Hotelkette sprechen italienisch. Multikulti
ist auch in Budapest angesagt. Wer spricht schon ungarisch? Außer
vielleicht Egészségedre (sprich: Ägees-scheegädrä), wie Prost auf
ungarisch heißt.
In den Straßen von Buda jedenfalls hört man viele Sprachen, vor allem
in der Einkaufsmeile Vaci utca, wo sich die Läden mit den Edelklamotten
aneinander reihen. Oder in den berühmten Bädern der Stadt wie dem
Szechenyi Bad, wo auch jede Menge Touristen baden gehen und dabei die
ausdauernden Schachspieler bewundern, die lange über die empfohlene
Zeit im wannewarmen Thermalwasser ausharren, um den Gegner doch noch
matt zu setzen. Oder auch auf dem Liszt Ferenc Platz, wo ein teures
Lokal neben dem anderen zum Schlemmen einlädt. Alle sind gut besucht,
vor allem viele junge Budapester lassen sich hier gerne sehen, obwohl
so manche Speisen mehr hermachen als drin ist. Einen Saftladen nannte
ein empörter Engländer das Buena Vista im Gästebuch und schimpfte über
den „Saufraß“. Andere lobten das coole Ambiente und die ambitionierte
Küche. Es hat eben alles zwei Seiten – auch in Budapest.
Gleich hinter der großen Synagoge, der größten in Europa, beginnt das
jüdische Viertel. Doch in den Querstraßen findet man nicht nur Läden
mit koscheren Lebensmitteln, trifft man nicht nur fromme Juden mit
Schläfenlocken, sondern auch viele junge Leute. „Das Elisabethviertel
ist trendy,“ sagt Monika und öffnet eine der alten Türen in einem
baufälligen Haus. Dahinter bietet sich eine Szene wie aus einem
Theaterstück. Ein alter Spiegeltisch, Lampen aus den Dreißiger Jahren,
Sofas und Tische vom Sperrmüll, an den Wänden grellfarbige Bilder,
retro pur. An der Theke mit einem Riesenaufgebot harter Alkoholika
lungern ein paar Kerle herum. Eine ältere Frau sitzt in einer Ecke und
trinkt Kaffee. Eine Studentin schreibt an einem Gartentisch an ihrer
Seminararbeit. Das „Szimpla“ habe gerade aufgemacht, erklärt Monika.
Bis drei Uhr nachts könne man hier essen, trinken, Musik hören und –
im Garten-Kino – Filme anschauen. Kneipen wie das Szimpla, die mit der
Aussicht leben, dass das Haus über ihnen bald abgerissen wird, sind
absolut in im modernen Budapest, der europäischen Hauptstadt.

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