Tunesien: An der Schwelle zur Demokratie

Der Preis sei die einzige Chance für Tunesien, wieder Touristen anzulocken, meint Thomas-Cook-Chef Dr. Peter Fankhauser. Eine Woche im Vier-Sterne-Hotel ab 198 Euro inklusive Flug und Halbpension – das sollte auch den zögerlichsten Kunden überzeugen. „Wir verdienen da nicht viel Geld“, versichert der Manager. Aus reiner Nächstenliebe legen die Veranstalter diese Lockpreise aber auch nicht auf. „Wenn Tunesien ausfällt, wird der Druck auf andere Zielgebiete (Mallorca, Türkei)zu groß“, fürchtet Fankhauser, der dafür plädiert, die Flugsteuer für Tunesien und Ägypten auszusetzen, um günstige Preise zu ermöglichen.

Wie Fankhauser („Wir sind nicht die Hüter der Moral“) halten sich auch
die anderen Veranstalter aus der Politik heraus. Allerdings sind sie
davon überzeugt, dass nur ein florierender Tourismus den Ländern dabei
hilft wieder auf die Beine zu kommen.
Davon allerdings ist Tunesien noch weit entfernt, wie ein aktueller
Besuch vor Ort zeigt. Zwar ist die Maschine, die am 28. Februar die
ersten Thomas-CookTouristen nach Djerba fliegt, gut gefüllt, aber auf
Djerba
selbst, ist der erste Eindruck der einer gespenstischen Leere.
Leere Golfplätze, leere Straßen, geschlossene Hotels, verrammelte
Geschäfte: Hier ist man noch weit von der Normalität entfernt. Der
Kellner an der Bar des Sentido Hotels Djerba Beach scheint
überglücklich, dass er zur späten Stunden noch ein paar Gäste bedienen
kann. 40 Prozent der Gäste hat das Hotel in der letzten Zeit verloren,
zeitweise waren alle Zimmer leer. Das Personal wurde in Urlaub
geschickt. Jetzt stehen 125 Angestellte bereit – und warten auf Touristen.
Die Franzosen sind schon längst wieder da und jetzt auch wieder ein
paar Deutsche. Hoteldirektor Gamel Ben Nasr (60) hofft, dass vor allem
die Stammgäste schnell wiederkommen. Zu Ostern jedenfalls haben sich
schon 250 Gäste angemeldet.
Noch aber ist der Strand am Morgen menschenleer, am Pool verlieren sich
ein paar einsame Sonnenanbeter. Und in der Ferne ist ein kleines
Grüppchen dunkel gekleideter Männer auszumachen – Flüchtlinge aus dem
schwer umkämpften Libyen, die hier auf ihre Weiterreise warten. Auf dem
Bildschirm in der Lobby wechseln sich Szenen von Gaddafi-Auftritten mit
Bildern von tunesischen Demonstrationen ab. Hoteldirektor Ben Nasr
runzelt die Stirn. „Das muss aufhören“, sagt er zornig. Schließlich habe
man alles erreicht, was die Revolte erreichen wollte: Ben Ali und sein
machthungriger und korrupter Clan sind verjagt, Wahlen würden
vorbereitet und es gebe erstmals in der Geschichte Tunesiens eine Art
Arbeitslosengeld. „Jetzt müssen wir zur Ruhe kommen“, ist der
Hoteldirektor überzeugt. „Nur dann kommen die Touristen wieder.“ Ohne
sie aber habe Djerba keine Zukunft. 95 Prozent der Menschen leben hier
direkt oder indirekt vom Tourismus.
Auch der Korbflechter Mohamed Khacha, der Matten und Körbe nach alter
Tradition herstellt, wie er es von Vater und Großvater gelernt hat. Wer
soll seine Körbe kaufen, wenn die Touristen ausbleiben, fragt der
grauhaarige 62-jährige Familienvater ratlos. Sein Sohn arbeitet in einem
Hotel, die Tochter geht in die Tourismusschule. Für das Handwerk des
Vaters hat keines der Kinder Interesse. Schließlich verdient man recht
gut im Tourismus, zumindest hier auf Djerba. Ein Kellner bringt es auf
500 Dinar, fast das Doppelte des in Tunesien festgelegten Mindestlohns
von 280 Dinar.
Isabelle Banchon und ihr Mann Gerard aus Belgien glauben an die
touristische Zukunft Djerbas. Die Anwältin und der Architekt haben 2007
in Erriadh ein Haus gekauft und es zu einem Schmuckkästchen umgebaut mit
vielen traditionellen Anspielungen und minimalistischem Design. Auch
derzeit wird wieder mal gebaut im Dar Bibine. Was sollte man auch sonst
tun in dieser Zeit, wo kaum ein Tourist sich ins Inland verirrt? Noch
hat Isabelle Blanchon keine neuen Buchungen. Trotzdem ist sie
hoffnungsvoll. „Es gibt doch keinen Grund, nicht nach Djerba zu kommen“,
sagt sie fast trotzig. „Hier ist alles ruhig.“
Von Nabeul kann man das nicht sagen. Auf dem zentralen Platz der Stadt
findet am 2. März wieder eine Demonstration statt – diesmal gegen die
anhaltenden Demonstrationen. „Wir wollen endlich wieder an die Arbeit
gehen“, schreit ein Mann mit fehlerhaften Zähnen wütend. „Degage“ steht
auf einem Transparent, das ein junger Mann in die Höhe hält. Eine
Heuschrecke ist darauf zu sehen. Gemeint ist Gewerkschaftschef
Abdessalam Jrad (Heuschrecke), dem Verbindungen mit dem alten Regime
vorgeworfen werden. Auch er soll weg, weg wie die alte Regierung, die
das Volk betrogen hat. „Wir brauchen faire Wahlen und Rechtssicherheit“,
sagt ein hochgewachsener Student und die jungen Mädchen mit und ohne
Kopftuch nicken. Überall haben sich Grüppchen gebildet, in denen heftig
diskutiert wird. Ein paar Soldaten in Uniform und mit schweren Waffen
stehen zwischen den Fronten, einer hilft einem Rollstuhlfahrer über die
Bordkante. Ein Polizist versucht vergeblich, sich mit seiner
Trillerpfeife Gehör zu verschaffen. Tunesien diskutiert, lautstark und
mit einer Begeisterung, die zeigt, dass sich Bahn bricht, was lange
unterdrückt war.
„Jeder ist jetzt Politik-Profi“, sagt Bassem Ouertani, der regionale
Tourismusverantwortliche für Yasmine Hammamet. Er ist mehr als zufrieden
mit der Entwicklung in seinem Land – auch wenn der Tourismus noch
leidet. „Das Beste ist, dass die Diktatur zu Ende ist“, erklärt er und
lächelt. Natürlich müsse man jetzt dafür sorgen, dass wieder Normalität
einkehre, auch im Tourismus. Und da seien für den Anfang Lockpreise
durchaus zu verantworten. Aber das dürfe keine Dauerlösung sein. „Bitte
nützen Sie unsere Situation nicht aus“, appelliert Ouertani an die
Veranstalter. Mit den billigen Preisen, fürchtet er, würde auch die
Qualität schwinden und damit das Vertrauen der Touristen, um das man
jetzt werbe. Der Touristiker sieht eine gute Gelegenheit, das Image
Tunesien
s als billiges Massenziel zu ändern. Die Touristen könnten dabei
sein bei der Morgendämmerung einer neuen Demokratie, wirbt er und macht
klar: „Wir haben die Revolution nicht gemacht, damit alles beim alten
bleibt.“ 

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