Nichts ist mehr wie es war in der Türkei. Nach dem schrecklichen Selbstmordanschlag eines 28-jährigen Syrers auf eine deutsche Reisegruppe mit zehn Toten und vielen Verletzten im Istanbuler Touristenzentrum Sultanahmed sind auch Deutsche, die bisher der Türkei die Treue hielten, verunsichert. Hinzu kommt die autoritäre Politik von Präsident Erdogan, der gleich nach dem Attentat eine Nachrichtensperre verhängte. So könnte es sein, dass nach den Russen in diesem Jahr auch die Deutschen den Rücken kehren, selbst wenn Innenminister de Maizière keinen Grund sieht, „von Reisen in die Türkei abzusehen“.
Ein Ausbleiben der Deutschen wäre eine Katastrophe für das beliebte Urlaubsland. In den letzten Jahren hat die Türkei auch davon profitiert, dass immer weniger Touristen nach Tunesien oder Ägypten wollten – eine Folge der Terroranschläge. Am Strand von Sousse starben Ende Juni 39 Urlauber, als ein Terrorist mit einem Sturmgewehr um sich schoss. 224 Menschen kamen bei dem Flugzeugabsturz Anfang November ums Leben, nachdem IS-Terroristen in Sharm el Sheik eine Bombe an Bord geschmuggelt hatten. Die Türkei bot sich als Ausweich-Destination an, gehörte aber auch schon vorher zu den populärsten Reisezielen, und die Deutschen stellten die größte Gruppe der Urlauber – noch vor den Russen.
Doch nun ist der Terrorismus nicht nur im Herzen der beliebten türkischen Metropole angekommen, er hat auch gezielt den Tourismus – womöglich sogar die deutschen Touristen – getroffen. Der syrische Attentäter zündete die Bombe zwischen Hagia Sophia und Blauer Moschee inmitten einer Reisegruppe des Berliner Reiseveranstalters Lebenslust. Die türkische Regierung macht den IS verantwortlich, den sie lange – wenn nicht unterstützt – so doch geduldet hatte. Schon im August 2015 hatten die Terroristen des „Islamischen Staats“ der Türkei erstmals offen gedroht und in einem Video zur „Eroberung Istanbuls“ aufgerufen.
Das Auswärtige Amt warnt inzwischen vor Menschenansammlungen auf öffentlichen Plätzen und vor touristischen Attraktionen in Istanbul und anderen türkischen Großstädten. Doch Istanbul ist eine weltoffene Stadt, ein quirliger Melting Pot. Im Schutz der Menge können auch Terroristen unauffällig agieren. Einige Touristen, die zur Zeit des Anschlags in der Stadt waren, sind bereits abgereist. Andere sehen keinen Grund dafür, ihren Urlaub vorzeitig abzubrechen.
Was aber ist mit denen, die bereits einen Türkei-Urlaub geplant haben und nun lieber nicht reisen wollen? Der Münchner Studienreisespezialist Studiosus hat schon zu Anfang des Jahres als erster Veranstalter der Verunsicherung seiner Kunden mit kostenlosen Umbuchungsmöglichkeiten Rechnung getragen: Wer sich 2016 bei Studiosus für eine Türkei-Reise entscheidet, kann bis vier Wochen vor Abreise kostenlos umbuchen. Liegt das Ziel in der – ab Mitte Mai wieder angebotenen – Osttürkei, haben Kunden sogar die Möglichkeit zu einer kostenlosen Stornierung „bis zum Termin der Entscheidung über Durchführung oder Absage“, in der Regel zwei Monate vor Reisebeginn.
Nicht ganz so großzügig sind die Großveranstalter: Bei TUI können Kunden, die bis zum 18. Januar eine Istanbul-Reise gebucht haben, gebührenfrei auf ein anderes Zielgebiet oder einen anderen Reisezeitraum umbuchen; bei Thomas Cook gilt das gleiche für Buchungen bis 22. Januar. Etwas mehr Zeit lässt die DerTouristik ihren Kunden. Sie können Reisen nach Istanbul bis 10. Februar ohne Gebühren umbuchen oder kündigen. Nach Meinung des Kemptener Reiserechtlers Prof. Ernst Führich können Touristen auch aus juristischer Sicht gebuchte Reise nach Istanbul kostenlos umbuchen oder stornieren. Das Kündigungsrecht gelte wegen Gefährdung durch höhere Gewalt.
Marco Scherer, Geschäftsführer des Veranstalters Lebenslust Touristik, mit dem die Opfer von Sultanahmed unterwegs waren, zeigte sich am Dienstag erschüttert von der „Brutalität dieses grausamen Anschlags“. Weiter sagte er: „Wir trauern mit den Angehörigen der Opfer und sind voller Anteilnahme für sie.“ Neben der direkten Hilfe in der Türkei organisiert Lebenslust Touristik den Rücktransport der Reisenden nach Deutschland. Den Angehörigen der Opfer wird eine Anreise nach Istanbul ermöglicht.
Während so mancher Tourist in Istanbul seine Koffer packt, werden vom 4. bis 6. Februar die wichtigsten Entscheidungsträger des Tourismus in Istanbul tagen. Das Welttourismusforum findet dieses Jahr im Lütfi Kirdar Convention und Exhibition Center in Istanbul statt. Präsident Recep Tayyip Erdogan will dazu Meinungsträger, Investoren, Politiker und Unternehmer versammeln, die über touristische Trends entscheiden. Chairman ist Bulut Bagci, der Präsident des Welttourismusforums. Auch die World Tourism Awards, gerne auch als „Oscars des Welttourismus“ bezeichnet werden in Istanbul verliehen – am 5. Februar im Ciragan Palace im Beisein von rund 1000 Gästen.
Bis dahin, so hoffen wohl nicht nur die Touristiker, werden die Urlauber über den Anschlag im Herzen von Istanbul hinweg gekommen sein. Denn, so auch die Erfahrung von Martin Lohmann vom Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Kiel: Das Gedächtnis der Touristen ist kurz.
14Jan. 2016